Bundesinstitut für Arzneimittel warnt vor MMS-Produkten
Seit vielen Monaten verspricht ein Wundermittel Heilung von Krebs, AIDS, Alzheimer oder Tuberkulose: „Miracle Mineral Supplement (MMS)“. Vor der Anwendung müssen die Inhalte von zwei kleinen Flaschen vermischt werden. Dadurch entsteht Chlordioxid, das auch als Textilbleichmittel eingesetzt wird. Mit diesem Mittel sollen zum Beispiel Kindern Einläufe verabreicht werden, die gegen Autismus helfen sollen. Tatsächlich wirken die aggressiven Chemikalien ätzend, die Folgen reichen Experten zufolge von Erbrechen bis zu schweren Nierenfunktionsstörungen. Nachdem in mehreren europäischen Ländern die Gesundheitsbehörden vor dem Mittel gewarnt haben, hat nun Ende Februar 2015 das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte zwei MMS-Produkte als zulassungspflichtig und bedenklich eingestuft und vor deren Einnahme gewarnt. Der Hersteller würde bei diesen Produkten mit Heilsversprechen werben. Darüber hinaus bestehe der begründete Verdacht, dass die Mittel selbst bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen hätten.
Heilsversprechen bei chronischen und unheilbaren Krankheiten sind keine Seltenheit. Hinter „ganzheitlichen Gesundheitsangeboten“ verstecken sich manchmal esoterische Wunderheiler mit fragwürdigen Weltanschauungen, Menschenbildern und Behandlungsmethoden.
Ende April soll in der Stadthalle Kassel der Kongress „Spirit of Health“ stattfinden. Auf dem internationalen Kongress sollen alternative Heilmethoden vorgestellt werden. Als „die Stimme von MMS“ kündigen die Kongressveranstalter den 83-jährigen Amerikaner Jim Humble an. Er gilt als der Entdecker der MMS-Präparate. Der Ingenieur, Erfinder und Goldgräber war nach eigenen Angaben 25 Jahre bei Scientology aktiv. 2010 hat er in der Dominikanischen Republik seine eigene Scheinkirche gegründet. Humble selbst lässt sich als „Erzbischof“ seiner Organisation titulieren. Er tritt meist mit weißem Cowboyhut auf, dessen Vorderseite ein „magischer“ blauer Tropfen ziert. In Uganda soll Humble sein Mittel Hunderten Waisenkindern zu trinken gegeben haben. Kritiker werfen ihm Menschenversuche und die Täuschung lokaler Behörden vor. Ein weiterer Hauptreferent ist Leonard Coldwell, der nach eigenen Angaben aufgrund außergewöhnlicher Gaben schon in jungen Jahren seine an Krebs erkrankte Mutter geheilt hat. Bisher soll er bei der Behandlung von über 35000 Krebspatienten eine Heilungserfolgsquote von 92,3 Prozent haben, heißt es im Kongressprogramm. In einem anderen Workshop werden die fünf biologischen Naturgesetze von Ryke Geerd Hamer präsentiert. Der gemeinsame Nenner der Referenten dieses Kongresses, der erstmalig 2014 in Hannover stattfand und erhebliche Proteste nach sich zog, sind zum Teil sektenartige Strukturen sowie Verschwörungstheorien über eine angebliche Komplizenschaft von Pharma-Lobby, Politik und den Medien.
Aus medizinischer Sicht gelten nicht nur das von den Veranstaltern angepriesene Präparat MMS, sondern auch viele weitere bei der Messe propagierte Mittel und Methoden als Scharlatanerie-Produkte. In der lokalen Presse wird nun diskutiert, weshalb die beliebte Konferenzstätte im Sommer 2014 von der Stadt an die MMS-Propagandisten vermietet wurde, ohne die Hintergründe der Akteure zu recherchieren. Das für Gesundheitsangelegenheiten in Hessen zuständige Regierungspräsidium Darmstadt hat die Stadt Kassel zu Gegenmaßnahmen aufgefordert, die jedoch aus Sorge vor Regressansprüchen zögert. Ein „Bündnis gegen Pseudomedizin und Quacksalberei zum Schaden von Kindern“ plant eine Gegenveranstaltung. Kritische Informationen über gefährliche Arzneimittel bis hin zu deren Verbot sind auf dem unübersichtlichen Gesundheitsmarkt nach wie vor nötig.
Michael Utsch