Christian Science hat eine Deutsche als neue Präsidentin
(Letzter Bericht: 2/2019, 61 – 64) Einmal im Jahr treffen sich die Mitglieder der Ersten Kirche Christi, Wissenschaftler zur Jahresversammlung in Boston.1 Der 6. Juni 2022 markierte dabei ein besonderes Ereignis, da die diesjährige Jahresversammlung nach zwei Jahren Pandemie wieder in Präsenz stattfinden konnte. Darüber hinaus war es die erste Großveranstaltung im aufwendig modernisierten Erweiterungsbau der „Mutterkirche“.2 Mitglieder, denen es nicht möglich war, präsentisch teilzunehmen, konnten die Veranstaltung dieses Jahr auch digital mitverfolgen oder sich die Aufzeichnungen im Anschluss ansehen.3
Auf den Jahresversammlungen der Christlichen Wissenschaft werden Mitglieder über Entwicklungen innerhalb der Gemeinschaft und Entscheidungen des Vorstands informiert. Außerdem wird der Finanzhaushalt des vorangegangenen Jahres veröffentlicht und neu gewählte AmtsinhaberInnen werden vorgestellt. Eines der neuen Gesichter bei der Versammlung im Juni war die frisch und für ein Jahr vom Vorstand gewählte Präsidentin, Doris Ulich – eine deutsche Praktikerin und Lehrerin der Christlichen Wissenschaft aus Bamberg, die gleichzeitig das Amt des Komitees für Veröffentlichung der Christlichen Wissenschaft in Deutschland innehat. PraktikerInnen sind nach dem Verständnis der Gemeinschaft „Frauen und Männer in aller Welt, die ihr Leben dem christlichen Heilen widmen. Sie bieten spirituelle Hilfe an, die zu Heilung von Problemen aller Art führt – sowohl von körperlichen, emotionalen und finanziellen als auch von zwischenmenschlichen Problemen.“4
Ulichs erste öffentliche Aufgabe im neuen Amt bestand darin, als Moderatorin durch die diesjährige Jahresversammlung zu führen. Eine Europäerin in einem so prominenten Amt der immer noch von AmerikanerInnen dominierten Gemeinschaft betont die eindeutige Positionierung der Mutterkirche als globale Gemeinschaft, gerade in Zeiten von Krieg, so Ulich im Gespräch mit der EZW. Da das „Kirchenhandbuch“ von Christian Science keine klaren Vorgaben macht, welche Aufgaben mit dem Amt verbunden sind, kann es nach individuellen Fähigkeiten des/der Amtsinhaber/in und in Einklang mit den aktuellen Bedürfnissen der Kirche gestaltet werden. So möchte Ulich ihre Amtszeit nutzen, um sich verstärkt den jüngeren Mitgliedern der Gemeinschaft zuzuwenden und sich mit ihnen auf den im Sommer und Herbst anstehenden Jugendtreffen in Deutschland, der Schweiz und dem Vereinigten Königreich über die Leitfrage der derzeitigen Christian-Science-Dauerausstellung „How do you see the world?“ auszutauschen.5
Auf die Frage hin, ob sich nun viel verändern werde in ihrem Alltag oder an ihrem Standort, antwortete Ulich, dass sie neben dem Amt als Präsidentin auch weiterhin die Kommunikation der Gemeinschaft mit anderen Religionsgemeinschaften in ihrer Funktion als Komitee für Veröffentlichungen (Pressesprecherin) übernehmen werde. Die vierteljährlichen Sitzungen / Besprechungen zusammen mit dem Vorstand und anderen AmtsträgerInnen finden mittlerweile digital statt, sodass hier kein Pendeln zwischen Oberfranken und Boston nötig sein werde.6
Neben Bekanntmachungen und administrativen Informationen wie dem Bericht des Schatzmeisters über die derzeit stabile Finanzlage der Gemeinschaft, die Investitionen von rund 110 Millionen Dollar erlaubten, fanden bei der Jahresversammlung auch Schriftlesung und Gesang statt, ebenso wie die für Christian Science zentralen Heilungsberichte. Dazu wurden im Vorfeld einige Heilungserlebnisse, die sonst ihren Platz im Mittwochsgottesdienst haben, ausgewählt und von den betroffenen Personen dann vorgetragen. „Christliches Heilen ist der zentrale Aspekt des Gründungszwecks der Kirche.“7 Darum haben Heilungserfahrungen für viele auch einen legitimen Platz bei der Jahresversammlung.
Ein Mann berichtete über sein akutes Nierenversagen im vorherigen Jahr, welches ihm nicht einmal das Lesen in der Bibel und in Mary Baker Eddys Schriften erlaubt habe. Durch digital abrufbare Lesungen aus „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ und die kontinuierliche Arbeit mit PraktikerInnen im „geistigen Gebet“ habe er jedoch „geistige Erneuerung“ gefunden und sei trotz Ablehnung einer Dialysebehandlung von seinem Leiden geheilt worden. „Christliche WissenschaftlerInnen glauben, dass geistiges Heilen keine wundersame Erscheinung ist, sondern die Folge einer engeren Gemeinschaft mit einem Gott der unveränderlichen Liebe.“8
Heilung durch „geistiges Gebet“ und die teilweise kritische bis ablehnende Haltung gegenüber evidenzbasierter Schulmedizin, die häufig mit Christian Science in Verbindung gebracht wird, war auch Thema der Diskussion im April, als Doris Ulich als Dialogpartnerin im Curriculum (Weiterbildungsveranstaltung) der EZW eingeladen war. Auf die Frage hin, wie sich Christian Science zur Corona-Schutzimpfung positioniere, verwies Ulich auf die offizielle Stellungnahme der Gemeinschaft. Diese spricht sich weder für noch gegen die Impfung aus, sondern erklärt, dass die Leitung, auch wenn sich die meisten Mitglieder in der Regel auf das Gebet verlassen, um geheilt zu werden, die Entscheidung über Impfungen ihren Mitgliedern überlässt.9 Heilungsberichte wie der oben genannte, der ein geplanter Programmpunkt innerhalb der Jahresversammlung war, betonen jedoch relativ eindeutig die Bevorzugung „geistiger Heilung“ seitens der „Mutterkirche“ , auch wenn dies nicht explizit ausgesprochen wird.
Claudia Jetter, 13.07.2022
1 Erste Kirche Christi, Wissenschaftler ist die offizielle Bezeichnung der im 19. Jahrhundert von Mary Baker Eddy gegründeten christlichen Sondergemeinschaft mit Hauptsitz in Boston. Im üblichen Sprachgebrauch wird von der Christlichen Wissenschaft / Christian Science gesprochen, und die Mitglieder werden als Christliche WissenschaftlerInnen bezeichnet. Über die Gemeinschaft: Michael Utsch: Christliche Wissenschaft, in: MdEZW, 71/10 (2008), 394 – 397.
2 Das Gelände von Christian Science ist das größte öffentlich zugängliche Privatgelände in Boston. Auf dem Gelände stehen u. a. die Mutterkirche inkl. Erweiterungsbau, die Mary Baker Eddy Library und das Verlagsgebäude, in welchem derzeit die Dauerausstellung „How do you see the world?“ untergebracht ist. Die Planung für die aufwendigen Instandhaltungsmaßnahmen begannen bereits 2016. Abgeschlossen wurden sie erst kurz vor der Versammlung im Juni (vgl. Regina Cole: A Massive Restoration Project Remains on Schedule, Despite Covid, 24.8.2021, www.forbes.com/sites/reginacole/2021/08/24/a-massive-restoration-project-remains-on-schedule-despite-covid (Abruf der Internetseiten: 8.7.2022).
3 Die Versammlung kann nachverfolgt werden unter www.christianscience.com/de/weitere-ressourcen/annual-meeting?icid=Homepage:slot3:Erfahren%20Sie%20mehr.
4 www.christianscience.com/de/christliches-heilen-heute/wie-kann-ich-geheilt-werden. Das „Komitee für Veröffentlichungen“, in Deutschland bestehend aus Doris Ulich, entspricht dem/der Pressesprecher/in in anderen religiösen Gemeinschaften.
6 Die Gemeinschaft betreffende Entscheidungen werden vom fünfköpfigen Vorstand, den DirektorInnen, getroffen. Dazu gibt es neben dem Präsidentenamt das Amt der ersten und zweiten LeserIn sowie das Schatzmeister- und das Schriftführeramt. Alle Ämter werden durch den Vorstand besetzt. Vgl. www.christianscience.com/de/so-finden-sie-uns/besuchen-sie-die-mutterkirche/die-amtsinhaber-innen-der-kirche.
7 Kevin Ness: Christliche Wissenschaftler:innen fragen bei der Jahresversammlung: „Wie siehst du die Welt?“,http://christianscience-kfv.de/assets/files/2022-AnnualMeetingNews.pdf.
8 Ebd.