Christliche Gemeinschaften von Tamilen aus Sri Lanka
Konversion oder christliche Erweiterung hinduistischer Traditionen?
Tamilen aus Sri Lanka in Deutschland
Unter den Einwanderern aus Sri Lanka in Deutschland, von denen 33 219 (Stand 2006)1 registriert sind, befinden sich zum einen singhalesisch sprechende Buddhisten, eine Gruppe, die die Mehrheit der Bevölkerung in Sri Lanka ausmacht, und zum anderen Tamilen2, von denen die meisten Hindus, wenige Christen und einzelne Familien Muslime sind. Letztere stellen zwar eine ethnische Minderheit in Sri Lanka dar, in Deutschland jedoch gehören sie zur größten Flüchtlingsgruppe. Etwa 90% der sri-lankischen Tamilen in Deutschland migrierten vor allem in den 80er und 90er Jahren, um vor dem Bürgerkrieg zu fliehen. Sie sind fast ausschließlich asylsuchende Migranten.3 Bevorzugtes Zuzugsgebiet von sri-lankischen Flüchtlingen wurde Nordrhein-Westfalen.4 Tamilen aus Sri Lanka bilden in Deutschland in Abgrenzung zu anderen Ausländergruppen zwar eine national-kulturelle Minderheit, jedoch bestehen Unterschiede in ihrer regionalen, sozialen und religiösen Herkunft innerhalb Sri Lankas. Ein Großteil der tamilischen Flüchtlinge kommt von der Jaffna-Halbinsel, ein geringerer Teil aus den östlichen Provinzen Trincomalee und Batticaloa sowie aus Colombo. In Bezug auf die Kastenzugehörigkeit gehören ca. 62% der hiesigen Tamilen der oberen Kaste der Vellalar (Bauern), 13% der Kaste der Karaiyar (Fischer, meist Katholiken), 12% mittleren Kasten (Handwerker, Weber und Schmiede), ca. 11% niederen Kasten (Friseure, Trommler und Landarbeiter) und 1% der Brahmanenkaste an.5
Was die Religion betrifft, so sind die meisten Tamilen Hindus. Über 30 hindu-tamilische Tempel gibt es derzeit in Deutschland, z. B. in Berlin, Mülheim/Ruhr, Dortmund, Sulzbach/Saar, Hannover, München, Nürnberg und Wuppertal.6 Als bekanntester von ihnen gilt der nach südindischem Vorbild gebaute Sri-Kamadchi-Ampal-Tempel in Hamm-Uentrop.
Zu den religiösen Minderheiten innerhalb der tamilischen Ethnie aus Sri Lanka gehören in Deutschland Muslime, Katholiken, Mitglieder evangelischer Freikirchen und Zeugen Jehovas. Während katholische Tamilen meist in ihrem Heimatland der katholischen Kirche angehörten, handelt es sich bei tamilischen evangelisch-freikirchlichen Christen und Zeugen Jehovas fast ausschließlich um ehemalige Hindus, die in Deutschland konvertiert sind.
In Berlin gibt es neben einem Hindu-Tempel für den tamilischen Gott Murugan in Kreuzberg vier christlich orientierte tamilisch sprechende Gemeinschaften sri-lankischer Herkunft: eine katholisch-tamilische Gemeinde, zwei tamilisch sprechende Pfingstgemeinden und eine tamilische Gruppe von Zeugen Jehovas. Deren Versammlungsstätten werden von tamilischen Christen, die in Sri Lanka schon Christen waren, von tamilisch-hinduistischen Konvertiten und tamilischen Hindus besucht.
Die Tamil Mission Church
In Berlin in der Glasower Straße befinden sich die Versammlungsräume der Tamil Mission Church. Als ich an einem Sonntagmorgen den Gottesdienstraum betrete, sind bereits etwa 30 tamilische Besucher anwesend, die alle aus Sri Lanka stammen. Auf der linken Seite befinden sich die Plätze der Männer, auf der rechten die der Frauen und Kinder. In tamilischer Sprache singt die Gemeinde mit erhobenen Händen christliche Lobpreislieder. Nach dem ersten Singen werden von einzelnen Frauen und Männern freie Gebete gesprochen, begleitet von einigen zögerlich klingenden Halleluja-Rufen anderer Gottesdienstbesucher. Einige von ihnen legen in Deutsch oder Tamil Zeugnis über die letzten Erlebnisse mit Gott ab und deuten diese als Wunder. In seiner Predigt preist dann der Pfarrer in deutscher Sprache das erfolgreiche Wirken Gottes, als es darum ging, eine Einreisegenehmigung für seine Tochter nach Sri Lanka zu erhalten. Anschließend schlagen die Besucher ihre Bibeln auf und lesen der Reihe nach jeweils einen Textabschnitt aus dem Matthäusevangelium, dessen Inhalt anschließend von jedem Einzelnen ausgelegt wird. Nach einem weiteren Lobpreisgesang versammeln sich alle Gottesdienstbesucher zu Kaffee, Tee und Kuchen.
Die pfingstlich ausgerichtete Gemeinde der Tamil Mission Church in Berlin wurde von dem derzeitigen tamilischen Pfarrer gegründet, der aus Jaffna / Sri Lanka stammt. Als ehemaliger Hindu war er durch ein afrikanisches Mitglied der pfingstlich-charismatischen Südsterngemeinde mit der charismatischen Bewegung in Kontakt gekommen. 1988 rief er eine eigene tamilische Pfingstgemeinde ins Leben, die sich bereits damals nur aus tamilischen Flüchtlingen Sri Lankas zusammensetzte. Diese Gemeinde besteht heute (einschließlich der Kinder) aus 50 Mitgliedern. Sie hat zwei Tochtergemeinden in Jaffna (Sri Lanka) und eine in Madurai (Südindien), die von ehemaligen Mitgliedern der Berliner Gemeinde geleitet werden. Die Berliner Gemeinde unterstützt vor allem sri-lankische Tamilen in Berlin und unterhält enge Beziehungen nach Südindien und Sri Lanka. Sie übernimmt viele soziale Dienste, z. B. Besuche von Kranken, Hilfe bei Behördengängen, Seelsorge. Zusätzlich zu den Sonntagsgottesdiensten findet jeden Freitagabend eine Gebetsstunde statt. Am Samstag wird gemeinsam gefastet.
Nach Aussagen des Pfarrers kamen alle Gemeindeglieder als Hindus nach Berlin. Er selbst stammt aus einer Priesterkaste. Gründe für den Übertritt in die Gemeinde sind wahrscheinlich in dem starken sozialen Engagement, das hier betrieben wird, sowie in dem Ablehnen kastenorientierter Vorschriften zu suchen. Mit der Konversion soll nach Aussagen des Pfarrers auch das Ablegen sämtlicher hinduistischer Traditionen verbunden sein. So werden z. B. tamilische Feste nicht mehr gefeiert, da man die christlichen übernommen hat, und hinduistische Speisevorschriften, wie der Verzicht auf Rindfleisch, werden abgelegt. Unter den Gemeindegliedern soll auch das Arrangieren von Hochzeiten zurücktreten, und dafür sollen überwiegend Liebeshochzeiten geschlossen werden. Dabei betonte der Pfarrer, dass die Konvertiten nicht gezwungen seien, ihre hinduistischen Traditionen hinter sich zu lassen, sondern dies meist im Laufe der Zeit von selbst tun würden.
Eine weitere tamilisch-freikirchliche Gemeinde in Berlin, die aus 60 Mitgliedern und 80 Besuchern besteht, ist die Open Door Mission Church in Reinickendorf. Sie wurde 1992 als Resultat einer Abspaltung von der Tamil Mission Church gegründet.
Die Katholisch-Tamilische Gemeinde
Jeden Sonntag treffen sich tamilische Katholiken aus Sri Lanka in der katholischen St. Marien-Liebfrauenkirche in der Wrangelstraße in Berlin im Anschluss an die Messe der deutschen Gemeinde. Aufgrund der geringen Zahl versammelt sich die Gruppe im Seitenschiff und wirkt ziemlich verloren in der großen, prunkvollen Kirche. Der Gottesdienst wird in tamilischer Sprache gehalten. Die etwas kühl wirkende Umgebung erfährt eine wärmende Veränderung, als sich die Gottesdienstbesucher anschließend zu einem tamilischen Essen in den Gemeinderäumen zusammensetzen.
Zu dieser katholischen tamilisch sprechenden Gemeinde gehören 82 Familien, von denen die überwiegende Anzahl aus dem Norden Sri Lankas stammt. Sie wird von einem tamilischen Priester in Westdeutschland betreut, der jeden ersten Montag im Monat nach Berlin kommt, um eine Messe zu halten. Es bestehen gute Verbindungen zu katholischen Gemeinden in Sri Lanka. Zur Frage der Konversion vom Hinduismus zum Christentum variieren die Aussagen. So meinen einige Vertreter der Gemeinde, dass die meisten Gemeindemitglieder bereits in ihrem Heimatland der katholischen Kirche angehörten. Andere Stimmen von Seiten einiger Hindus behaupten, dass die katholische Kirche den tamilischen Flüchtlingen Hilfe beim Beschaffen einer Aufenthaltsgenehmigung versprochen hat, wenn diese konvertieren.
Eine direkte Zusammenarbeit zwischen dieser Gemeinde und dem Hindu-Tempel existiert nicht, doch bestehen gute Kontakte zwischen tamilischen Hindu-Familien und tamilischen Christen. Zum einen besuchen einige tamilische Christen den Tempel für Murugan und praktizieren einzelne hinduistische Traditionen wie die Teilnahme an der Arati-Zeremonie und das Tragen von weißer Asche oder eines roten Kumkum-Punktes (Kumkum: roter Safran) auf der Stirn. Zum anderen kommt es auch zu vereinzelten Besuchen des katholischen Gottesdienstes durch Mitglieder des Murugan-Tempels. Berührungspunkte zwischen tamilischen Christen und Hindus gibt es auch bei christlichen und hinduistischen Festen, an denen man sich gegenseitig besucht. Auf meine Frage, warum viele ältere Frauen den Kumkum-Punkt auch in der Kirche tragen, obwohl er doch eigentlich zu den Symbolen des Hinduismus gehört, antwortete eine Frau, dass dieser Punkt die Stelle der Energiebündelung markiert und wichtig für die Konzentration auf Gott ist. Diese Erklärung, die hinduistische Wurzeln hat, wird nun auf die christliche Religion übertragen. Ein Beispiel für die Integration hinduistischen Gedankengutes in die christliche Lebenseinstellung ist auch die Aktivität einer Frau aus der katholischen Gemeinde: Sie besucht nach jedem Gottesdienst am Sonntag den hinduistischen Religionsunterricht bei einer tamilischen Hindu-Familie. Es sei noch ein hinduistisches Relikt in der Anrede Gottes genannt: Tamilische Christen beten zu „Kadawul“. Dieses tamilische Wort, dessen Bedeutung „außerhalb und innerhalb“ beinhaltet, meint den, „der transzendent und immanent ist“ und ist eine Bezeichnung für den hinduistischen Gott Shiva. Sie wurde von tamilischen Christen auf den christlichen Gott übertragen.
Tamilische Zeugen Jehovas
Im Königreichssaal in der Isarstraße in Berlin-Neukölln kommen jeden Sonntag Tamilen aus Sri Lanka zusammen, um an der Gottesdienstversammlung für tamilische Zeugen Jehovas teilzunehmen. Der Ablauf wird von einem deutschen Ehepaar geleitet, das die tamilische Sprache ausgezeichnet beherrscht. Die Gottesdienstbesucher sind, mit Ausnahme des Leiters und seiner Frau, alle Tamilen und stammen aus Sri Lanka. Zu Beginn erfolgt eine Ansprache in deutscher und tamilischer Sprache. Während die meisten der tamilischen Frauen im Unterschied zu den Frauen in der Pfingst- und der katholischen Gemeinde westliche Kleidung tragen, erscheint die Frau des Leiters in der traditionellen nordindischen Kleidung eines Shalwar Kamiz (lange weite Hose, langes Kleid mit einem Schal). Die Lieder werden in Tamil gesungen. Eine kurze Predigt erfolgt zweisprachig. Danach beschreiben die Besucher mit eigenen Worten die gelesenen Textabschnitte der tamilischen Ausgabe des Wachtturms, dieses Mal in deutscher Sprache. Nach der Versammlung begeben sich alle zu einer Familie nach Hause und kochen dort gemeinsam ein tamilisches Essen.
Neben der sonntäglichen Veranstaltung, zu der etwa 20 bis 40 Besucher erscheinen, treffen sich tamilische Zeugen Jehovas aus Sri Lanka auch am Dienstag- und Freitagabend zu speziellen Versammlungen. Sie bilden eine eigene Gruppe innerhalb der deutschen Gemeinde der Zeugen Jehovas in Neukölln. Ursprünglich tamilisch-hinduistische Traditionen werden in dieser Gemeinschaft begrenzt beibehalten. So tragen die Frauen zu Hause traditionelle indische Kleidung wie einen Sari oder einen Shalwar Kamiz, man kocht tamilisches Essen und pflegt traditionelle Umgangsformen zwischen den Familienmitgliedern. Eltern arrangieren zum Teil noch die Ehen ihrer Kinder und legen Wert darauf, dass die Ehepartner Zeugen Jehovas und Tamilen aus Sri Lanka sind. Dabei werden auch die Kontakte zu tamilischen Zeugen Jehovas aus anderen Städten genutzt. In Gelsenkirchen findet einmal im Jahr ein Kongress tamilischer Zeugen Jehovas statt. Nach Aussagen eines Mitglieds spielen Kastenunterschiede bei den Heiratsvermittlungen keine Rolle mehr, da nach Auffassung der Zeugen Jehovas soziale Unterschiede für zwischenmenschliche Beziehungen unbedeutend seien. Sehr wahrscheinlich werden diese sozialen Grenzen jedoch nur in wenigen Familien unbeachtet gelassen. Da es nach der Lehre dieser Religionsgemeinschaft verboten ist, neben Jehova andere Götter zu verehren, geschweige denn eine Gottheit bildlich darzustellen, sollten tamilische Zeugen Jehovas, die vorher Hindus waren, diese religiöse Tradition aufgeben. Inwiefern sie das wirklich tun, ist nicht nachzuprüfen.
Mitglieder oder Freunde der Zeugen Jehovas waren vorher Hindus oder kommen aus einer katholischen bzw. freikirchlichen Gemeinde. Zu ihren tamilischen Landsleuten pflegen sie, auch wenn diese weiterhin Hindus oder Mitglieder kirchlicher Gemeinschaften sind, gute Kontakte. Da sich Tamilen aus Sri Lanka in Berlin untereinander kennen, werden tamilische Zeugen Jehovas von ihren Glaubensbrüdern und -schwestern gezielt angehalten, an Haustüren mit tamilischen Namensschildern zu klingeln, um Tamilen für ihren Glauben zu gewinnen.
Konversion oder transnationale Erweiterung heimatlicher Traditionen
Die drei beschriebenen tamilischen Gruppen besitzen im Unterschied zur Gemeinde des sri-lankischen Hindutempels keine eigenen Räume, sondern nutzen Räumlichkeiten deutscher Gemeinden. Die Gottesdienste dienen nicht nur der Pflege religiöser Rituale, sondern sind auch soziokulturelle Treffen, bei denen man miteinander isst, sich austauscht, Probleme bespricht und bei denen die Kinder miteinander spielen. Allen drei Gruppen ist gemeinsam, dass ihre religiösen Schriften in Tamil verfasst sind und die tamilische Sprache als Kommunikationssprache dient. Es fällt weiter auf, dass tamilische Christen innerhalb der deutschen Gemeinden unter sich bleiben und eine ethnische und linguale – wenn nicht gar auch religiöse – Minderheit bilden. Viele tamilische Hindus und Christen kennen sich noch aus Sri Lanka und pflegen Kontakte untereinander. Unter den Mitgliedern des Murugan-Tempels sind oft die Gründe bekannt, warum tamilische Hindus zu christlich geprägten Gruppen konvertiert sind. Manche sagen: „Wenn Hindus ihre Religion richtig kennen würden, wären sie nicht zum Christentum übergetreten.“
Während in der katholischen Gemeinde hinduistische Traditionen wie das Tragen eines roten Punktes auf der Stirn oder das Feiern hinduistischer Feste teilweise noch beibehalten werden, hat man diese in der Gemeinde der Zeugen Jehovas und in der Tamil Mission Church weitgehend abgelegt. Der Unterschied liegt vermutlich darin begründet, dass die katholische Kirche in Sri Lanka bereits eine etablierte religiöse Gruppe darstellte. Während tamilische Katholiken als Kirchengemeinde nach Deutschland kamen und ein tamilisches Christentum, das durchaus hinduistische Elemente enthält, in der deutschen Diaspora weiterpflegen, sind die meisten Mitglieder der Feikirchen und der Zeugen Jehovas erst in Deutschland konvertiert. Vor allem bei den Leitern dieser Gemeinden zeigen sich Bestrebungen, die Mitglieder zum Ablegen hinduistischer Religionspraktiken zu bewegen. Das wird bei den Zeugen Jehovas besonders deutlich, zumal die Leiter aus einer nichthinduistischen Tradition stammen. Ein wichtiger sozial-integrativer Beitrag, den diese wiederum leisten – wenn auch aus missionarischen Gründen –, ist das Erlernen der tamilischen Sprache, das Kommunizieren in beiden Sprachen, das Tragen der traditionellen Kleidung und die Teilnahme am tamilischen Kochen und Essen.
Interessant ist die Frage, wie sich die Auffassung von der Konversion zum Christentum durch Übertritt und ein Bekenntnis zu Christus zu der Auffassung des Hinduismus verhält, dass derjenige Hindu ist, der in Indien geboren wurde. Ein Hindu kann demnach seine religiöse Herkunft nicht einfach hinter sich lassen, da mit dem Hindu-Sein mehr verbunden ist als ein Gottesbekenntnis. Dazu gehören zum einen die Abstammung aus dem „heiligen“ Mutterland Indien (hindi: Bharat Mata – Mutter Indien) bzw. Sri Lanka (tamil: Tamil Eelam – Goldenes Tamilland), den Geburtsstätten hinduistischer Götter, sowie zum anderen das Hineingeborensein in eine bestimmte Kaste oder soziale Gruppe, die sich durch spezielle Berufs-, Reinheits-, Heirats- und Speisevorschriften definiert. Man ist Hindu durch Geburt und nicht durch Bekenntnis.
Axel Michaels bezeichnet die Religion des Hinduismus auch als kognitives System oder religiöse Institution, die sich auf eine prinzipielle Austauschbarkeit und Identität der Glaubenssysteme verständigt hat.7 Das heißt, innerhalb des Hinduismus kann ein Hindu verschiedene Kulte und philosophische Systeme in sich vereinen. Er kann alles glauben und sich dennoch als Hindu bezeichnen. Er kann zwar einen christlichen Gott und Jesus Christus in den Mittelpunkt seiner Anbetung stellen, wird aber in Krisenzeiten, oder wenn sich die Gelegenheit bietet (z. B. auf Festen der Hindu-Freunde), vielleicht auch auf vertraute Götter zurückgreifen. Trotz christlichen Gottesbekenntnisses bleibt er mit seiner Herkunftsreligion verbunden, die sich durch mythologische, rituelle und soziale Komponenten und nicht durch ein bestimmtes Gottesbekenntnis definiert. Es stellt sich die Frage, ob man deshalb bei indischen und sri-lankischen Christen nicht von christlichen Hindus oder hinduistischen Christen sprechen muss.
Damit tut sich die weitere Frage auf, wie eine Konversion zu definieren ist. Ist damit eine Bekehrung gemeint – im Sinne der Verwandlung bisheriger Lebensweisen und einer freiwilligen Hinwendung des Lebens auf die Ziele der anderen Religion? Was beinhaltet der „Übertritt“ von einer Religion zur anderen? Nach christlichem Verständnis wäre es der Glaube an den Tod und die Auferstehung Jesu Christi, verbunden mit einer Taufe. Theologisch fraglich ist hier jedoch, ob eine „Bekehrung“ von Menschen, die bereits einer Religion angehörten, nicht in Wirklichkeit eine Integration neuer Glaubensweisen in die bisher gelebten darstellt, natürlich verbunden mit einer Selektion von Einstellungen oder Praktiken der alten Religion. In Bezug auf tamilische Christen aus Sri Lanka spricht Damaris Lüthi8 hier von einer transnationalen Erweiterung heimatlicher Traditionen. Gleichzeitig erhält die „auserwählte“ Religion neue Nuancen durch die neuen Mitglieder und deren religiöse und kulturelle Eigenheiten. Das heißt, mit Konversion ist zugleich immer ein Religionswandel verbunden. So erhält auch das Christentum durch die Konversion anderer ethnischer Personen oder Gruppen neue Facetten.
Liane Wobbe, Berlin
Anmerkungen
1 Nach telefonischer Auskunft des Statistischen Bundesamtes am 6.3.2007.
2 Tamilen heißen auch die Bewohner des südindischen Unionsstaates Tamil Nadu. Hier handelt es sich nur um die tamilische Bevölkerungsgruppe in Sri Lanka, deren Vorfahren sich im 6. und 7. Jahrhundert auf dieser Insel niederließen.
3 Martin Baumann, Von Sri Lanka in die Bundesrepublik: Flucht, Aufnahme und kulturelle Rekonstruktionen, in: Martin Baumann / Brigitte Luchesi / Annette Wilke (Hg.), Tempel und Tamilen in zweiter Heimat, Würzburg 2003, 41-73.
4 Als Gründe für die auffallende Konzentration in diesem Bundesland gibt Martin Baumann u. a. den Einreiseweg per Zug von Berlin in Richtung Westen, die zurückhaltende Abschiebepraxis in Nordrhein-Westfalen und die Möglichkeit an, in vielfältigeren Berufsbereichen als in anderen Bundesländern zu arbeiten. Demzufolge sind auch in diesem Bundesland, insbesondere im Ruhrgebiet, die meisten hindu-tamilischen Kultstätten zu finden (ebd., 50).
5 Ebd., 63, Anm. 28.
6 Ebd., 65.
7 Axel Michaels, Der Hinduismus. Geschichte und Gegenwart, München 1998, 34ff.
8 Damaris Lüthi, Heimatliche Traditionen im Exil bewahren: Hinduistische und christliche Religiosität tamilischer Flüchtlinge in Bern, in: Martin Baumann / Brigitte Luchesi / Annette Wilke (Hg.), a.a.O., 296.