Alexander Kühn

Christlicher Extremismus in Deutschland. Das Verhältnis der Partei Bibeltreuer Christen, Christliche Mitte, Priesterbruderschaft St. Pius und Zeugen Jehovas zum demokratischen Verfassungsstaat

Alexander Kühn, Christlicher Extremismus in Deutschland. Das Verhältnis der Partei Bibeltreuer Christen, Christliche Mitte, Priesterbruderschaft St. Pius und Zeugen Jehovas zum demokratischen Verfassungsstaat, Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 2016, 328 Seiten, 39,00 Euro.

Bei der vorliegenden Studie handelt es sich um eine Dissertation am Institut für Politikwissenschaft der Technischen Universität Chemnitz. Der verheißungsvolle Titel „Christlicher Extremismus in Deutschland“ weckt große Erwartungen, die Studie vermag aber nur bescheidene Ergebnisse zu liefern. Sie schwankt zwischen einer sachlich-pragmatischen Untersuchung und einem Plädoyer für den Laizismus. Der Verfasser ist davon überzeugt, dass Religion per se extremistisch sei. Er sieht ein Manko bei der Erforschung des religiös motivierten Extremismus: Während die Gefährdung des demokratischen Verfassungsstaats durch islamistische Gewalt vielfach im Fokus stehe, gelten christliche Gruppierungen als Quantité négliable.

Als Gegenstand der Analyse dienen zwei Kleinstparteien – die Partei Bibeltreuer Christen (PBC) und die Christliche Mitte (CM) – sowie die Priesterbruderschaft St. Pius X. (PB) und die Zeugen Jehovas (ZJ). Diese Gruppierungen werden nach gängigen Kategorien der Parteienforschung hinsichtlich Ideologie, Strategie und Organisation analysiert. Die Bewertung erfolgt graduell abgestuft als nicht extremistisch, semi-extremistisch oder extremistisch. Zentrale Fragen sind (69): Wird ein Gottesstaat oder eine Partizipation im Rahmen der Verfassung angestrebt? Wird Gewalt zur Erreichung der Ziele gebilligt oder abgelehnt? Ist eine Kooperation mit extremistischen Organisationen gegeben? Beinhaltet die interne Verfasstheit demokratische Mitwirkung und gewählte, transparente Körperschaften oder eine hierarchische Struktur?

Allein die PBC erhält in allen Kategorien die Beurteilung „nicht extremistisch“, wohingegen die CM, die Piusbruderschaft und die Zeugen Jehovas als semi-extremistisch mit Tendenz zum Extremismus bewertet werden.

Gemeinsam ist allen Gruppierungen, dass sie Gewalt zur Durchsetzung ihrer Ziele ablehnen. Dass die CM das Modell eines katholischen Staates anstrebt, die Piusbruderschaft Religionsfreiheit ablehnt und die Zeugen Jehovas keine demokratische Organisation verkörpern, sind wenig überraschende Erkenntnisse. Die Untersuchung mittels klarer Kategorien, die einen Vergleich erleichtern, ist aber ein Verdienst der Studie.

Nicht selten überschreitet der Verfasser das Thema seiner Arbeit und stellt unhaltbare Behauptungen auf wie z. B.: „In Abgrenzung zu PBC, PB und CM akzeptiert die WTG [Wachtturm-Gesellschaft/ZJ] die Evolutionstheorie“ (301f). Die Wachtturm-Gesellschaft erkennt jedoch die Evolutionstheorie keineswegs an, wie schon ein Blick in die Broschüre „Der Ursprung des Lebens“ zeigt (www.robbsn.de/zeugen-jehovas-fragen-und-antworten ). Zudem hantiert der Autor großzügig mit dem Vorwurf des Verfassungsverstoßes.

Hingegen ist dem Verfasser zuzustimmen, wenn er feststellt, dass der Einfluss der von ihm untersuchten Gruppierungen auf die deutsche Politik und Gesellschaft minimal und die Mitgliederzahl marginal sei (316). In keinem Verhältnis dazu stehen allerdings die Folgerungen, die Alexander Kühn aus seiner Untersuchung zieht. Es „trifft der Vorwurf, einen Nährboden für extremistisches Gedankengut zu legen, nicht nur die hier untersuchten Gruppen, sondern auch gemäßigte Gläubige“ (316). Er schreibt des Weiteren: „Gemäßigter Glaube ist ein Produkt aus säkularem Wissen, vereint mit Unwissen über die Schrift. Ihm mangelt es an ausreichendem Kenntnisstand …“ (316). Zu dieser Argumentation passt, dass der Verfasser Samuel Harris, Karlheinz Deschner, Michael Schmidt-Salomon, Richard Dawkins und andere Vertreter eines missionarischen Atheismus als Religionsexperten zitiert oder aber dem norwegischen Massenmörder Breivik christliche Motive unterstellt (12).

„Um die Funktionsfähigkeit der Demokratie sicherzustellen“, setzt sich der Verfasser für eine Zurückdrängung religiöser Überzeugungen in den privaten Bereich ein (320).

Er übernimmt falsche Tatsachenbehauptungen (z. B.: Die Bischofsgehälter „werden aus allgemeinen Steuergeldern finanziert“) und sieht die Kirche (sic!) als Staat im Staate (321). Gibt es nur eine? So wird aus einer Forschungsarbeit, die Kategorien der politikwissenschaftlichen Extremismusforschung auf christliche Randgruppen anwendet, schließlich ein schlecht recherchiertes Pamphlet für laizistische Forderungen.


Robert U. Giesecke, Königslutter