Christlicher Zionismus (historisch)
Der Begriff Zionismus spiegelt die Hoffnungen auf eine nationale Wiedergeburt in „Eretz Israel“ (dt. „Land Israel[s]“) wider und ist dem Namen des Jerusalemer Tempelberges Zion entlehnt, der zum Synonym für das ganze Land wurde. Der österreichisch-jüdische Schriftsteller Nathan Birnbaum (1864 – 1937) führte ihn 1880 als Selbstbezeichnung für die jüdische Nationalbewegung ein. Unter Zionismus sind allgemein diejenigen sozialen und politischen Bewegungen zu verstehen, die zunächst eine jüdische Besiedlung „Palästinas“ und schließlich die Gründung eines jüdischen Staatsgebildes anstreb(t)en. In Bezug auf die angestrebten Staatsgrenzen orientierte man sich an biblischen Verheißungen oder der Ausdehnung des Reiches Israel und bleibt damit vage (vgl. Gen 15,18; Ex 23,31; Ez 47,13-20). Verschiedene Strömungen des Zionismus unterscheiden sich durch ihre politischen und religiösen Motive.
Im jüdischen Zionismus hatten religiöse und endzeitliche Motive in der Gesamtschau nur eine nachgeordnete Bedeutung, auch wenn es dergleichen Gruppierungen durchaus gab. Die religionshistorische Begründung der Einheit von Volk und Land war allerdings auch hier tragend. Wie sehr jedoch auch die politischen Zionisten dem Heiligen Land verhaftet waren, zeigt die Absage des Zionistenkongresses 1903 an das Britische Uganda-Programm, in dem Teile Ostafrikas als neue jüdische Heimstätte angeboten wurden. Der politische Zionismus ist vorrangig in den Nationalstaatsdebatten im 19. und frühen 20. Jahrhundert sowie in der jüdischen Emanzipationsbewegung als Antwort auf den omnipräsenten Antisemitismus zu verorten und forderte einen eigenen Staat zur Lösung der sogenannten „Judenfrage“ (z. B. Theodor Herzl: Der Judenstaat, 1895). Der World Zionist Organisation zufolge sieht der gegenwärtige Zionismus seine Aufgabe in der Stärkung des Staates Israel, der Ansiedlung von Juden in Israel sowie der Förderung einer jüdisch-zionistischen Kultur.
Dagegen wurden im christlichen Zionismus von Beginn an religiöse und insbesondere eschatologische Motive deutlich. Anders als im jüdischen Zionismus, waren eigene nationalstaatliche Interessen hier nicht vordergründig. Vielmehr spielte für die Erfüllung der biblischen Verheißung (vgl. Jes 60,9-14) das „jüdische Volk“ in diesem heilsgeschichtlichen Deutungsrahmen eine essenzielle Rolle. Wesentliche Elemente in den endzeitlichen Vorstellungen waren neben der Sammlung und Rückführung der Juden nach Palästina die Wiederherstellung Zions (vgl. Sach 8,1-23), verbunden mit einer weltlichen Herrschaft, die Wiederkehr Christi auf Erden (vgl. 1. Kor 15,23-26) sowie der Beginn einer messianischen Zeit. Mitunter wurde auch eine allgemeine „Juden-Bekehrung“ (vgl. Röm 11,25ff) erwartet. Anders als in den Substitutionstheologien haben der Bund zwischen Gott und dem Volk Israel sowie die alttestamentlichen Verheißungen in diesen religiösen Lehren und Auslegungen weiter Bestand. Diese Form des Zionismus ist tief in den europäischen und amerikanischen Religionsgeschichten verwurzelt und bis heute eng mit spezifischen evangelikalen bzw. endzeitlich orientierten Kreisen verwoben.
Historische Vorläufer und Seitenstränge
Das christliche „zionistische“ Engagement reicht historisch weit zurück und steht mit einem aufflammenden Interesse für die hebräischen Texte seit der Renaissance und der Reformation in Verbindung. Seit jeher bildeten die Auslegung der Johannesoffenbarung sowie die Erwartung eines weltlichen und noch kommenden Königreichs Gottes seinen ideellen Kern. Bereits im 16. und 17. Jahrhundert gab es intensive Debatten über die Rückführung der Juden und ihre „Bekehrung“ im Zusammenhang mit dem Zeitpunkt der Parusie. So veröffentlichte beispielsweise der englische Arzt und religiös verfolgte Nonkonformist Francis Kett (ca. 1547 – 1589) 1585 sein Werk „The Glorious and Beautiful Garland of Man’s Glorification Containing the Godly Misterie of Heavenly Jerusalem“, das sich ausführlicher mit der Idee der Sammlung und Wiederansiedlung der Juden in Palästina beschäftigt. Zudem setzten sich im 17. Jahrhundert zahlreiche millenaristische Gruppen in England und auf dem Kontinent, aufgrund ihrer eigenen Naherwartungen, eindringlich mit diesen Fragen und ihren praktischen Folgen auseinander. In diesem Kontext errang der Kreis um den Amsterdamer sefardischen Gelehrten Menasseh ben Israel (1604 – 1657) im puritanisch regierten England 1655 unter Oliver Cromwell die Wiederzulassung der Juden, nachdem sie im Jahr 1290 aus dem Land vertrieben worden waren. In der Zulassungsdebatte findet sich das Argument, dass die Juden erst in sprichwörtlich alle Teile der Erde verstreut sein müssten (vgl. Dtn 28,64), bevor sie für ihre Rückführung gesammelt werden könnten. In den christlich-zionistischen Kreisen wurde in unterschiedlichen Theorien bisweilen die Judenbekehrung als eine Vorbedingung für die Wiederkehr Christi auf Erden und den Beginn der Endzeit formuliert und diskutiert, weswegen missionarische Bestrebungen befördert wurden.
Doch auch auf dem europäischen Festland und in Amerika beschäftigte sich in der Frühen Neuzeit ein weitverbreitetes Netzwerk von Gelehrten, religiösen Nonkonformisten und interessierten Persönlichkeiten in gehobenen Positionen mit der Vorstellung von der Sammlung und Rückführung der Juden in ihr „angestammtes Land“. Durch ideelle Überschneidungen von jüdischem Messianismus und christlichen Endzeiterwartungen entstanden partiell (auch durch persönliche Kontakte) jüdisch-christliche Wechselwirkungen. Exemplarisch ist hier der wohlhabende dänische Chiliast Oliger Paulli (1644 – 1714) zu nennen, der um 1700 eine messianische Weltherrschaft u. a. mittels Sendschreiben an Herrscher unterschiedlichster Länder propagierte und die Errichtung einer „wahren“ jüdisch-christlichen Kirche der „Jehovanen“ anstrebte. Dagegen war aus der Perspektive der lutherischen Orthodoxie die Bekehrung der Juden zwar verheißen (vgl. Röm 11,25f), die Hoffnung auf eine allgemeine Judenbekehrung, ihre Rückführung ins Land Israel und ihre herausragende Würdestellung wurden jedoch mehrheitlich als „chiliastisch“ abgelehnt – was nicht bedeutet, dass darüber nicht intensiv debattiert wurde.
Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts wurden in England unter neuen geopolitischen Vorzeichen verstärkt Diskussionen um eine jüdische Heimstätte in Palästina geführt, die von religiösen Argumenten begleitet wurden. In weithin rezipierten Publikationen wurde England ein besonderer Status in der Heilsgeschichte zugewiesen und das „englische Geschlecht“ als auserwählte Nation hervorgehoben – was durchaus dem imperialistischen Zeitgeist entsprach. In dieser Umgebung keimten Vorstellungen auf, die Briten seien ein Instrument zur Erfüllung des göttlichen Plans, wie in Thomas Witherbys „The Restoration of the Jews – the Crisis of all Nations“, oder gar die Nachfahren der Verlorenen Stämme Israels (vgl. 2. Kön 17,6), deren Zurückkommen spätestens seit dem Mittelalter ein gängiger Topos sowohl in jüdischen als auch in christlichen Endzeitszenarien war. Eine Zuspitzung dieser Theorien findet sich im Konstrukt des British Israelism oder auch Anglo-Israelism, das in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts (zeitungs-)öffentlich artikuliert und gesellschaftlich einflussreich wurde. Richard Brothers („A revealed knowledge of the prophecies and the times“, 1794), John Wilson („Lectures on Our Israelitish Origin“, 1840) und Edward Hine (u. a. „The British Nation identified with Lost Israel“, 1871, und „England‘s Coming Glories“, 1880) waren wichtige Vertreter in dieser Bewegung, die ihren Höhepunkt um das Jahr 1920 mit schätzungsweise 5000 Anhängern in England erreichte. Ihre Schriften und der Gedanke einer weltgeschichtlichen Sendung Großbritanniens und der Umdeutung und religiösen Aufladung der Genealogie des britischen Volkes waren jedoch einem weiteren britischen Mittelklasse-Publikum bekannt. Bereits 1891 erschien die mehrfach aufgelegte Aufsatzsammlung „British-Israel Truth“, die die Ideen der überkonfessionellen Bewegung systematisierte. Zentral war hier der Gedanke, dass in England die verborgenen Nachfahren eines oder gar aller Zehn Stämme als „hidden Israel“ (E. Hine) leben würden und das so verstandene „wahre Israel“ sich nun seiner eigentlichen Identität und Bestimmung, wozu auch die Rückführung der Juden gehörte, gewahr werden müsse. Allerdings blieb die Bewegung ohne einheitliche Doktrin, obgleich sich verbindende Elemente in der Periodisierung der Weltgeschichte (u. a. bei E. Hine mit prämillenaristischen Einflüssen), der endzeitlichen Bewertung der „Weltläufte“ sowie der beschriebenen Rolle der Juden im Heilsplan finden lassen.
Der Anglo-Israelism wurde in die USA exportiert und beeinflusste die US-amerikanische Ideologie der „White Supremacy“ sowie die nach dem Zweiten Weltkrieg entstehende „Christian Identity“-Bewegung, die jedoch anders als ihre britischen Vorfahren eine antisemitische Wendung vollzog.
19. Jahrhundert: Politisierung und Propagierung der zionistischen Idee
Unabhängig von seiner Sonderform im British Israelism war der britische christliche Zionismus im 19. Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts weit verbreitetes Gedankengut. Das gemeinhin historische und politische Interesse an Palästina, befördert durch die wissenschaftliche Palästinakunde und die (Reise-)Literatur, war hoch. Palästina galt gemeinsam mit Jerusalem als Sehnsuchtsort für Juden und Christen gleichermaßen. Zudem fiel in Großbritannien die verbreitete positive Haltung gegenüber einer „jüdischen Landnahme Palästinas“ zusammen mit einem geopolitischen Interesse und militärischer Durchsetzungsstärke in der Region.
Der Parlamentsabgeordnete und Sozialreformer Anthony Ashley Cooper (1801 – 1885) propagierte bereits in den 1830er und 1840er Jahren eine Rückführung der Juden – allerdings ohne realpolitische Auswirkung. Jedoch setzte er sich erfolgreich für die Einrichtung des Jerusalemer englisch-preußischen Bistums (1841 – 1886) ein und prägte den Satz „A land without people for a people without land“, der später zur zionistischen Losung wurde. Im Jahr 1868 wurde mit Benjamin Disraeli (1804 – 1881) außerdem ein jüdischer Konvertit zum britischen Premierminister gewählt, der sich im Angesicht der britischen Hegemonialbestrebungen im Nahen Osten positiv zur jüdischen Migration nach Palästina äußerte. Zudem versuchte, um noch ein drittes Beispiel zu nennen, im Jahr 1882 die einflussreiche und mitgliederstarke London Society for Promoting Christianity Amongst the Jews (London Jews Society – LJS) Königin Victoria von einer Ansiedlung der Juden in Palästina als Lösung für die antisemitischen Übergriffe in Osteuropa zu überzeugen. Die Hoffnungen auf eine Massenbekehrung zur Beförderung des Reiches Gottes kommen bereits im Namen des Missionsvereins zum Ausdruck.
Insgemein genossen christlich-zionistische Kreise, geprägt von biblischen Bildern und einer religiös begründeten untrennbaren Verbindung von Land und Volk, großen Einfluss auf die politische Kultur in Großbritannien (z. B. die Autorin George Eliot mit ihrem prozionistischen Roman „Daniel Deronda“, 1876) sowie in den USA (z. B. William E. Blackstone: „Jesus is Coming“, 1878; „Blackstone Memorial Petition“, 1891) und beeinflussten damit auch die politische Sprache. Das „Heilige Land“ galt in diesen (puritanischen) Milieus als die angestammte Heimstätte der Juden, die als Nachfahren des Alten Israel einen legitimen Anspruch auf das Land hätten. Die Balfour-Erklärung von 1917 ist wohl die bekannteste und eine sehr deutliche Ausdrucksform dieser Haltung in Großbritannien.
In dieses ohnehin positiv gestimmte sozio-religiöse Umfeld wirkten gewichtige Persönlichkeiten wie die prozionistischen Rothschilds oder der zionistische Führer Chaim Weizmann (1874 – 1952) hinein. Weizmann verstand es dabei, in seiner Lobbyarbeit bewusst mit biblischen Argumenten für die Umsetzung des zionistischen Projekts zu werben und damit gewisse Trigger zu stimulieren. Er pflegte u. a. Kontakt zu politischen Autoritäten wie Außenminister Arthur Balfour (1848 – 1930), Premierminister David Lloyd George (1863 – 1945), Premierminister Winston Churchill (1874 – 1965) und US-Präsident Henry S. Truman (1884 – 1972), wobei sich Letzterer als gläubiger Baptist später selbst als Kyrus, d. h. als Heilsbringer (vgl. 2. Chr 36,22f), in der Palästina-Frage bezeichnete und entsprechend heilsgeschichtlich deutete. Die Verknüpfung von religiösen Motiven mit politischen Zielen kann daher in diesem Zusammenhang als charakteristisch für den christlichen Zionismus seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert bezeichnet werden. Dieses Moment tritt später bei der Verbindung von christlichem Zionismus und der christlich-politischen Rechten (mit endzeitlichem Bekehrungsanspruch) hervor, die von John J. Mearsheimer und Stephen M. Walt 2006 als Teil der „Israel-Lobby“, einer in den USA einflussreichen Interessengruppe, bezeichnet wurde.
Theodor Herzl und William Hechler
Dem geschilderten sozialen Milieu entstammte der anglikanische Geistliche William H. Hechler (1845 – 1931), der für die internationale Sichtbarkeit des politischen Zionismus von Theodor Herzl von Bedeutung war. Die Beziehung der beiden Männer kann als typisch für die Wechselwirkung von jüdischem und christlichem Zionismus betrachtet werden.
Der „Urvater“ des politischen Zionismus Theodor Herzl (1860 – 1904) führte den Zionismus auf das politische Parkett und internationalisierte die sogenannte Judenfrage, indem er gezielt nach Unterstützung durch nichtjüdische Politiker und Monarchen suchte. Er lehnte den praktischen Zionismus, d. h. die Ansiedlung ohne vorherige politische Lösung mit internationaler Anerkennung, ab. Im Jahr 1897 organisierte er den Ersten Zionistischen Kongress in Basel mithilfe gut etablierter Vertreter pietistischer Zirkel vor Ort (z. B. Bernhard Collin-Bernoulli, Paul Kober-Gobat, Carl Friedrich Heman), die die „Judenbekehrung“ voranbringen wollten.
Auch die Familie William H. Hechlers hatte südbadische Wurzeln und gehörte, den Basler Pietisten verwandt, zum puritanischen Erweckungschristentum in England. Sein Vater und er selbst waren für die LJS tätig. Hechler vertrat ein heilsgeschichtliches Verständnis, in dem die alttestamentliche Landverheißung Geltung hatte und aus dem heraus er die Wiederherstellung des jüdischen Volkes und die Rückkehr nach „Eretz Israel“ erwartete (vgl. „The Restoration of the Jews to Palestine“, 1884, dt. Ausgabe 1896). Die Judenliebe, so Hechler, sei die Pflicht eines jeden Christen, da Jesus auch Jude gewesen sei. Hechler entwickelte eine zunehmend ablehnende Haltung gegenüber der aktiven Judenmission, da man dem endzeitlichen Geschehen nicht vorgreifen könne. Die Christen sollten den Juden jedoch die Migration und Landnahme in Palästina ermöglichen, da dies das Kommen des Messias beschleunigen werde. Auch hatte Hechler eigene endzeitliche Berechnungen angestellt und erkannte im Ersten Zionistenkongress 1897 in Basel eine Erfüllung seiner Vorhersagen.
In Wien, wo Hechler seit 1886 als Seelsorger in der britischen Botschaft aktiv war, nahm er – begeistert von der zionistischen Idee – Kontakt zu Herzl auf und wurde sein treuer Gehilfe. Durch seine frühere Anstellung am Hof des Großherzogs Friedrich I. von Baden lernte Hechler den späteren Kaiser Wilhelm II. kennen. An den Großherzog schickte er eine Ausgabe von Herzls „Judenstaat“ und organisierte ein Treffen zwischen ihm und Herzl in Karlsruhe. Hechler arrangierte zudem über seinen Kontakt zum Großherzog eine Audienz Herzls bei Kaiser Wilhelm II, um für das zionistische Projekt vorzusprechen. Diese wurde während der kaiserlichen Palästina-Reise 1898 realisiert, doch ging Hechlers Einfluss auf Herzl nach der Verweigerung der Unterstützung seitens des Kaisers zurück. Dennoch wirkte sich das Treffen positiv auf die Sichtbarmachung und politische Legitimierung des Zionismus aus. Gerhard Gronauer bezeichnete die Beziehung zwischen Hechler und Herzl als „Urform jener Beziehung, die bis heute zwischen proisraelischen Evangelikalen und jüdischen Israelis gepflegt wird“ (Gronauer 2009, 208.). In dieser symbiotischen Beziehung seien beide Seiten an ihrem Vorteil interessiert. Herzl versuchte bewusst, Nichtjuden von seinen Plänen zu überzeugen, und nutzte Hechler als Instrument, um politischen Einfluss zu nehmen. Im Gegenzug erwartete Hechler von Herzl die Erfüllung seiner Erwartungen und die Befriedigung seiner religiös-endzeitlichen Interessen.
Ausblick
Auch nach der Staatsgründung Israels 1948 blieb das Phänomen des christlichen Zionismus weiter bestehen. Heute fokussieren sich die Bestrebungen mehr auf eine politische und geistige Unterstützung und Legitimierung des Staates Israel. Dafür treten diverse Organisationen und Lobbygruppen tatkräftig ein und werben, wie auch andere Interessenvertretungen, bei politisch Verantwortlichen für ihr Programm. Die Vergabe des Postens des US-Botschafters in Israel, wie 1949 an den christlichen Zionisten James Grover McDonald, ist dabei eine mögliche Stellschraube. Der Einfluss der Lobbygruppen sollte jedoch nicht überbewertet werden, auch wenn sie unter der Präsidentschaft Trumps in den USA scheinbar an Stärke gewonnen haben, wie die weichere Position der US-Amerikaner gegenüber dem Siedlungsbau, der Umzug der US-Botschaft 2018 von Tel Aviv nach Jerusalem und die Anerkennung der Annexion der 1967 eroberten Golanhöhen zeigen.
„Die besten Freunde Israels sind seine christlichen Freunde“ (B. Netanjahu, 11/2019). Bis heute gibt es eine enge Verbindung und einen regen Austausch zwischen jüdischen und christlichen Zionisten, auch in Deutschland. Dies wird in diversen Programmen deutlich, z. B. der Organisation christlicher Reisegruppen aus den USA durch die israelische Regierung. Im Gegenzug leisten christliche Zionisten finanzielle und moralische Unterstützung bei zionistischen (Siedler-)Projekten, wie beispielsweise der US-Fernsehevangelist Larry Huch. Er und Jobst Bittner, der Gründer von „Marsch des Lebens“ und der Tübinger Offensive Stadtmission (TOS Dienste Deutschland e. V.), wurden 2020 für ihr Engagement vom israelischen Parlamentsausschuss für christliche Partner (Knesset Christian Allies Caucus) mit dem „Tourism Award“ geehrt. Auch hieran zeigt sich die enge Verwobenheit der Akteure. Dabei besteht die jüdisch-christliche Allianz trotz des Wissens um die teilweise entgegengesetzten Motive hinter dem Engagement, die von pragmatischen Interessen überlagert werden. Die Wahrnehmung „Palästinas“ als des Israel verheißenen Landes ist beiden gemeinsam. Jedoch unterscheiden sich die religiös gefärbten Deutungsmuster der christlichen Zionisten essenziell von ihren zionistischen Partnern in der Frage nach der Endzeit und dem Messias.
Unabhängig von Fragen einer politischen Instrumentalisierung behandelt der christliche Zionismus eine zentrale theologische Frage: Wie halten wir es mit der Geschichtstheologie? Im Alten und Neuen Testament ist das Handeln Gottes innerhalb der Profangeschichte realer Völker und Menschen zentrales Merkmal des Gottesbildes. Die endzeitliche Orientierung christlicher Zionisten mit der Vorstellung eines wie in biblischen Zeiten aktiv in das politische Tagesgeschehen einschreitenden Gottes erscheint den meisten Christen heute eher befremdlich. Für die Evangelische Kirche in Deutschland ist der Staat Israel zunächst ein Staatsgebilde, das seinen Bürgern dient und nicht theologisch überhöht werden sollte. Dennoch gibt es nach den EKD-Verlautbarungen eine spezielle Verbindung zu und eine besondere (historisch bedingte) Verantwortung gegenüber den Juden und ihrem Staat. Dem gegenüber steht der Rheinischen Synodalbeschluss von 1980 „Zur Erneuerung des Verhältnisses von Christen und Juden“, in dem u. a. Israel als das „Land der Verheißung“ und die Staatsgründung als „Zeichen der Treue Gottes gegenüber seinem Volk“ bezeichnet wurde. Diese konkreten politischen Aussagen lassen sich durchaus so lesen, dass sie einer christlich-zionistischen Weiterentwicklung Raum geben. Hier wie in anderen Landeskirchen und anderen Gruppen christlich-zionistischer Prägung in Deutschland und weltweit hängt die Bestimmung des Verhältnisses zu den Juden und dem Staat Israel von dem Verständnis und der eigenen Auslegung der Bibel ab.
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