Christsein im Pluralismus. Ein Orientierungsversuch in der religiösen Gegenwart
Karl Eberlein, Christsein im Pluralismus. Ein Orientierungsversuch in der religiösen Gegenwart, Theologische Orientierungen 1, LIT Verlag, Berlin 2006, 332 Seiten, 19,90 Euro
Die Rechenschaft des christlichen Glaubens im Kontext religiös-weltanschaulicher Vielfalt bedarf der theologischen Reflexion. Der Autor schreibt aus der Perspektive seiner langjährigen Tätigkeit als Gemeindepfarrer in einer mittelfränkischen Kirchengemeinde. Gleichzeitig formuliert er seine Überlegungen aus der Kenntnis der verschiedenen religiösen Bewegungen als nebenamtlicher Dekanatsbeauftragter für Weltanschauungsfragen. Eberlein will seinen Beitrag als Hilfestellung für die Gemeinde und für Orientierungssuchende verstanden wissen. Sein leitendes Interesse ist, die biblische Grundmelodie der Freiheit zum religiös-weltanschaulichen Pluralismus ebenso dialogisch wie kritisch in Beziehung zu setzen. Dabei legt er einen apologetischen Entwurf vor, der sich nicht nur von diffusen religiösen Vorstellungen unserer Zeit abgrenzt, sondern deutlich und anschaulich expliziert, worauf sich christliche Hoffnung gründet. Das Buch ist für den kirchlichen „Hausgebrauch“ gedacht – inmitten einer Volkskirche, einer „Gestaltungsform von Kirche“, die „offene Grenzen hat und Raum lässt für ‚undeutliche Gäste’“ (3).
Jedes Kapitel beginnt mit einer persönlichen Annäherung des Autors: Eigene Erlebnisse oder Szenen, zum Teil dem Gemeindealltag entnommen, verleihen den nachfolgenden theologischen Überlegungen Realitätsnähe und Anschaulichkeit.
Nach einer kurzen Einleitung setzt die Studie mit „Orientierungsversuche(n) in der religiösen Gegenwart“ (7-40) ein. Hier spürt der Autor den Veränderungsprozessen in der religiösen Gegenwartskultur nach, die sich nach seiner Beobachtung auch innerhalb der eigenen Gemeindepraxis vor Ort abzeichnen. Dabei gewinnen, neben „innerchristlichen Ausdifferenzierungen“, die Präsenz des Islam als außerchristliche Religionsform sowie die Rezeption fernöstlicher Ideen und Praktiken wie Feng Shui, Yoga oder die Reinkarnationsidee westlicher Provenienz eine besondere Relevanz. Im Vordergrund stehen jeweils Anbieter und Angebote. Ein Blick auf die „Nutzer“ hätte hier noch manches vertiefen und individuelle Motivlagen noch profilieren können. Das dritte Kapitel wendet sich der „Kirche im Wandel der Zeit“ (41ff) zu. Hier erfolgt eine religions- und christentumsgeschichtliche Analyse. So erblickt der Verfasser in der hellenistischen Kulturepoche bereits einen Vorläufer des heutigen Pluralismus. Gleichwohl möchte er dies nicht als nostalgische Rückschau auf die christliche Einheitskultur verstanden wissen. Die Kraft des Christlichen müsse sich heute anders bewähren als in einer nur abgrenzenden Identitätssicherung (65). Hierzu verweist er auf das christliche Symbol des Kreuzes. So plädiert er dafür, den Dialog ausgehend von der Kernbotschaft des Evangeliums zu führen, das Gott als befreiende Macht der Liebe und Versöhnung offenbart (66). Davon ausgehend entwickelt er im vierten Kapitel „Die Christen und die ‚anderen‘“ konkrete Schritte für das gegenseitige Begegnen und Verstehen (67ff). So fragt er im Blick auf die Exklusivität Jesu Christi: „Könnte es nicht so sein, dass die Unvergleichlichkeit Jesu Christi gerade darin besteht, dass er mit seiner Liebe niemand verloren sein lässt – auch nicht die, die sich nicht direkt zu ihm bekennen und ihm nachfolgen?“ (73) Damit berührt er Aspekte einer Allversöhnungslehre, die an späterer Stelle noch genauer akzentuiert und theologisch reflektiert werden.
Bei der Begegnung von unterschiedlichen Religionen und Weltanschauungen, die von unterschiedlichen Totalperspektiven ausgehen, plädiert Eberlein im Anschluss an Andreas Feldtkeller für einen „mutualen Inklusivismus“ sowie für ein Unterscheidungs- und Differenzierungsvermögen, das aus christlicher Sicht auf Christus verweist: „Wir sind als Christen nicht die Wahrheitsbesitzer. Wir bleiben irrende Menschen wie alle anderen auch. (...) Zugleich jedoch sehen wir uns von einer Wahrheit in Anspruch genommen, die als ‚Wahrheit in Peson’ verstanden werden kann und die mit der Art unseres Verstehens oder Irrens nicht steht und fällt. Diese Wahrheit ist ‚extra nos’, also außerhalb unserer selbst.“ (78) Im Unterschied dazu werden die Konfessionen innerhalb der christlichen Glaubensfamilie auf das gemeinsame Bekenntnis zum gekreuzigten und auferstandenen Christus verwiesen.
Das fünfte Kapitel des Buches analysiert „Leitbegriffe religiös-weltanschaulicher Gegenwartskultur“ (87ff): Weltanschauung und Religion, Religion und Säkularismus, Weltreligionen, „Sekten“, Trends und Strömungen sowie Esoterik. Mit Begriffsklärungen und differenzierten Wahrnehmungen der weltanschaulich-religiösen Lage der Gegenwart wird ein Weg zwischen den Extremen aufgezeigt, der mit Leitlinien wie Verbindlichkeit, Dialog und Unterscheidung umrissen wird. Sektenhaften Verengungen und „Vergleichgültigungs- und Veroberflächlichungstendenzen“ wird eine christliche Spiritualität der Freiheit gegenübergestellt (145). Unter der Überschrift „Heilsame Erinnerungen“ wird an ein biblisch fundiertes christliches Profil erinnert (187ff). Der Ruf in die Freiheit erweist sich als „Leitthema christlicher Orientierung“ (194). Die Kraft des Christlichen könne nur in der befreienden Macht der Liebe und Versöhnung bestehen (210). Das siebte Kapitel entfaltet theologische Vertiefungen (213ff). Darin kommt der Gott der Freiheit ebenso wie der dunkle Gott zur Sprache. Ausgehend vom biblischen Befund wird der Teufel nicht als Person, sondern als ein „Es“ verstanden: „Es gibt nicht den Teufel als Person und Gestalt. Es gehört zur Ent-Göttlichung des Teufels in der Vision Jesu, dem Teuflischen nicht die Würde einer Person zuzuerkennen.“ (227) Der Verfasser weicht auch der theologisch umstrittenen Frage der Allversöhnung nicht aus. So wendet er sich entschieden gegen eine damit verbundene „Drohperspektive“ (253). Aus neutestamentlicher Perspektive ergibt sich für ihn folgendes Bild: „Ein absoluter Gerichtshorizont tut sich auf, solange unser menschliches Wollen und Vollbringen im Blick ist. Sobald aber konsequent auf den befreienden und rettenden Gott geschaut wird, ergibt sich eine andere Perspektive.“ (257f) So will er abschließend keiner Allversöhnungslehre das Wort reden, aber ein Vertrauen zum Ausdruck bringen, „dass Gott schließlich und endlich alles mit sich versöhnt.“ (264) Im weiteren Verlauf kommen auch Themen christlicher Eschatologie zur Sprache und werden im Gegenüber zu spiritistischen Jenseitsvorstellungen und heutigen Nahtoderlebnissen christologisch profiliert (276ff). Am Beispiel von 1 Kor 15 illustriert der Autor die christliche Hoffnung über den Tod hinaus: „Die in menschlichen Ekstasen, spiritistischen Annäherungen oder in Nahtod-Visionen geschauten oder erahnten Jenseitswelten haben immer etwas Mehrdeutiges an sich. Wenn man die entsprechenden Zeugnisse miteinander vergleicht, dann ist keineswegs klar, ob in einer jenseitigen Welt die befreiende Liebe alles bestimmt oder ob dieses Jenseits eher zum Fürchten ist oder ob in Fortsetzung unserer irdischen Fortschrittsbemühungen die alte Mühe und Plage endlos weitergeht, bis vielleicht irgendwann die höchste Stufe der nachtodlichen Entwicklung erklommen ist. Im Unterschied dazu geht es dem Apostel um eine Vereindeutigung des Jenseits in der Konsequenz der österlichen Auferstehungsbotschaft.“ (283) In diesem Zusammenhang setzt sich der Verfasser mit der von älteren Theologen vertretenen „Ganztod-Vorstellung“ sowie mit der als Alternative gängigen Annahme einer Unsterblichkeit der Seele kritisch auseinander und verweist auf die zentrale Bedeutung der Auferstehung Jesu Christi. Er bringt dabei sein Vertrauen auf eine „leibhaftige“ Auferstehung zum Ausdruck, die in der Auferstehung Christi „vorabgebildet“ ist (290).
Der letzte Abschnitt „Der Eine und der dreifaltige Gott“ konzentriert sich auf trinitarische Aussagen des christlichen Glaubens. Der Autor setzt ein mit einem persönlichen Erlebnis aus seiner Schulzeit und konstatiert: „Die Rede von der Dreieinigkeit des Einen Gottes kann und darf nicht nur etwas für theologische Gedankenakrobaten sein.“ (291) So schlägt der Verfasser zum heutigen besseren Verständnis vor, „nicht von einem Gott in drei Personen zu reden, sondern von dem einen Gott, der auf eine dreifaltige Weise – und somit gleichsam in verschiedenen ‚Rollen’ – wirkt.“ (305) Von daher erblickt er in der Rede von der dreifachen Wirkweise Gottes für die religiös-weltanschauliche Gegenwartslage ein höchst aktuelles Thema, da diese jeweils verkürzt oder vereinseitigt wird, indem Gott entpersonalisiert, seines befreienden und liebenden Charakters und letztlich seines Weltbezugs beraubt wird (308). Die Analyse mündet ein in das Plädoyer für eine nicht nachlaufende, sondern nachgehende Kirche (Chr. Möller), die nicht sich selbst bauen oder rühmen will.
Das Buch entwickelt im kritischen Dialog mit den verschiedenen Facetten weltanschaulich-religiöser Gegenwartskultur neue befreiende Perspektiven für ein Christsein im Pluralismus. Dieser weltanschauliche Pluralismus wird als Herausforderung für die Kirche positiv aufgenommen. Mit dem Rückbezug auf Grundelemente einer „biblischen Dogmatik“ (Friedrich Mildenberger) nimmt der Autor notwendige theologische Klärungen vor, die sich als wichtige Hilfestellungen für die Kirche wie auch für Orientierungssuchende erweisen. Zugleich schärft er den Blick für den religiös-weltanschaulichen Gegenwartsbezug des evangelischen Zeugnisses. Mit leidenschaftlichen und heilsamen Erinnerungen an die Grundmelodie der biblischen Tradition entwirft er Konturen christlicher Freiheit. Das große Verdienst dieses Buches liegt in der Schärfung eines evangelischen Profils, das mit seiner klaren biblischen Orientierung Christen auskunfts- und dialogfähig macht.
Matthias Pöhlmann