Coaching-Branche zwischen Boom und Kritik
(Letzter Bericht: 12/2005, 471f). Coaching-Dienstleistungen sind heute in der Wirtschaft fest etabliert. In jedem größeren Unternehmen gehört Coaching zum Standardinstrument der Personalentwicklung – auch wenn im Einzelnen gar nicht klar ist, was genau ein Coaching leistet, welche Wirkfaktoren eine Rolle spielen und wie gewünschte Änderungsprozesse angestoßen werden. Immerhin wies eine Befragung bei 261 Unternehmen im Jahr 2004 nach, dass bereits 81 Prozent Coaching einsetzen. Im selben Jahr gaben 88 Prozent von 70 befragten Personalentwicklern an, dass Coaching in den kommenden Jahren weiter an Bedeutung gewinnen werde.
In einem gerade veröffentlichten Aufsatz hat sich Christopher Rauen kritisch mit dem Boom und auch mit der Kritik daran auseinandergesetzt (Märchen, Mythen, Meinungen. Manager-Seminare 106/2007, 50-55). Zunächst stellt er fest, dass die Coaching-Nachfrage von Firmen und Selbstständigen in den letzten Jahren stetig gewachsen sei. Dadurch habe eine wohltuende Professionalisierung eingesetzt. Coaching-Einkäufer seien kritischer und wählerischer geworden. Den häufig ausgesprochenen Vorwurf, dass viele Coaches nur deshalb Coaching-Ausbildungen anbieten, weil sie von Coaching allein nicht leben könnten, weist Rauen als unhaltbar zurück. Allerdings erleichtere die Undurchsichtigkeit des Marktes es unseriösen Anbietern mitzuverdienen. Hier fordert Rauen auf, Kritik deutlicher und lauter publik zu machen: „Was unseriösen Anbietern tatsächlich die Arbeit erleichtert, ist die Möglichkeit, über Jahre aktiv zu sein, ohne dass nennenswerte Kritik dazu öffentlich wird – ja, ohne überhaupt in irgendeiner Form größere Aufmerksamkeit zu erzeugen“. Dazu sollte auch die Möglichkeit, sich bei Beratungsstellen über Anbieter zu informieren, mehr genutzt werden: „Die Sekten- und Weltanschauungsbeauftragten der Kirchen, Verbraucherschutzeinrichtungen und die Industrie- und Handelskammern sind oftmals gut darüber im Bilde, wenn ein Anbieter wiederholt durch unseriöses Gebaren auffällig geworden ist“.
Darüber hinaus weist Rauen auf einen weiteren wesentlichen Faktor hin, der unseriöse Praktiken begünstige: eine „nicht zu unterschätzende Nachfrage nach Humbug. Egal, ob es sich um Horoskope, Handlesen, Tarotkartenlegen oder das Einschätzen der Persönlichkeit anhand der Schädelform handelt – entsprechende Angebote werden nachgefragt. Nachfrage erzeugt wiederum Angebot. Im Wechselspiel von Angebot und Nachfrage entstehen Märkte“. Rauen appelliert daran, ein öffentliches Bewusstsein dafür zu entwickeln, und bittet die Medien um mehr Mut, über Missstände zu berichten. Auch die Auftraggeber sollten sich kritisch hinterfragen, welche Zielsetzungen sie verfolgen und ob die vollmundigen Versprechen diverser Anbieter wirklich zielführend seien. An dieser Stelle ist auch die Mithilfe der kirchlichen Weltanschauungsarbeit gefragt.
Michael Utsch