Coachingmarkt sucht Struktur und Qualität
(Letzter Bericht: 10/2005, 372ff und 374ff) In einer immer komplexer werdenden Lebens- und Arbeitswelt ist der Bedarf an professioneller Beratung und Begleitung angewachsen. Im deutschsprachigen Raum zählen Experten mittlerweile weit über 200 verschiedene Ausbildungsinstitute mit sehr unterschiedlichen Profilen. Hier stellt sich die Frage, ob der in den letzten Jahren stark expandierte Markt einer primären Nachfrage von Klienten entspricht – oder eher der günstigen Gelegenheit, in einem modischen und unklar definierten Berufsfeld mitzuverdienen. Ein unübersichtlicher Markt benötigt Qualitätskriterien. So verlangt etwa ein Berliner Institut das Mindestalter von 35 Jahren und Berufserfahrung, um zu gewährleisten, Führungskräften „auf gleicher Augenhöhe“ begegnen zu können. Während dort 180 Stunden Ausbildung zu absolvieren sind, in der neben der Wissensvermittlung die Selbsterfahrung einen wichtigen Baustein bildet, reichen anderen Instituten drei Wochenend-Seminare. Deshalb sind Initiativen zu begrüßen, die den diffusen Ausbildungsmarkt der Coaching-Angebote strukturieren und professionelle Standards setzen wollen – durch geregelte Ausbildungen, Qualitätskriterien und ethische Selbstverpflichtungen.
Die unübersichtliche Lage wird allerdings dadurch nicht besser, dass in den letzten Jahren unterschiedliche Berufsverbände entstanden sind, die sich alle als Dachverband für Coaching ansehen (2001 die deutsche Sektion der International Coaching Federation; 2002 der Österreichische Dachverband für Coaching; 2003 der Deutsche Verband für Training und Coaching; 2004 Open Coaching, Professional Coaching Association, Qualitätsring Coaching, Deutscher Bundesverband Coaching). Diesem Trend folgend, haben im letzten Jahr große Therapieverbände gleichfalls begonnen, eigene Zertifizierungen anzubieten – so die systemische Familientherapie oder die Deutsche Gesellschaft für Supervision.
Ob es zu einheitlichen Absprachen und verbindlichen Regeln unter einem Dach kommen wird, ist zu bezweifeln. Zwar trafen sich auf Initiative des Deutschen Bundesverbands Coaching im September erstmals zehn Verbände zu einem „Gipfeltreffen ihrer Spitzenvertreter“. Die in „offener und vertrauensvoller Atmosphäre“ stattgefundene Tagung sei ein Meilenstein in der Entwicklung des Coachings gewesen, berichteten die Veranstalter. Jedoch differieren Herkunft, Zielrichtung und Methoden der verschiedenen Verbände in einem so hohen Maß, dass ein gemeinsamer Nenner schwer zu finden sein dürfte. Im Verband Qualitätsring Coaching haben sich z. B. neben anderen so unterschiedliche Konzepte wie das Neurolinguistische Programmieren, Team F (christliche Ehe- und Familienberatung), die Deutsche Gesellschaft für Pastoralpsychologie und die European Coaching Association zusammengeschlossen, denen laut eigenen Angaben besonders die festgelegten ethischen Wertmaßstäbe am Herzen liegen. Wie sollen jedoch Methoden und Weltbilder von charismatischer Gebetsseelsorge, ankerndem Mentaltraining und psychoanalysierenden Theologen miteinander verbunden werden? Und während in der ethischen Selbstverpflichtung dieses Verbandes ausführlich das Menschenbild („Menschenwürde, freie Selbstbestimmung“) reflektiert und sektenähnliche Organisationen und Scientology-Methoden ausdrücklich abgelehnt werden, hat zumindest schon ein Mitglied des Qualitätsring Coaching, die European Coaching Association, ziemliche Konflikte produziert. In einem Überblick über neue religiöse Gruppierungen, Sekten und Psychogruppen wird sie als ein „Vertreter der sich wissenschaftlich gebenden Psychoszene“ vorgestellt (H. Hemminger in: G. Gehl, M. Neff [Hg.], Psychomarkt Deutschland, Weimar 2005, 31f).
Bleibt zu hoffen, dass sich die Anbieter im Marktgedränge durch mehr Transparenz zumindest grob unterscheiden lassen und dadurch dem Interessenten die Auswahl erleichtert wird. Es muss ja nicht nur eine „Kirche“ geben ...
Michael Utsch