Kathryn Rountree (Hg.)

Contemporary Pagan and Native Faith Movements in Europe

Kathryn Rountree (Hg.), Contemporary Pagan and Native Faith Movements in Europe. Colonialist and Nationalist Impulses (European Association of Social Anthropologists, 26), Berghahn Books, New York 2015, 315 Seiten, 90,20 Euro.

Kathryn Rountree befasst sich als Ethnologin seit mehreren Jahren intensiv mit Neopaganismus auf Malta. Dieser Inselstaat bildet einerseits aufgrund seiner prähistorischen Megalithbauten einen wichtigen Bezugspunkt für neopagane Weltanschauungen, anderseits ist das Land wie kaum ein anderes durch die katholische Kirche geprägt.

Der hier vorzustellende Band bietet in dieser gebündelten Form wohl noch nicht gebotene Einblicke in zeitgenössische Formen des Neopaganismus in Europa. Unter dem für ihre Forschungen in Malta so wichtigen Motto „the context is everything“ (1) – der Rezensent möchte einmal etwas frei übersetzen „der Zusammenhang macht‘s“ – versammelt die Herausgeberin dreizehn Beiträge. Diese widmen sich überblicksartig der Situation in einem Land oder präsentieren Fallbeispiele. Die Autorinnen und Autoren der Beiträge schreiben meist aus einem positiv distanzierten Verhältnis zu ihrem Untersuchungsgegenstand. Es finden sich jedoch auch Beiträge, insbesondere Francesca Ciancimino Howells Beitrag über Italien, die durchaus eine persönliche Nähe zum Gegenstand durchscheinen lassen. Die regionalen Schwerpunkte des Bandes liegen auf Nord, Ost- und Südeuropa. Die nordeuropäischen Länder sind mit Beiträgen über Norwegen, Schweden und Dänemark vertreten. Der Beitrag zu Norwegen befasst sich mit Neoschamanismus unter den Sami. Die Beiträge zu Osteuropa widmen sich der Tschechischen Republik, Russland, insbesondere der dortigen Revitalisierung des sibirischen Schamanismus, Estland und Ungarn. Südeuropa ist mit einem Artikel repräsentiert, der sowohl die Situation in Spanien als auch die in Portugal beschreibt, ebenso finden sich Beiträge zu Italien und Malta, wobei letztgenannter von der Herausgeberin stammt. Westeuropa ist nur mit Texten zu Irland und dem flämischen Teil Belgiens vertreten. Es verwundert, dass England und Schottland keine Beiträge gewidmet wurden, insbesondere wenn man bedenkt, welch zentrale Rolle diese Länder für bestimmte Traditionslinien des selbsterklärten Paganismus einnehmen. Erinnert sei hier nur an Wicca und andere Spielarten des modernen Hexentums oder an Stonehenge als quasi kanonischer Pilgerort der Szene. Mitteleuropa ist, wenn von der Tschechischen Republik abgesehen wird, die als postsozialistische Transformationsgesellschaft Osteuropa zugeordnet werden soll, nur mit Deutschland vertreten, wobei sich der Beitrag von Victoria Hegner auf die Szene in Berlin konzentriert. Keine Berücksichtigung finden in diesem Band Frankreich und die Niederlande.

Neben der Einleitung von Kathryn Rountree, die auf Probleme hinsichtlich der Forschungsmöglichkeiten in den entsprechenden Szenen hinweist, bietet der Band keine weiteren systematisch ausgerichteten Beiträge, die beispielsweise übergreifende Fragestellungen thematisieren würden wie Genderfragen oder die Präsentation neopaganen Gedankengutes in Internet, in populärer Musik oder in Filmen. Letztlich kann dies als eine Folge der Prämisse des Bandes verstanden werden, die darin besteht, dass der „Kontext alles ist“. Unter dem Kontext wird von den Autorinnen und Autoren des Bandes primär das soziokulturelle Umfeld des jeweiligen Nationalstaates verstanden, in dem die Szene sich ausbildete. Von einem solchen Ansatz ausgehend tritt die Repräsentation hinter der jeweils neu kontextualisierten Rezeption zurück, und „die“ Repräsentation an sich verliert an Bedeutung.

Es können hier nicht alle Beiträge vorgestellt werden. Daher soll sich auf Victoria Hegners Beitrag zur Situation in Berlin beschränkt werden. Der Beitrag, der primär auf Interviews basiert, die die Autorin mit Géza von Neményi und mit in Berlin praktizierenden neuen Hexen geführt hat, stellt zwei unterschiedliche neopagane Richtungen vor, die sich in Berlin finden lassen. Die Autorin ordnet sie in ein chronologisches Schema ein. Zunächst sei für die 1980er Jahre von Neményis rekonstruktiver germanisierender Neopaganismus in Berlin auszumachen, und diesem folgte eine verstärkte Rezeption von Hexenkonzepten Starhawks und des britischen Wicca in der Berliner Szene der zweiten Hälfte des Jahrzehntes. Dabei geht die Autorin der Frage nach, wie sich das jeweilige Verhältnis zu germanischen oder vermeintlich germanischen Motiven gestaltet und wie sich gegenüber anderen Religionen und dem rechtsradikalen politischen Spektrum positioniert wird. Wenn die Autorin auf die Besonderheit der Stadt Berlin verweist, so fragt sich der Rezensent, ob dieser Verweis wirklich dazu beiträgt, das Phänomen Neopaganismus in Deutschland besser zu verstehen, oder ob damit nicht selbst zur Mythenbildung um das Besondere der Stadt Berlin beigetragen wird.

Letztlich verdeutlicht der Aufsatz Hegners auch Grundprobleme der Forschung in neopaganen Kontexten. Die Szenen sind klein und hochgradig individualisiert. Gleichzeitig besteht nicht selten eine Spannung zwischen der Selbstwahrnehmung der Informanten hinsichtlich ihrer Positionierung innerhalb der Szene und Außenperspektiven auf ihre Positionierung. Hinsichtlich des Beitrages hätte der Rezensent es wünschenswert gefunden, wenn die Autorin die Interviews stärker in Bezug zu weiteren Quellen gesetzt hätte. Dadurch wäre ein kritischerer Zugang ermöglicht worden, bzw. die Autorin hätte stärker thematisieren sollen, dass es sich bei dem präsentierten Bild primär um die Rekonstruktion der Binnenperspektiven der Interviewpartner handelt.

Der Band gewährt, wie eingangs erwähnt, erstaunliche Einblicke in Szenen, die für Außenstehende zumeist schwer zugänglich sind. Seine Stärken liegen sicherlich darin, dass die Beiträge sich einerseits auf einen aktuellen Stand beziehen, andererseits auch Literatur in den jeweiligen Landessprachen erschließen, die insbesondere hinsichtlich der ost- und nordeuropäischen Länder schwer zugänglich sind. Der Rezensent hätte sich aber eine systematischere Gewichtung der Beiträge gewünscht. Diese hätte nicht nur Einblicke, sondern auch einen gewissen Überblick bieten sollen. Ein genereller Überblick bleibt leider aus, da für neopagane Bewegungen wichtige Länder nicht mit eigenen Beiträgen berücksichtigt werden und einige Beiträge, wie der auf Deutschland bezogene, extrem eng fokussiert sind. So ist das Buch doch eher für Personen von Interesse, die stark spezialisierten Fragen nachgehen. Diese können hier jedoch in einigen Beiträgen Erstaunliches entdecken.


Harald Grauer, Sankt Augustin