Gesellschaft

Corona und „Black Lives Matter“-Bewegung verstärken und normalisieren Antisemitismus

Der „Community Security Trust“ (cst.org.uk), eine britische gemeinnützige jüdische Organisation, die unter anderem Sicherheitskonzepte zum Schutz von Synagogen, Moscheen und Kirchen erarbeitet, hat untersucht, wie sich Antisemitismus als Reaktion auf die Corona-Pandemie in sozialen Medien verbreitete.1 Betrachtet wurden Twitter und Facebook, aber auch entlegenere Plattformen wie 4Chan und Gab, auf denen mehrere rechtsextreme Attentäter der letzten Monate schrieben und wo sie bis heute gefeiert werden. Insbesondere die coronabedingte Zunahme von Verschwörungstheorien fungiere demnach als Dünger für Judenhass.

Die Studie identifiziert fünf bestimmende Topoi: 1. Das Coronavirus existiere nicht, sondern sei eine Täuschung, die von Juden verbreitet werde, um der Welt zu schaden oder Geld zu verdienen. 2. Das Virus sei real und das Ergebnis einer jüdischen Verschwörung. Die Begründungen variieren von finanziellen Interessen bis zur Behauptung, Israel habe das Virus geschaffen, um China zu beschuldigen und einen Weltkrieg auszulösen. 3. Juden seien die Hauptverbreiter des Virus („super spreaders“). In Britannien waren tatsächlich einige jüdische Communities (wie auch einige andere ethnische Gruppen) unter den Corona-Toten überrepräsentiert. 4. Man feiert den Tod von Juden, die am Virus starben. 5. Man ruft dazu auf, Juden gezielt zu infizieren, um sie zu töten. („If you have the bug / Give a hug / To spread the flu / To every Jew“). Außerdem kam es in der Corona-Zeit zu Störungen von Online-Holocaustgedenkveranstaltungen. Unbekannte traten Zoom-Meetings bei und zeigten dort Hakenkreuze und pro-palästinensische Slogans.

Wie für Verschwörungstheorien typisch, können auch solche, die einander widersprechen, von den gleichen Personen geglaubt und verbreitet werden. In vielerlei Hinsicht handele es sich um eine Neuauflage des immerwährenden Phänomens, dass in Krisenzeiten Schuldige gesucht und in den Juden gefunden werden. Gerade die Verbindung von Antisemitismus und Krankheit habe eine lange Tradition, wie die mittelalterlichen Pestpogrome oder die Nazi-Formel vom jüdischen Parasiten zeigten.

Nach der Krise flaut dies in der Regel wieder ab, bis eine neue Krise auftritt. Die Analysten befürchten allerdings, dass es sich um Anzeichen eines nachhaltigeren Wachstums von Antisemitismus handeln könnte. Zum einen erschließe sich der Judenhass neue Trägermilieus. Der Jahresbericht 2019/2020 des israelischen Kantor-Centers (Universität Tel Aviv) konstatiert, während die Motive alt seien, sehe man eine neuartige „Verschiebung des Antisemitismus von den Rändern in die Mitte westlicher Gesellschaften, insbesondere in den sozialen Medien“2. Trägermilieus sieht man vor allem unter Rechtsextremisten und Muslimen. Zum anderen befürchtet man, dass diejenigen, die in Corona-Zeiten Zuflucht bei verschwörungstheoretischen Webseiten suchten, dort auch künftig ihre Weltsicht dauerhaft mit antisemitischem Material füttern würden.

Auch die gewaltsamen Krawalle der „Black Lives Matter“-Bewegung (BLM), die noch während der Corona-Krise nach dem Tod des Schwarzen George Floyd aufgrund von exzessiver Polizeigewalt bei seiner Festnahme Ende Mai begannen, waren Anlass für die Verbreitung antisemitischer Hassparolen. In Los Angeles wurden mehrere Synagogen beschädigt und besprüht („Free Palestine! Fuck Israel!“), gezielt jüdische Geschäfte zerstört und geplündert und die Statue des schwedischen Judenretters Raoul Wallenberg geschändet.3

Die Menschenrechtsorganisation Simon-Wiesenthal-Center, die als eine der ersten Institutionen öffentlich gegen den Tod George Floyds protestiert hatte, begrüßte darum später die Ankündigung Präsident Trumps, die linksextreme „AntiFa“ zur terroristischen Vereinigung zu erklären. Diese hat starke antisemitische Anteile und war nach Ansicht der Behörden an der Gewalt bei den BLM-Demonstrationen maßgeblich beteiligt.

Antisemitisch, und auch in deutschen Medien unreflektiert verbreitet, ist auch die häufige Betonung, amerikanische Polizisten würden durch Israelis ausgebildet. Indirekt wird durch diesen nie näher analysierten Hinweis eine jüdische Mitverantwortung für die Härte der amerikanischen Polizei insinuiert. Warum sonst sollte die sicherheitstechnische Kooperation zweier eng verbündeter demokratischer Staaten relevant oder gar anrüchig sein? Auch die israelfeindliche BDS-Kampagne (Boycott, Divestment, Sanctions) unterstützte die Demonstranten. Sie verglich auf ihrer deutschen Webseite den mutmaßlichen Mord an einem wehrlosen Schwarzen mit dem angeblich üblichen Umgang der israelischen Regierung mit Arabern: „So, wie die israelischen Besatzungstruppen dazu dienen, das Apartheidsystem gegen die Palästinenser*innen weiter zu verfestigen, so dienen die US-Polizeikräfte nur dazu, das System der Vormachtstellung und Privilegien der US-amerikanischen Weißen weiter zu verfestigen … An unsere schwarzen Brüder und Schwestern: Eure Widerstandsfähigkeit angesichts der brutalen Entmenschlichung ist uns eine Quelle der Inspiration für unseren eigenen Kampf gegen das israelische Besatzungsregime, den Siedlerkolonialismus und die Apartheid.“ Dabei würde „Israels Unterdrückungsregime“ die „indigene (sic!) Bevölkerung Palästinas mit bedingungsloser Unterstützung der US-Regierung … enteignen [und] ethnisch … säubern“.4

Neben diesem Eindringen von Judenhass in den gesellschaftlichen Mainstream berichten verschiedene jüdische Organisationen allerdings auch, dass sich in Europa die staatlichen Anstrengungen gegen Antisemitismus und Extremismus in den letzten Jahren verbessert hätten. Dazu zählt etwa das Verbot der Hisbollah in Britannien und Deutschland. Obwohl solche Maßnahmen mit einigen zählbaren Erfolgen verbunden sind, ergab eine Umfrage der EU-Einrichtung „Fundamental Rights Agency“2019, dass 41 % der europäischen Juden zwischen 15 und 34 Jahren in den letzten fünf Jahren wegen des zunehmenden Antisemitismus schon einmal überlegt haben auszuwandern.5


Kai Funkschmidt, 10.07.2020


Anmerkungen
 

  1. CST: Research Briefing. Coronavirus and the Plague of Antisemitism, London 2020 (https://cst.org.uk/data/file/d/9/Coronavirus%20and%20the%20plague%20of%20antisemitism.1586276450.pdf ).
  2. Moshe Kantor Database for the Study of Contemporary Antisemitism and Racism. Antisemitism Worldwide. 2019 and the beginning of 2020, 14 (https://en-humanities.tau.ac.il/sites/humanities_en.tau.ac.il/files/media_server/humanities/kantor/Kantor%20Center%20Worldwide%20Antisemitism%20in%202019%20-%20Main%20findings.pdf ).
  3. Kosher stores, synagogues, vandalized and looted in LA protests, in: Jerusalem Post, 2.6.2020 (www.jpost.com/diaspora/kosher-stores-synagogues-vandalized-and-looted-in-ongoing-la-protests-629895).
  4. BDS Minneapolis: Wir können nicht atmen, bis wir frei sind! Palästinenser*innen stehen in Solidarität mit den Schwarzen in den USA, 30.5.2020 (http://bds-kampagne.de/2020/05/30/wir-koennen-nicht-atmen-bis-wir-frei-sind-palaestinenserinnen-stehen-in-solidaritaet-mit-den-schwarzen-in-den-usan).
  5. Young Jewish Europeans: perceptions and experiences of antisemitism, 28.6.2019 (https://fra.europa.eu/en/publication/2019/young-jewish-europeans-perceptions-and-experiences-antisemitism ).