Alternative Medizin

Covid-19 macht Zwiespalt unter Homöopathen deutlich

Bekanntlich versteht sich die Homöopathie als ein alternatives Heilverfahren zur akademischen Medizin. Neben dem Prinzip, Ähnliches mit Ähnlichem zu heilen, betonen Homöopathen, dass es sich hierbei um eine individualisierte und ganzheitliche Therapieform handelt, die sowohl den körperlichen als auch den seelischen Zustand des Patienten berücksichtigt. Die Schulmedizin wird für ihre Diagnostik (z. B. die Vernachlässigung des Seelischen, Geistigen und Spirituellen), ihr positivistisch-naturwissenschaftliches Denken und entsprechende Behandlungsformen teils harsch kritisiert. Nicht selten fallen ein homöopathischer Zugang und Impfkritik zusammen.

Umso erstaunlicher mutet es an, dass im Zuge der Corona-Pandemie die Vorstände des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte (DZVhÄ) sowie des Verbands klassischer Homöopathen Deutschlands (VKHD) im März 2020 dazu aufriefen, den Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts (RKI) zu folgen, das die jährlichen Impfempfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) ausgibt. Der Schulterschluss mit dem RKI ist bemerkenswert, da die klassische Homöopathie behauptet, für jedes Leiden – das gemeinhin auf eine gestörte Lebenskraft zurückgeführt wird – nach einer eingehenden Anamnese eine spezifische energetische Behandlung finden zu können, solange die Lebenskraft des Patienten ausreichend ist. Nach diesem Selbstverständnis müsste auch Covid-19 homöopathisch therapierbar sein. Die Zurückhaltung der beiden Verbände weckte jedoch nicht nur bei Außenstehenden, sondern auch bei den eigenen Verbandmitgliedern den Eindruck, dass die Homöopathen ihrer Methode selbst nicht ganz trauen.

Die Pressemitteilungen der beiden großen deutschen Verbände standen im Widerspruch zu dem, was im Netz und in den sozialen Medien kursierte: Hier wurden zahlreiche Empfehlungen zur Einnahme bestimmter homöopathischer Präparate ausgesprochen. Als prominentes Beispiel ist die ehemalige Vorsitzende des DZVhÄ Cornelia Bajic zu nennen. Laut medwatch.de empfahl sie – wie auch das nicht unumstrittene indische „Ministerium für Ayurveda, Yoga und Naturheilkunde, Unani, Siddha und Homöopathie“ – die Gabe von Arsenicum album C30. Zudem boten zahlreiche Apotheken Homöopathika gegen das neuartige Coronavirus an. Ebenfalls im Gegensatz zu den deutschen Interessenvertretungen hob schon im März die Liga Medicorum Homoeopathica Internationalis (LMHI) mit Sitz in der Türkei den Nutzen von Homöopathika im Kampf gegen Pandemien hervor und verwies auf einige vermeintlich hilfreiche Präparate. Ferner fordert die deutsche Hufelandgesellschaft, der Dachverband der Ärztegesellschaften für Naturheilverfahren und Komplementärmedizin, in einem allgemeinen Positionspapier zur Vorbeugung gegen Pandemien, nicht allein auf Impfstoffe zu setzen, sondern die Stärkung des Immunsystems mittels integrativmedizinischer Verfahren zu unterstützen. Konkrete Behandlungskonzepte von Covid-19 blieben hier unerwähnt.

In einem Interview mit dem renommierten homöopathischen Arzt Wolfgang Springer in einem Presseorgan des DZVhÄ räumt dieser ein, dass bei milden Verläufen von Covid-19 keine Behandlung notwendig sei und Patienten mit sehr schweren Verläufen nicht homöopathisch behandelt werden können. „Hier sollten wir uns zurückhalten.“ Bei dazwischenliegenden Verläufen gebe es allerdings durchaus Möglichkeiten für die „ärztliche Homöopathie“. Auf der Internetseite des DZVhÄ positioniert sich der Verband inzwischen öffentlich zu eingehender Kritik (auch an dem genannten Interview) aus den eigenen Reihen. Als Antwort darauf beschreibt er sich grundsätzlich zuallererst als Verband von Ärzten, der die Weisungsbefugnis des RKI respektiere, und an zweiter Stelle als Verbund mit einer „spezifischen fachlichen Ausrichtung“. Als strategisches Ziel des eigenen Handelns wird zudem angesichts der „Streichung der Zusatzbezeichnung ‚Homöopathie‘ aus der Musterweiterbildungsordnung einzelner Landesärztekammern“ der „Rückgewinn an verlorenem Vertrauen als Partner in medizinischen Fragen von hoher gesellschaftlicher Bedeutung“ formuliert. Wohl auch dazu wurde vom DZVhÄ eine forsa-Umfrage beauftragt, die zeigt, dass 61 Prozent der Befragten dem Einsatz von Homöopathie bei Covid-19 positiv gegenüberstehen. Außerdem werden in einem Projekt Covid-19-Fälle erfasst und standardisiert ausgewertet, um eine homöopathische Behandlung zu erforschen. Zeigen sich darin auch Hoffnungen auf ein Genius Epidemicus, ein Mittel, dem Antibiotikum ähnlich, mit dem die Mehrheit der Patienten standardisiert behandelt werden kann?

Dennoch bleiben die zurückhaltenden Reaktionen der deutschen Verbände und das nun gezeigte Vorgehen des DZVhÄ beachtenswert, wird doch nach dem Verständnis der klassischen Homöopathie der Krankheitsursprung individuell beim jeweiligen Patienten ganzheitlich bekämpft und keine irgendwie gelabelten (in diesem Falle viralen) Krankheiten behandelt. Eiserne Homöopathen kritisieren daher auch den möglichen Einsatz eines Standardpräparats. Angesichts dieser Situation werden mittels SARS-CoV-2 die inneren Zerwürfnisse zwischen den Homöopathen offenkundig.1


Jeannine Kunert, 03.07.2020
 

Quellen


www.dzvhae.de/corona-virus-vorgaben-des-rki-und-nationaler-gesundheitsbehoerden-sind-allein-massgeblich  (Abruf der Internetseiten: 13.6.2020)

www.dzvhae.de/wir-koennen-zur-behandlung-von-covid-19-erkrankungen-beitragen  (Interview mit Wolfgang Springer)

www.vkhd.de/neueste-beitraege/item/710-finger-weg 

https://medwatch.de/2020/03/02/wie-pseudomedizin-gegen-das-neue-corona-virus-beworben-wird 

www.lmhi.org/Home/Corona 

www.hufelandgesellschaft.de/home.html 


Anmerkungen
 

  1. Auf das Problem der Vereinbarkeit von naturwissenschaftlichem Verständnis und homöopathischer Therapie bei Medizinern wurde bereits im Beitrag „Homöopathie in der Kontroverse“ (MdEZW 8/2019, 288) hingewiesen.