Joachim Kahl

Das Elend des Christentums oder Plädoyer für eine Humanität ohne Gott

Joachim Kahl, Das Elend des Christentums oder Plädoyer für eine Humanität ohne Gott, Tectum Verlag, Marburg 2014, 216 Seiten, 17,95 Euro.

Durch sein Buch „Das Elend des Christentums“ wurde Joachim Kahl 1968 bekannt: als ehemaliger Theologe, als Philosoph und sprachlich versierter Christentumskritiker. Die erneute Publikation eines „alten“ Buches zeigt an, dass es offensichtlich einen neuen Bedarf und einen Markt für religionskritische Literatur gibt. Dem Wiederabdruck des damaligen Bestsellers sind ein Vorwort und gleich zwei Einleitungen vorangestellt (9-24), und zwar aus den Jahren 1968 und 1993. Für den Rezensenten stellen diese Hinführungen das eigentlich Interessante dieser Neuauflage dar. Sie dokumentieren die Fähigkeit des Autors zur kritischen Selbstwahrnehmung. Lesenswert ist ebenso das Nachwort von 1993 (161-186), das unter das Motto „Das Elend geht weiter“ gestellt wurde, obgleich es nicht nur christentumskritische Ausführungen enthält, sondern ebenso eine Kritik der Befreiungstheologie, eine Apologie des Weihnachtsfestes, eine Auseinandersetzung mit Eugen Drewermann und eine Skizze der Anliegen des atheistischen Humanismus.

Der 26-jährige Kahl hatte bei Hans Graß an der Theologischen Fakultät Marburg mit einer Arbeit über „Philosophie und Christologie im Denken Friedrich Gogartens“ promoviert und trat 1967 aus der evangelischen Kirche aus. Aus der Sicht Kahls war dies ein Akt intellektueller Redlichkeit. Im Anschluss an den Theologen Overbeck vertritt er die Auffassung, historische Kritik führe zum „finis Christianismi“, zum „Ende des Christentums“ (10). In seinem Buch bezieht sich der pointiert und teilweise polemisch vorgetragene atheistische Widerspruch auf die Unbestimmtheit des Christentumsverständnisses durch die „Realbilanz der Kirchengeschichte“ (26-84), die Unerkennbarkeit des historischen Jesus (84-100), die dogmatische Chaotik (100-116). Teil II zielt darauf ab, die Irrationalität theologischen Denkens unter Bezugnahme vor allem auf Rudolf Bultmanns und Gerhard Ebelings existential-hermeneutisch ausgerichtete Theologie darzulegen (117-142). In Teil III geht es um postchristliche Perspektiven, die auf ein pointiert laizistisches Statement hinauslaufen: Religion solle aus dem öffentlichen Raum verbannt werden, Religionsfreiheit könne es nur unter der Voraussetzung der strikten Trennung von Staat und Kirche, von Universität und Kirche bzw. von Schule und Kirche geben (143-154). Der Teil IV (155-160) schloss das ursprüngliche Buch von 1968 ab. Kahl bestreitet darin die Behauptung, „die ‚Weltlichlichkeit der Welt’ sei eine Konsequenz des christlichen Glaubens“ (157). Seine eigenen Perspektiven und Argumentationsmuster waren 1968 marxistisch orientiert. Seine Christentumskritik wurde intensiv zur Kenntnis genommen, gerügt und gewürdigt. Sie entfachte zahlreiche Reaktionen und vielfache Diskussionen. Bis heute gehört Kahl zu den ernsthaften Gesprächspartnern des fassettenreichen atheistischen Spektrums. Er kennt das Christentum und die Theologie von innen. In der frühen Phase seiner Christentumskritik, die im Kern eine Kritik an der evangelischen Universitätstheologie ist, zehrt er in seinen Ausführungen allerdings weitgehend von der Substanz dessen, was infrage gestellt und verneint wird.


Reinhard Hempelmann