Apokalyptik

Das Ende ist der Anfang - Emmerichs Katastrophenfilm „2010“

Nachdem seit Ende März 2010 der Film „2012“ auf DVD und Blu-ray im Handel erhältlich ist, kann das fiktive Weltuntergangsspektakel auch zu Hause flimmern (www.2012derfilm.de; www.roland-emmerich-2012.de). Der 158-Minuten-Film des schwäbischen Hollywoodregisseurs Roland Emmerich („The Day After Tomorrow“) kam am 12. November 2009 in deutsche Kinos und brachte weltweit knapp 770 Millionen US-Dollar ein. Der für seine von Zerstörungen geprägten Filme bekannte Regisseur schuf mit „2012“ als seinem letzten „Disaster-Movie“ nach eigener Aussage „die Mutter aller Zerstörungsfilme“ (www.merian.de/reiseziele/artikel/a-660156-2.html).

Der Film spielt im Jahr 2012. Zu Beginn wird der Zuschauer informiert, dass am 21. Dezember 2012 die Welt untergehen wird, was bereits dem Kalender der Mayas zu entnehmen sei (vgl. MD 5/2009, 163ff; 2/2010, 68f). Über einen Fernsehbildschirm werden Bilder eines ungeklärten Massenselbstmordes gezeigt, der im Zusammenhang mit dem Maya-Kalender steht. Und nun bestätigen seit dem Jahr 2009 wissenschaftliche Forschungen, dass eine Instabilität der Erdkruste droht. Da sich der Erdkern durch eine von einer Sonneneruption ausgehenden Neutrinostrahlung erwärmt, wird eine massive Plattenverschiebung einsetzen, in deren Folge durch Beben, Tsunamis und Vulkanausbrüche jede Lebensgrundlage genommen wird.

Ausgehend von der US-Regierung planen deshalb seit einigen Jahren die G8 ein Programm zur Rettung der Menschheit. Der Fortbestand der evolutiven und geistesgeschichtlichen Höhe soll gesichert werden: Menschen, deren geistige Potenz, gesellschaftliche Leistungsfähigkeit oder finanzielle Situierung höchsten Ansprüchen gerecht werden (für eine Milliarde Euro kann man sich einen Platz erwerben), werden in das Rettungsprogramm aufgenommen. Diese internationale, streng geheime Initiative soll mit dem Bau hochtechnisierter Archen bis zum Jahr 2012 Kapazitäten für 400 000 Menschen, zudem Tiere und wichtige Kulturgüter der Menschheit bereitstellen.

Hier verknüpfen sich nun kollektive und individuelle Geschichte. Jackson Curtis, ein geschiedener Familienvater und Schriftsteller aus Los Angeles, der mit seinem apokalyptischen Roman „Farewell Atlantis“ wenig Erfolg hat, ist mit seinen beiden Kindern Lilly und Noah auf einem Ausflug im Yellowstone-Nationalpark, als er dort zu einer militärischen Sperrzone gelangt. Unerlaubt dringen sie in eine Forschungsstation vor, in der Geowissenschaftler seismische Aktivitäten beobachten. Die drei werden vom Militär wieder aus der Zone herausgebracht. Sie treffen auf den esoterischen Enthusiasten Charlie Frost, der im Park mit seinem Kleinbus stationiert ist und Weltuntergangsbotschaften in den Äther sendet. Curtis erfährt von Frost über nahende Katastrophen und das kurz bevorstehende Ende – und: dass dieser eine Karte habe, auf der der Standort einer internationalen Raumschiff-Rettungsaktion verzeichnet sei.

Während die Wissenschaftler der Forschungsstation entdecken, dass die Erdoberfläche durch unerwartet rasante Erwärmung instabil wird und sie die Regierung zum Start des internationalen Evakuierungsprogramms auffordern, beginnen in Kalifornien die Katastrophen. Dabei werden Curtis’ Exfrau Kate und ihr Mann, der bekannte Schönheitschirurg Gordon Silberman, vom unerwarteten Erdbeben überrascht. Curtis soll die Kinder sofort nach Los Angeles zurückbringen. Dort angelangt, können Exfrau und Mann sich gerade in Curtis’ Auto flüchten, als die Erde aufreißt und in einem riesigen Graben Menschen, Autos und Häuser verschlingt. Die fünf werden von einer ungeheuren Katastrophe gejagt, der sie immer nur um Haaresbreite voraus sind. In atemberaubenden Szenen läuft ein Wettkampf mit der Zeit, der die Fliehenden zwischen einstürzenden Häusern, über Autos und unter fallenden Trümmern zum Flughafen treibt, wo sie in einer Maschine im letzten Moment über dem ins Nichts versinkenden Los Angeles abheben.

Curtis nimmt Kurs zum Yellowstone Park, denn er will von Frost die Karte. Kaum mit seiner Tochter (die anderen warten im Flugzeug) bei Charlie Frost angelangt, beginnt auch hier das vernichtende Inferno. Geysire brechen hervor, der Supervulkan des Yellowstone explodiert – Jackson Curtis und Kind rasen im von Lava brennenden Fahrzeug zurück zur gestarteten Maschine. Es wiederholen sich nicht zum letzten Mal dramatische Szenen des Untergangs, über dem, äußerst knapp entrinnend, ein erfolgloser Familienvater zum Helden wird. Das Flugzeug hebt schon ab, als Vater und Tochter sich im allerletzten Moment hineinretten können. Curtis hat die Karte.

Mittlerweile sind die US-amerikanischen Eliten unterwegs nach China, wo in einem Tal des Himalaya die Archen (Frosts vermeintliche Raumschiffe) stationiert sind, von denen jedoch nur drei betriebsbereit sind. Der amerikanische Präsident Wilson selbst bleibt allerdings in Washington zurück. Nach einem Gebet in seiner Kapelle stellt er sich furchtlos an die Seite seines Volkes. Der Große Weiße Vater, im Film ein Schwarzer (das Drehbuch wurde vor der Wahl Obamas zum amerikanischen Präsidenten fertiggestellt), hält seine letzte Rede an die Nation. Diese beendet er mit Psalm 23. Für die sich in der amerikanischen Arche befindende Präsidententochter ist es das letzte Lebenszeichen, das sie von ihrem Vater empfängt, der dann mit der ganzen Hauptstadt im überdimensionalen Tsunami untergeht. In den Archen wird die Schließung der Schotten angeordnet, da sich zeigt, dass in einer halben Stunde die Flut eintreffen wird. Menschenmassen, die noch nicht an Bord gelangen konnten, stehen nun vor dem Verderben.

Filmszenen zeigen, wie auf der ganzen Welt alles der Vernichtung geweiht ist. Die Christusfigur in Rio stürzt vom Berg, die vatikanische Petersbasilika bricht zusammen, deren Kuppel einfach umkippt und Kurie und Pilger begräbt. In Tibet schlägt der Dalai Lama noch eine Glocke, bevor die über den Gebirgszug kommende Flutwelle ihn und seinen Tempel fortreißt.

Auch für Jackson Curtis und die anderen im Flugzeug scheint das Ende gekommen zu sein. Der Treibstoff geht aus, sie müssen bald notlanden. Doch plötzlich sehen sie unter sich – den Himalaya. Die Kontinente haben in kürzester Zeit ihre Positionen verschoben, sodass sich auf wundersame Weise eine Perspektive der Hoffnung eröffnet. Sie landen auf einem Gletscher. Zu Fuß sind sie unterwegs, als sie den tibetischen Mönch Nima treffen, der auf dem Weg zu den Archen ist. Dort schließlich gelangen sie über einen unscheinbaren Mechanikereingang in die amerikanische Arche. Die Führung der Archen, an deren europäischer Spitze eine deutsche Bundeskanzlerin mit US-Amerika spricht, entscheidet nun, die Schotten noch einmal zu öffnen, um die ausgeschlossenen Menschen doch noch einzulassen. Dabei wird der Schönheitschirurg Silberman von der riesigen Mechanik zerquetscht. Als angesichts der nahenden Flut die endgültige Schließung angeordnet wird, verklemmt sich an der amerikanischen Arche ein kleiner Akkuschrauber zwischen den Zahnrädern und hält die Megatechnik auf – das Schott bleibt offen und verhindert den Start der Motoren. Als die Flut aufprallt und Wasser in die US-Arche eindringt, scheint für das Riesenschiff das Ende sicher. Doch, erst unbemerkt und dann per Überwachungskamera in das Cockpit der Führung übertragen, macht sich Jackson Curtis mit seinem Sohn Noah in einer waghalsigen Tauchaktion in den einströmenden Fluten an die Mechanik der Arche. Alles ist aussichtslos, das letzte Sauerstoffvolumen verschwindet, als das Hindernis sich doch noch lösen lässt; die Maschinerie setzt sich in Bewegung, wodurch das Schiff in letzter Sekunde gerade noch zu starten ist und haarscharf einem Aufprall gegen den Mount Everest entgeht. Vater und Sohn haben den amerikanischen Traum gerettet. Die Familie kommt versöhnt wieder zusammen.

Nach einigen Wochen – die Wogen der alles bedeckenden Flut sind zur Ruhe gekommen – zeigen Bildschirme der Führung der Archen ein Satellitenbild der Erde. Alles ist überflutet – bis auf den afrikanischen Kontinent. Dieser ist um mehrere tausend Meter angehoben worden und blieb unversehrt. Die Menschen auf den geöffneten Decks der Archen schauen der warmen Sonne über den Drakensbergen entgegen. An der Wiege der Menschheit wird der geschundene Kontinent zum Symbol einer neuen Schöpfung.

Mit dem Motiv der Archen kehrt Roland Emmerich zu seinen eigenen Anfängen zurück, die seine Karriere mit dem Hochschulabschlussfilm „Das Arche-Noah-Prinzip“ eröffneten. „2012“ verarbeitet eine allgemeine Katastrophenstimmung vor dem Hintergrund zeitgenössischer Krisenerfahrungen. Auch wenn die ökologische Problematik im Film keine explizite Rolle spielt, wird doch eine eben damit verbundene Angst bedient, die die globale Katastrophe immer schneller kommen sieht. Emmerich selbst sagt, er spreche oft vom Weltuntergang. Derartige apokalyptische Perspektiven, wie sie im Film vorkommen, sind gänzlich säkularisiert und entwerfen eine Science-Fiction-Eschatologie, in der die Faszination von einem seinen jeweiligen religiösen Grundlegungen enthobenen Urwissen der Menschheit sich mit einer (immerhin nicht unfehlbaren) naturwissenschaftlichen Forschung zu einem virtuellen Potenzial verbunden hat, das von einer glaubhaft gemachten esoterischen Spekulation gespeist wird.

Die Figur des esoterisch-apokalyptischen Einzelgängers Charlie Frost kann man auf dessen Internetseite www.thisistheend.net kennenlernen und seine Endzeitbotschaften in Wort und Bild verfolgen.

In diesem Zusammenhang ist eine weitere, virale Marketingkampagne für den Film zu nennen, mit der Sony Pictures etwa ein halbes Jahr vor der Filmpremiere die Gemüter durch geschickte Fiktion vorbereiten wollte. So wurde virtuell das „Institute for Human Continuity“ (IHC) gegründet, das seit 1978 verdeckt wissenschaftliche Forschungen erarbeite, um ein Rettungsprogramm der Menschheit vorzubereiten. Nun trete es mit Botschaften an die Öffentlichkeit, arbeite an der Auswahl der für die Rettungsaktion zu sammelnden Menschen und biete eine Lotterie, bei der man sich zur Verlosung von Plätzen im Rettungsprogramm registrieren könne. Das IHC ist mit der Internetseite www.instituteforhumancontinuity.com präsent (die deutsche Version www.instituteforhumancontinuity.de ist etwas schlichter). Hier wird dargestellt, wie sich Wissenschaftler verschiedener IHC-Initiativen anhand von Forschungserkenntnissen und religiösem Wissen (auch Bibelwissenschaft ist im Blick) mit dem nahenden Untergang der Welt auseinandersetzen. Dabei richtet sich der erwartungsvolle Blick auf den Maya-Kalender. Letztlich ist das IHC ein marktwirtschaftlicher Scherz, der ideologische Falten hat. Es soll der Weg zum Glück, zu einer besseren und gesünderen Menschheit beschritten werden. Auch wenn dabei die wesentliche Selektion dem Zufall überlassen bliebe, sei jeder Einzelne gerufen, seinen Beitrag zu leisten.

In „2012“ wird diese Perspektive ausgeweitet. Das dargestellte internationale Archen-Programm rettet nur, was selbst Stärke hat. Machthabende Politiker bestimmen über Zulassungsbeschränkungen; nur genetisch oder kulturell wertvolles Material wird eingeschifft, und das Kapital trägt den Sieg davon. So geschehen im Film gezielte Morde an Personen, die mit Informationen über das Archen-Programm an die Weltöffentlichkeit zu treten gedenken.

Letztlich spielen Glaube und Religion in der Perspektive des Filmes keine Rolle mehr. Wesentliche religiöse Symbole werden destruiert, religiöse Führer gelangen nicht auf die Rettungsschiffe. Interessant dabei ist, dass nur für einen kurzen Moment dem Zuschauer auch die Kaaba in Mekka gezeigt wird, da eine Flutwellen-Szene mit vor einer Moschee betenden Muslimen nicht in den Film aufgenommen wurde. Nicht ein Gott oder ein Glaube ist es, der die Welt überwindet, sondern vielmehr der Mensch selbst – ganz im Sinne des Autors, der von sich selbst sagt, er brauche keine Religion, gleichwohl aber interessiert beobachtet, warum Menschen in die Kirche gehen und beten. Es sind nun die Heldentaten des Menschen im Kampf ums Überleben, die individuelle und kollektive „Heilsgeschichte“ schreiben. Der in einer endlosen Katastrophenjagd, bei der der Produktion die Kunst des retardierenden Momentes entglitten zu sein scheint, stets an seine Grenzen kommende Mensch wird zum Überwinder seiner selbst. Und doch ändert auch der im Film verkündete Ausspruch „Der Moment, in dem wir nicht mehr füreinander kämpfen, ist der Moment, in dem wir unsere Menschlichkeit verlieren!“ nichts daran, dass auch der kämpfende Mensch der alte bleibt. Schließlich sind es gerade die „guten Gene“ der Machthaber, die das afrikanische Paradies bevölkern werden.


Markus Schmidt, Leipzig