Levent Tezcan

Das muslimische Subjekt. Verfangen im Dialog der Deutschen Islam Konferenz

Levent Tezcan, Das muslimische Subjekt. Verfangen im Dialog der Deutschen Islam Konferenz, Konstanz University Press, Konstanz 2012, 177 Seiten, 24,90 Euro.

Der Autor, Soziologe, von 1995 bis 2007 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld, seit 2008 Assistent Professor an der Tilburg University für „Cultural Studies“, legt eine bemerkenswerte Fallstudie vor. Es ist der Versuch, auf Basis postmoderner Theoreme und Kategorien (v. a. Michel Foucault) die Hypothese zu kommunizieren, dass das Unternehmen (Erste) Deutsche Islam Konferenz 2006 – 2009 (DIK) islampolitisch „auf die Konstruktion eines gesellschaftsfähigen, aufgeklärten deutschen muslimischen Subjekts“ (7) zielte.

Der Autor hat – wie der Rezensent im „Gesprächskreis Sicherheit und Islamismus“ auch – als Wissenschaftler an der Islamkonferenz selbst teilgenommen und stützt die Analyse des konkreten Forschungsobjektes sowohl auf subjektive Wahrnehmungen und Deutungen als auch auf die in den aktuellen Islamdiskursen vorfindlichen Wissensbestände und Deutungen, die Gegenstand zahlreicher wissenschaftlicher, gesellschaftlicher und politischer Kontroversen sind. Die Fallanalyse ist vor allem im Blick auf die Kapitel vier (Akteure des Dialogs) und fünf (Themen des Dialogs) sauber und differenziert gearbeitet und ist allein in diesem Teil als faktenreiche und kritische Analyse des Verlaufs der DIK sehr hilfreich. Der Leser wird gleichwohl einer erheblichen intellektuellen Belastungsprobe unterzogen, denn Tezcans Deutung des behaupteten Konstruktionsvorganges ist in Sprache und Inhalt Foucault’scher Terminologie geschuldet, die ja, selbst in Fachkreisen, keineswegs leicht zugänglich ist. Was Tezcan auszusagen sich bemüht, dass nämlich der Staat mit einer institutionellen Versuchsanordnung (der DIK) im „Dialog“ eine Teilpopulation (Zuwanderer) über die Religion zu definieren und sie damit zu integrieren, ja zu pazifizieren sucht, könnte man auch ohne das schwer verdauliche postmoderne Theoriengerüst behaupten. Um es schlicht zu sagen: Ohne Foucault’sche Kategorien würde die Hypothese des Autors nicht weniger Gewicht besitzen.

Die im Schlusskapitel vorgenommenen Ableitungen und Zuordnungen der gouvernementalen Dialogpolitik – kulminierend in der Charakterisierung der DIK als „Schaltstelle“ eines „Islamdispositivs“ (siehe zum Begriff des „Dispositivs“ in Foucault’scher Lesart: Patrick Baum/Stefan Höltgen [Hg.], Lexikon der Postmoderne, 2010, 59ff) zwischen „Souveränitäts-“ und „Kriegsmodell“ – verharren auf einer Metaebene. Ob dieser erkenntnistheoretische Ansatz zur Identifizierung der tatsächlichen normativ und praktisch-politisch zu bearbeitenden Problemlagen (Islam als integrations- und religionspolitische Herausforderung) beizutragen vermag, ist eher zweifelhaft, obwohl der Autor seine Arbeit explizit als Beitrag zur „Islampolitik“ versteht.

Tezcans postmoderne Deutung des gesellschaftlich und politisch höchst brisanten Integrationsprozesses zielt darauf, diesen als gouvernementalen „Islamisierungsprozess“ zu behaupten: „Kern der Unternehmung“ zur „Fabrikation eines muslimischen Subjektes“ sei die „Verlängerung der Macht über die Rechtsregeln hinaus“ (19). Was will Tezcan damit sagen? Der Staat fordere von einer Teilpopulation nicht nur die Einhaltung von Rechtsregeln (Grundgesetz, Rechtsordnung), sondern verlange, mit widersprüchlichen und ambivalenten Anforderungen (siehe den Exkurs zum „Einbürgerungstest“, 143ff), Identifikationen mit der „Kultur“ („Leitkultur“) des Landes und definiere so die Bürger nicht nur als „Staatsbürger“, sondern zugleich als „Kulturwesen“ (105). Das zeige sich besonders deutlich in den Debatten zur Werteordnung. Diese These ist sehr breit und kontrovers schon in der sogenannten „Leitkulturdebatte“ nach 2001 erörtert worden und bildete auch den geistig-politischen Hintergrund der DIK-Wertediskussion, ohne dass dies explizit sichtbar gemacht wurde. Tezcan hat diesen Hintergrund gut herausgearbeitet und eine Grundproblematik kulturell pluralistischer Gesellschaften und der Rolle des Staates bezeichnet: „Was rechtlich gemäß einer liberalen Demokratie erlaubt ist, kann sich integrationspolitisch als problematisch darstellen“ (78). Die DIK, die der Autor als „erste konzertierte politische Aktion in Sachen Islam in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland“ (21) lobt, hat hier zweifellos einen Beitrag zur Debatte geleistet. Ob dadurch ein „muslimisches Subjekt“ geschaffen werden sollte oder gar geschaffen wurde, mit welchen Intentionen („Souveränitäts“- und/oder „Kriegsmodell“) auch immer, bleibt letztlich im Nebel der postmodernen Metaebene verborgen.

Die Schwäche der Studie besteht darin, dass der Autor die Zentralität der Religion für die Lebensweise der überwältigenden Mehrheit von Muslimen (ob die „Säkularen“ überhaupt dazu zu rechnen sind, sei dahingestellt!) verkennt. Religion ist im islamischen Referenzrahmen eben nicht eine Dimension unter anderen, sondern von ihr aus definieren sich Sinndeutungen, Lebensweisen, Einstellungen und praktisches Verhalten von Individuen sowie die soziale und politische „fabric“ von Gesellschaft. Die DIK hat insofern die religiöse Frage zu Recht als religions- und integrationspolitisches Problemfeld thematisiert und nach der Kompatibilität des in Deutschland realdominanten Islam im Blick auf Grundgesetz und „Werteordnung“ gefragt. Verbindlich klären ließ und lässt sich die Frage kultureller Identität(en) nicht, sondern sie wird stets Gegenstand gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse bleiben. Der Autor hofft, unter Bezug auf die „arabische Revolution“, dass die „Dezentrierung des muslimischen Subjektes“ (170) gelinge, von der er sich offenbar ein Mehr an Säkularität und Liberalität verspricht. Ich glaube das nicht und setze auf zivilgesellschaftlich flankierte staatliche Dialogpolitik, deren Ziel in der Tat ein menschenrechts- und demokratiekompatibler Islam sein muss. Dass es für einen solchen Islam vielfältige Ansätze gibt, stimmt optimistisch (siehe z. B. Rachid Benzine, Islam und Moderne, 2012).


Johannes Kandel, Berlin