Sabine Doering-Manteuffel

Das Okkulte. Eine Erfolgsgeschichte im Schatten der Aufklärung. Von Gutenberg bis zum World Wide Web

Sabine Doering-Manteuffel, Das Okkulte. Eine Erfolgsgeschichte im Schatten der Aufklärung. Von Gutenberg bis zum World Wide Web, Siedler-Verlag, München 2008, 352 Seiten, 24,95 Euro.


Die Aufklärung ist auch nicht mehr das, was sie einmal war oder für was man sie zunächst hielt: der Ausgang des Menschen aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit durch wachsende Verbreitung vernünftigen Wissens unter verständigen Leuten. Schuld sind – nicht erst heute, sondern schon seit Jahrhunderten – die Medien. Das weist die Augsburger Professorin für Europäische Ethnologie Sabine Doering-Manteuffel in diesem ebenso gelehrten wie unterhaltsamen Buch nach. Denn schon seit den Zeiten des Buchdrucks gilt: Jede neue Technik, die geeignet ist, Wissen zu verbreiten und rechten Glauben zu lehren, ist ebenso geeignet, banalen Unsinn, phantastische Mythen und kruden Aberglauben unter die Leute zu bringen. „Das Streben nach vernünftigen Erklärungen blieb unauflösbar mit seinem okkulten Schatten verbunden ... Weil sie auch okkultistisches Wissen zusammenführten und standardisierten, verbreiteten die Druckmedien das Okkulte gleich einem Virus, das in das Programm der Aufklärung eindrang und einzelne Bestandteile außer Kraft setzte“ (17f).

Diesen Gleichschritt von Aufklärung und Gegenaufklärung verfolgt die Autorin durch die Jahrhunderte – ein sehr kurzweiliger Spaziergang durch das Unterholz der europäischen Geistesgeschichte; sie beschreibt den Aufschwung der Wahrsagerei und Kartenschlägerei als den Medienmarkt des Magischen im 18. Jahrhundert. Besonders bedeutsam wurde dies auch auf dem Heilungs- und Gesundheitsmarkt. Den Anstrich von Gelehrsamkeit gab allein die Benutzung von Büchern manchem Scharlatan, der etwa seine „Mond-Therapie“ so praktizierte, dass die Patienten den erkrankten Körperteil zum Fenster hinaus ins Mondlicht halten mussten, während er selbst geheimnisvolle Formeln murmelte. Billigdrucke zu okkulten Fragen verbreiteten Schauergeschichten von besessenen Frauen, die den Teufel im Gedärm hätten, die Priester schmähten und mit Schaum vor dem Mund durch den Kirchenraum geschleudert würden. Gedruckte Spukgeschichten wurden auf Jahrmärkten verbreitet. Die Aufklärung über den Spuk kam dem nicht nach.

Schauergeschichten aller Art waren dabei keineswegs die Domäne der niederen Stände. Vielmehr lief die Erfolgsgeschichte der Naturwissenschaften im 19. und frühen 20. Jahrhundert parallel zum Aufschwung des Spiritismus. Der Geisterglaube wurde durch die exakte Wissenschaft keineswegs zurückgedrängt; vielmehr passte er sich deren Mitteln in Form und Sprache an, suggerierte Exaktheit und Verlässlichkeit in den Verfahren der Nutzung magischer Kräfte. „Okkultisten folgen dem Irrtum, dass durch den Fortschritt in den Naturwissenschaften die Natur wirklich beherrschbar sei. Okkultes, magisches und spiritistisches Denken suchte im 20. Jahrhundert nach einer den Wissenschaften ebenbürtigen Lehre von der Zähmung kosmischer und terrestrischer Kräfte“ (184). Gerade Krisenzeiten wie die des Ersten Weltkriegs ließen Wahrsagerei und Totenbeschwörung aufblühen; das langsam aufkommende Medium des bewegten Bildes, der Film, vermochte auch Begegnungen der dritten Art zu bebildern.

Ein eigenes Kapitel widmet die Autorin den nicht gerade knappen Anteilen okkulten Denkens in der völkischen Bewegung. Schon Helena Blavatsky, die Begründerin der Theosophie und damit Urmutter der modernen Esoterik, entwickelte in enger Verbindung mit dem Atlantis-Mythos eine Schöpfungsgeschichte, die eine Theorie der Entstehung höherer und minderwertiger Rassen enthält: die Wurzelrassenlehre. Über die „Ariosophie“ des Wiener Esoterikers Guido von List fand sie Eingang in den realgeschichtlichen mörderischen Rassismus der Nazis; nicht zuletzt der SS-Führer Heinrich Himmler war von völkischem Okkultismus stark beeinflusst, aber auch Hitler selbst hat sich – folgt man seinem Biographen Ian Kershaw – einst in Wien intensiv mit okkultistisch-rassistischer Schundliteratur befasst. Und sie setzt sich bis heute fort in aktueller esoterischer Publizistik. „Die Massenpresse, das okkulte Dienstleistungsgewerbe und schließlich das Internet mit seinen esoterischen Foren haben den breiten Strom des völkischen Okkultismus in Fluss gehalten und zu Teilen sogar verstärkt“ (221), resümiert die Autorin.

Das mit „Suchmaschinen ins Jenseits“ überschriebene Schlusskapitel über Okkultismus im Internet ist zugleich der analytische Höhepunkt dieses Buches. Sehr genau beschreibt Doering-Manteuffel, wie das Wissen im Internet zugleich anonym und unkontrollierbar wird. Unter dem falschen Etikett der Demokratisierung des Wissens kann jede(r) unkontrollierbare Behauptungen dauerhaft ins Netz stellen. Bei der virtuellen Enzyklopädie Wikipedia „gilt die Formel: ‚Bestand hat, was von der Gemeinschaft akzeptiert wird’. Die Gemeinschaft setzt sich aus freien, anonymen Nutzern zusammen. Man ist also darauf angewiesen, dass Bearbeiter wie ‚Zebrastreifen 3’, ‚Kaeptn Tofu’ oder ‚Speifensender’ das Richtige treffen“ (280). Das Resultat, so die Autorin, ist kaum ermutigend: „Die Wissensgesellschaft leidet unter dem weltweiten Informationsmüll. Die Massenkultur wird noch stärker als bisher von okkulten Daten in vielen Sparten des Lebens beeinflusst werden“ (282). Die „Hexenkerze rot“ für Liebeszauber ist im Netz ebenso real bestellbar wie die „Hexenkerze schwarz“ für Schadenszauber. Sarkastisch kommentiert die Autorin: „Die Geschäftsidee, das Sichtbare unsichtbar zu machen, ist ein klassischer Schildbürgerstreich. Man könnte auch Schnee hinter dem Ofen dörren und das Resultat über das Netz verkaufen. Energieöle und DNS-Spiralen werden keinen besseren Nutzen haben“ (287f).

So bringt die technische, aber eben nur technische Rationalität des Internets ihre eigene medienspezifische Irrationalität hervor. Wer je auf der Esoterikmesse das Angebot computergestützter Horoskope gesehen hat, kann die Beobachtung nachvollziehen. Die blitzgescheite Analyse der Augsburger Kulturanthropologin bringt solche Alltagserfahrungen auf den Begriff. Klar wird: Ob vormodern, modern oder postmodern – das Okkulte wird ständiger Begleiter jeder Aufklärung bleiben. Nur die Formen ändern sich.


Lutz Lemhöfer, Frankfurt a. M.