Das Universum und ich. Die Philosophie der Astrophysik
Sibylle Anderl: Das Universum und ich. Die Philosophie der Astrophysik, Carl Hanser Verlag, München 2017, 256 Seiten, 22,00 Euro.
Astrophysik? Puh … Natürlich fällt mir sofort Stephen Hawking ein. Dann aber auch „The Big Bang Theory“ – jene ungemein erfolgreiche Sitcom um fünf völlig verschrobene, aber zugleich enorm liebenswerte Astrophysiker und ihr skurriles, zum Teil schlicht spleeniges Alltags- und Liebesleben. Ist es das? Eine Disziplin, erdacht und durchdacht von mehr oder weniger kauzigen Freaks, die immer ein wenig um ihre Daseinsberechtigung im Kanon der Wissenschaften ringen müssen? Zugegeben: Unsere Populärkultur legt das nahe. Dass dem nicht so ist und dass es möglich ist, die ebenso abstrakte wie komplexe Materie, mit der sich die Astrophysik beschäftigt, nicht nur verständlich, sondern auch unterhaltsam darzustellen, stellt das vorliegende Buch eindrücklich dar.
Zunächst: Das Buch ist glänzend geschrieben. Dadurch, dass die Autorin immer wieder Telefonate mit ihrem Vater einschiebt, werden – ähnlich wie bei den Sherlock-Holmes-Romanen – die Fragen, die die Leserinnen und Leser stellen würden, auf dieser literarischen Ebene beantwortet. Ein Kunstgriff, der die ansonsten doch recht trockene Materie deutlich aufgelockert präsentiert. Der Auflockerung sollen auch unregelmäßig eingestreute Karikaturen dienen. Diese sind aber m. E. eher missglückt. Trotzdem: Das Buch liest sich hervorragend, und es stellt die derzeit angesagten Ergebnisse der Disziplin in einer ansprechenden und verständlichen Weise dar.
Die ersten Kapitel präsentieren mehr oder weniger umfassend den aktuellen wissenschaftlichen Konsens – immer getragen von der Frage, inwieweit Astrophysik überhaupt in den Reigen der „normalen“ Wissenschaften gehört. Denn die Astrophysik behandelt Phänomene, die in Raum und Zeit nicht einfach beobachtbar und insofern auch nicht in Raum und Zeit verifizierbar sind. Das liegt daran, dass so ungefähr alles, womit sich Astrophysik beschäftigt, mit nahezu unvorstellbar großen Räumen zu tun hat und mit Ereignissen, die derart langfristig ablaufen, dass sie vermutlich das Leben der menschlichen Spezies übersteigen werden. So gibt es Sterne, die jetzt, da uns ihr Licht erreicht, bereits ausgebrannt sind. Ob dies freilich stimmt – das können wir nicht durch Beobachtung beweisen. Dafür leben wir schlicht nicht lang genug. Und die Möglichkeit, einfach ein Raumschiff oder eine Sonde auch nur zum nächsten Sonnensystem zu schicken, um Forschung vor Ort zu betreiben, scheitert an den Grenzen, die die Relativitätstheorie setzt.
Es ist also sehr viel an induktiver Arbeit erforderlich – Phänomene, die im Kleinen nachgestellt werden können, müssen auf das „Ganze“ übertragen werden. Diese Grenze astrophysikalischen Arbeitens schwingt auf jeder Seite des Buches mit. Trotzdem wird deutlich, wie klar, wie stringent und innerlich logisch Astrophysik arbeitet. Und doch ist es so, dass man am Ende in einem Bereich landet, der durchaus auch als „religiös“ wahrgenommen wird. Dann nämlich, wenn man sich mit dem „anthropischen Prinzip“ beschäftigt – mit dem Umstand also, dass in einem unvorstellbar großen Universum und in unvorstellbar langen Zeiträumen ein Planet entstanden ist, dessen „Finetuning“ absolut exakt auf den Menschen und sein (Über-)Leben abgestimmt ist –, steht die Frage nach einem Schöpfer oder einem „Designer“ (der dann natürlich intelligent sein muss) zwingend im Raum.
Dass sich eine Reihe bedeutender Astrophysiker dadurch aus der Affäre ziehen, dass sie von einem Multiversum – also einer unendlichen Anzahl paralleler, jeweils andersgearteter Universen – ausgehen, mag man wissenschaftlich stringent ableiten können. Trotzdem sei die Frage aus Theologenmund erlaubt, ob dies nicht in den Bereich des Glaubens hineinspielt. Und vielleicht liegt genau hier die Faszination, die die Astrophysik und darauf aufbauende Science-Fiction-Literatur und -Filme in theologischen, aber auch esoterischen Kreisen bis heute hat? Wer sich hier unvoreingenommen und mit der nötigen Sachlichkeit informieren will, tut jedenfalls gut daran, in das vorliegende Buch mehr als einen Blick zu werfen.
Heiko Ehrhardt, Neuwied