Deeksha und das Wunder der Erleuchtung
„Oneness“ Blessing in Hannover
„Du bist herzlich eingeladen, Oneness Blessing zu erleben, eine Energieübertragung, die dein Leben für immer verändern kann. Verpass nicht diese einmalige Gelegenheit ...“ Mit diesen Worten lud eine noch relativ junge Bewegung indischen Ursprungs Interessierte nach Hannover ein. Als Selbstbezeichnung taucht im Internet der Name „Oneness-Bewegung“ auf.1 Der Begriff „Oneness“ steht ganz im Zentrum der Verlautbarungen: Die niedersächsische Landeshauptstadt erlebte unter dem Motto „Erwachen des Herzens“ vom 4. bis 7. September 2008 „die bisher größte Oneness-Konferenz außerhalb Indiens“.2 Eingebettet in die Konferenz für die europäischen Anhänger der „Oneness-Bewegung“ war am Samstag, 6. September, der „Oneness Tag“ für die Öffentlichkeit, zu dem mit den eben zitierten Worten eingeladen wurde. Veranstalter war die „Oneness Akademie Deutschland e. V.“ mit Sitz in Elmshorn. „Oneness“ wird in der Bewegung mit „Einssein mit allem“ übersetzt.3 Im Hintergrund stehen hierbei Vorstellungen der hinduistischen Philosophie des Advaita-Vedanta. Ort des Geschehens war Hannovers beste Adresse für Veranstaltungen dieser Art, der Kuppelsaal des Congress-Centrums mit einem Fassungsvermögen von 3000 Personen. Gleichzeitig ging in einer benachbarten Halle die Esoterikmesse mit ihrem Gemischtwarenladen von Astrologie bis Wellness über die Bühne.
Die „Oneness-Bewegung“
Chronisten der Bewegung berichten, dass alles 1989 begann, als ein Mann mit besonderen Fähigkeiten Direktor an einer Schule im südindischen Bundesstaat Andrah Pradesh war. Es handelt sich um den am 7. März 1949 im Bundesstaat Tamil Nadu geborenen Vijay Kumar. Seine Anhänger nennen ihn Bhagavan. Damit benutzen sie eine Anrede, die im Hinduismus in Einzelfällen verehrten Personen (Lehrern) zuteil werden kann, in der Regel aber einem Gott vorbehalten ist. Konsequent bezeichnet Sri Bhagavan sich selbst als Avatar, also als Manifestation oder Inkarnation der Gottheit. Das gleiche soll für seine am 15. August 1954 geborene Frau gelten, die jetzt Amma genannt wird.4
Erstmalig konnte Sri Bhagavan 1989 seinen Sohn Krishna „zum Erwachen führen“.5 Er „erfuhr spontan kosmisches Bewusstsein und konnte sich in anderen ‚Lokas’ oder Dimensionen bewegen“.6 Auch anderen Schülerinnen und Schülern an seiner Schule widerfuhr damals dieses „Wunder der Erleuchtung“.7 Zurückgeführt wird das auf eine „von Bhagavan gelenkte Energieübertragung, die eine neurobiologische Veränderung im Gehirn hervorruft, die letztlich zur Erleuchtung führt“.8 Dieser Vorgang wird „Deeksha“ genannt. In der Regel geschieht die Übertragung durch Handauflegen. „Deeksha“ oder „Dikscha“ meint im Hinduismus ursprünglich die Initiation eines Schülers durch den Guru. So etwas ist traditionell erst nach einem langen Weg mit dem Guru möglich.
„Nach der Geburt der Bewegung wurde die Schule geschlossen.“9 Einige der Erleuchteten wurden zu Anhängern Sri Bhagavans und Sri Ammas und bildeten den Grundstock der Betreuer und Lehrer an der später gegründeten „Oneness University“ in „Golden City“ vor den Toren von Chennai in Südindien (Tamil Nadu). Der Aufbau erlebte 2007 mit der Einweihung eines Tempels für 8000 Personen einen vorläufigen Höhepunkt.10 2003, anlässlich des Geburtstags von Amma, fand die erste öffentliche „Deeksha“-Zeremonie statt. Ein Kurssystem für Menschen aus dem Westen wurde aus der Taufe gehoben, um „Deeksha-Geber“ oder „Oneness Blessing Geber“ auszubilden. Das soll nötig sein, um ein weltweites Erwachen herbeizuführen. „Seit 2003 befinden wir uns bereits im neuen Goldenen Zeitalter.“11 Der begonnene Transformationsprozess soll voraussichtlich 2012 enden, „wo die ganze Menschheit Erleuchtung erlangen wird“12. Dazu ist eine „kritische Masse“ von 64 000 Erleuchteten notwendig. „Ab einem gewissen Zeitpunkt kann niemand der Erleuchtung widerstehen.“13 Auf dem „Oneness Tag“ in Hannover wurde von Teilnehmerinnen geäußert, es seien schon so viele Menschen in Golden City gewesen und zu „Deeksha-Gebern“ ausgebildet worden, dass der Prozess mittlerweile zwangsläufig und unumkehrbar sei.
Ursprünglich galt ein mehrfach modifizierter grundlegender „21-Tage-Prozess“, den man an der „Oneness University“ absolvierte. Hinzu kam ein „10-Tages-Vertiefungskurs“ am selben Ort. „Im Jahr 2008 gibt es keine 21-Tages-Prozesse und auch keine 10-Tages-Vertiefungskurse mehr. Stattdessen werden diese Kurse durch 9-tägige Prozesse ersetzt. Aus dem 21-Tages-Prozess wird der 9-tägige Level-1-Prozess. Aus dem 10-tägigen Vertiefungskurs wird der 9-tägige Level-2-Prozess.“14 In Hannover wurde per Videokonferenz von Sri Bhagavan ein „Level-3-Prozess“ angekündigt. Diese Prozesse sollen „in den einzelnen Ländern von Sri Amma und Sri Bhagavan persönlich durchgeführt werden“.15 Allein die Seminargebühren für einen 9-tägigen Kurs in Indien betragen 3.395 US-Dollar.16 Wer in „Golden City“ zum „Deeksha-Geber“ ausgebildet wird, erhält ein Zertifikat darüber, das zeitlich befristet ist und erneuert werden muss.17
Vor der Konferenz in Hannover hieß es: „Sri Amma und Sri Bhagavan haben sich seit Anfang August 2007 grösstenteils aus der Öffentlichkeit zurückgezogen.“18 Angeblich soll damit einem Personenkult vorgebeugt werden. Neues Gesicht der Bewegung scheint der 1976 geborene Sri Anandagiri zu sein, ein ehemaliger Schüler Sri Bhagavans aus dessen Zeit als Schulleiter. Er war 1996 der erste Schüler, der die Botschaft in den Westen brachte. Mittlerweile ist er einer der führenden Lehrer an der „Oneness-University“ und Leiter des dort beheimateten männlichen Ordens. „Sich in seiner Gegenwart zu befinden, ist wie eine starke Deeksha/Segnung, welche alle, die mit ihm in Kontakt kommen, transformiert.“19 In Hannover war er die Hauptperson, er wurde als „eine unglaubliche Persönlichkeit“ vorgestellt.
Der „Oneness Tag“
Der „Oneness-Tag“ nahm seinen Anfang lange vor Veranstaltungsbeginn mit dem Einlass um 8.00 Uhr und erlebte seinen Höhepunkt mit einem großen „Oneness Blessing“ ca. zehn Stunden später. Dieser Zeitraum wurde mit Musik, Bildern und Vorträgen gefüllt. Der größte Teil davon war Sri Anandagiri vorbehalten, der auf der Bühne von einem weiß bezogenen Sofa aus im Lotus-Sitz dozierte und Fragen beantwortete.
Weiß scheint ohnehin die Farbe der Bewegung zu sein: Weiße Blumen waren an der Rampe und über die Bühne verteilt, ein weißer Teppich bedeckte den Boden, weiße Tücher waren über die Möbel gebreitet, und weiße Segel spannten sich im Hintergrund neben der großen Leinwand. Fast alle Mitwirkenden trugen Weiß. Im Publikum allerdings waren die Farben etwas gemischt: Zu Weiß kam oft Rosa hinzu, daneben traten Rot und Orange hervor. Aber es waren auch andere Farben möglich.
Parkett und 1. Rang waren augenscheinlich sehr gut gefüllt. D. h., es waren wohl über 1500 Personen anwesend. Manche Schätzungen gehen von bis zu 2000 Teilnehmern aus. Darunter sollen ca. 700 „Deeksha-Geber“ gewesen sein.20 Eine Ansage während der Veranstaltung sprach von 250 Teilnehmern aus dem Ausland. Da die Vorhänge vor den oberen Rängen zumeist geschlossen waren, konnte kein Gefühl der Leere aufkommen. Frauen waren weitaus in der Überzahl. Das Alter 50 und darüber dominierte. Die Begrüßung der Teilnehmer untereinander war durchweg herzlich und fast immer mit einer Umarmung verbunden, die beinahe innig genannt werden könnte. Konferenzsprache war Englisch. Es gab Simultanübersetzungen in verschiedene Sprachen. Man konnte dem Geschehen aber auch ohne Hilfsmittel gut folgen, da die Sprache aller Beiträge sehr einfach gehalten war.
Auf einem Flyer, mit dem zum „Oneness Tag“ eingeladen wurde, war von Sri Anandagiris „kraftvoller Präsenz“ die Rede. Der unbefangene Beobachter vermochte davon nicht so viel zu spüren. Im Saal erschien ein gut aussehender, schmächtiger Mann in weißer Kurta und weißer Hose, der also schon von Kleidung und Habitus her ganz nach Indien gehörte. Sein Vortrag war mit Humor und Geschichten gewürzt. Das blieb nicht ohne Eindruck. Eine Teilnehmerin berichtet: „Wir Deeksha-Geber baden in den uns meist bereits bekannten Lebensweisheiten Sri Anandagiris. Es ist bewundernswert, wie er tiefes Wissen in Form von Erzählungen übermittelt.“21
Besonders auffällig waren sein Lächeln und sein Blick: Die Kamera, die ihn festhielt und sein Bild überlebensgroß auf die Leinwand warf, rückte vor allem seine dunklen Augen immer wieder in den Fokus. Seinen Vortragstil prägten besonders die Pausen, die vielleicht der Simultanübersetzung geschuldet waren. Sie traten allerdings ganz unvermittelt auf, und Anandagiri wirkte dabei so, als ringe er innerlich mit der Weiterführung oder erwarte eine Eingebung. Die dann folgende plötzliche und stoßartig vorgetragene Fortsetzung der Rede verlieh seinem Vortrag den Charakter besonderer Dringlichkeit.
Anandagiri schreibt über sein Hauptanliegen: „Nicht alle Menschen mochten die Antwort, die ich gab, denn wir wollen tiefgründige Dinge hören, immer. Wir wollen über das Leben sprechen, über Dualität, Nicht-Dualität, Ursprünge des Universums, über die Allgegenwart Gottes, Philosophie. Du möchtest nicht hören, dass es wahr ist, dass du Schmerzen hast, dass du leidest; dass du nicht weißt, wofür du lebst.“22 Sein Vortrag in Hannover setzte dann auch bei der angesprochenen Erfahrung des Leidens ein, die wir im Leben machen. Aber er landete doch bei der Philosophie, die er hier so kritisch behandelt. Allerdings bot er sie in sehr vereinfachter Form an, und seine Lösung der Probleme bestand in einer Kombination aus Einsicht und Erfahrung.
Er konstatierte, dass wir Menschen leiden, so wie er es hier beschreibt. Aber letztendlich sei das eben Folge falscher Wahrnehmung: „Leid liegt nicht in der Tatsache, sondern in der Wahrnehmung der Tatsache.“ Diese falsche Wahrnehmung könnten wir allerdings nicht durch eigene Anstrengung überwinden. Das führe uns immer noch tiefer hinein ins Leiden. Nur Annahme des Leidens und Gnade werde uns davon befreien. Der Segen der „Deeksha“-Gabe werde uns die Einheit mit allem erleben lassen, so dass wir das Leiden überwinden. „Vertraut mir, ihr werdet diese göttliche Kraft erfahren und hinterher werdet ihr keine Angst vor Schmerzen mehr spüren!“ Ähnlich hatte er es schon den Konferenzteilnehmern vorgetragen, wie ein Bericht zeigt: „Nur was vollkommen erfahren wird, verwandelt sich in Freude, in Glückseligkeit, in absolutes Vertrauen. Es funktioniert! Vielleicht nicht beim ersten Mal. Vielleicht auch nicht beim 10. Mal. Vielleicht auch schon. Ganz bewusst soll die Göttliche Präsenz angerufen und um Hilfe gebeten werden, um mit dem Schmerz bleiben zu können. Es funktioniert!“23
Der Höhepunkt des Tages: Deeksha
Höhepunkt des Tages war das „Oneness Blessing“. Dieses Ereignis wurde in der Pause von einer „Deeksha-Geberin“ mit den Worten angekündigt: „Und danach gibt es Deeksha! Oh! Oh! Oh!“ Es klang so, als sei „Deeksha“ etwas, das man in großen Portionen verabreichen könne. Die Erwartungen waren auf jeden Fall hoch. Für diesen Moment kamen Musiker auf die Bühne, ein Sessel für einen Begleiter Anandagiris wurde auf dessen rechter Seite neben das Sofa gestellt. Auf der anderen Seite ging eine Frau auf einem kleinen weißen Teppich am Bühnenrand auf die Knie. Sie leitete die Zeremonie, die beiden Männer schauten schweigend zu. Nachdem sich die „Deeksha-Geber“ jeweils an die Enden der Stuhlreihen gestellt hatten, erschien die Projektion eines menschlichen Körpers mit den sieben Hauptchakren und ihnen jeweils zugeordneten Silben auf der Leinwand. Vor dem eigentlichen „Blessing“ wurden in aufsteigender Folge die Chakren durch Silbengesang nach Vorgaben der Leiterin bereitgemacht. Eine Hauptrolle während der „Oneness-Deeksha-Übertragung“ spielt das „Moolamantra“. Dazu heißt es: „Es ist ein spezielles Mantra zur Kontaktvertiefung mit dem inneren Licht, der inneren göttlichen Kraft, die alles erschafft. Dieses Mantra, wenn oft gesungen, gechantet oder gesprochen, kann eine große Brücke bauen zu dieser Kraft, wodurch Vertrauen in das Leben, Freude an der Existenz und Frieden im Sein automatisch auf natürliche Weise entstehen kann.“24
Anschließend gingen die „Deeksha-Geber“ durch die Reihen und „gaben Deeksha“. Die Empfänger saßen auf ihren Stühlen und hatten die Hände mit den Handflächen nach oben auf die Oberschenkel gelegt. Die Geber standen vor ihnen, hielten die geöffneten Hände zuerst über den Kopf, als wollten sie die „Energie“ von oben empfangen, um sie nach unten weiterzugeben. Dann legten sie den Empfängern beide Hände auf den Kopf und ließen sie dort eine Zeit lang ruhen. Zuletzt streiften sie mit den Händen an beiden Seiten der Köper der Empfänger entlang, woraufhin diese aufstanden und Geber und Empfänger sich umarmten. Einige „gaben“ sich gegenseitig „Deeksha“, darunter auch Paare, die offensichtlich zusammengehörten. Der Vorgang ging, von meditativer Musik begleitet, in großer Ruhe vonstatten. Die Teilnehmer verfielen nicht in Ekstase, aber sie waren zum Teil sichtlich bewegt, einige weinten. Die Zeremonie war sicherlich der Höhepunkt des Tages.25
Fazit
Es scheint so, als hätten wir es mit einer neuen Welle der esoterischen Bewegung der letzten Jahrzehnte zu tun. Besonders auffällig ist, dass vieles wieder auftaucht, was schon vergangen schien. Es gibt wieder eine Zukunftsvision für alle. In diesem Zusammenhang war auf der Veranstaltung auch der Begriff „New Age“ wieder zu hören. Alte Klassiker von Fritjof Capra bis Paramahansa Yogananda wurden erwähnt. Ein Referent, der „Deeksha“ von der wissenschaftlichen Seite her beleuchten sollte, nannte ausdrücklich Rupert Sheldrake und seine Hypothese von den morphischen bzw. morphogenetischen Feldern.
Immer wieder wird in der Bewegung ein wissenschaftlich abgesicherter Unterbau der Erleuchtungserfahrung beim „Deeksha-Geben“ behauptet. Es wird gesagt, dabei wirke „ein neurobiologischer Prozeß, der das Gehirn beeinflusst“26. Es gibt aber keinen Beleg dafür, dass es sich um mehr als Wortgeklingel handelt. Eine wissenschaftliche Untersuchung nach anerkannten Standards, die das Phänomen beleuchtet hätte, scheint nicht vorzuliegen. Und so bleibt auch der Begriff Energie, der in diesem Zusammenhang verwendet wird, in der Zweideutigkeit von physisch erfahrbarer Kraft einerseits und feinstofflichem Phänomen (das sich mit gängigen Messmethoden leider nicht nachweisen lässt) andererseits, die er in der gegenwärtigen Esoterikszene allgemein hat.
Verschiedene religiöse Traditionen werden in ihrer Eigenständigkeit nicht ernst genommen. So heißt es in einem Interview mit Sri Bhagavan: „Anscheinend haben die Unterschiede zwischen den Religionen nur mit dem Ego zu tun und nichts mit ihrer Essenz? – Ja.“27 Von Sri Anandagiri war zu hören, Buddha oder Jesus seien auch Avatare gewesen, auf einer Ebene mit Sri Bhagavan; jeder hätte eben seinen besonderen Auftrag zu erfüllen.
Der religiöse Charakter der „Oneness-Bewegung“ selbst wird geleugnet. So heißt es in dem eben schon zitierten Interview: „Der Mensch entdeckt nur das, was seine eigene Religion ihn gelehrt hat, er entdeckt also die Wahrheiten seines eigenen Glaubens. Was ich tue oder lehre, ist kein neuer Glaube oder eine neue Religion, es ist überhaupt nichts Neues. Es hilft euch nur, das zu entdecken, wonach ihr all diese Jahre lang gesucht habt. Ich persönlich bin also nicht im Konflikt mit Menschen anderen Glaubens.“28 Tatsächlich ist der hinduistische Hintergrund unübersehbar, wie schon die Begrifflichkeit zeigt. Die „Oneness“-Vorstellung ist nicht denkbar ohne den Hintergrund der Philosophie des Advaita-Vedanta. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang vielleicht noch, dass der Neohinduist Sri Aurobindo auffällig oft Erwähnung findet.
Nach den ersten Eindrücken scheint der Anteil der ehemaligen Osho-Anhänger in der Bewegung recht hoch zu sein. Die befragten Teilnehmer haben alle schon eine längere Zeit in der Esoterikszene verbracht. Manche fahren lange Wege zu „Deeksha-Gebern“, um regelmäßig „Deeksha“ zu empfangen. Ein Teilnehmer sagte dazu: „Es tut mir einfach gut.“ Bei manchen Erklärungen zu „Deeksha“ könnte der Eindruck entstehen, als ginge es um ein einmaliges, alles erhellendes und veränderndes Ereignis. Tatsächlich aber geht es um einen Prozess, zu dem mehrere Gaben von „Deeksha“ gehören.29
Bei einigen Gesprächspartnern war eine gewisse Skepsis in Bezug auf das angekündigte „Goldene Zeitalter“ unüberhörbar. Es gab aber auch recht euphorische Erwartungen dazu. Vorherrschend scheint die Überzeugung zu sein, es gäbe so etwas wie einen Ruf oder eine Vorherbestimmung, um „Deeksha-Geber“ werden zu können. Eine Frau sagte: „Jetzt ist eingetreten, worauf ich schon so lange gewartet habe.“ Die Nachfrage ergab, dass sie schon in früheren Existenzen auf diesen Moment gewartet haben will. Allerdings gab auch sie zu, dass in Bezug auf die weitere Entwicklung die Ansichten unterschiedlich sind. Vorerst scheint aber die Erwartung großer Dinge zu überwiegen.
Die Veranstaltung war perfekt organisiert. Zeitweise fühlte man sich in eine Bekehrungsversammlung versetzt. Das war z. B. der Fall, als am Anfang in einer Art Aufwärmphase ein angeblich erfolgreicher Geschäftsmann aus Belgien auf die Bühne kam und davon berichtete, wie „Deeksha“ sein Leben verändert hätte: Er war zwar erfolgreich, aber alles war hohl und leer. Dann kam „Deeksha“, und sein Leben bekam wieder Sinn und wurde erst richtig gut! Die Person Sri Anandagiri wurde im Programm und auf der Bühne ganz in den Mittelpunkt gerückt. Er wurde durch die überlebensgroße Videopräsentation auf der Leinwand unablässig ins Bild gesetzt, und zwei Fotografinnen, die mit professionellem Gerät die ganze Zeit durch den Saal streiften, hielten ihre Kameras vor allem in seine Richtung.
Schon 2006 wurden in dieser Zeitschrift kritische Anfragen formuliert (vgl. MD 6/2006, 227ff). Den dort genannten drei Punkten (Verkennung der Ambivalenz des menschlichen Daseins, Unterschlagung der Tradition einer Einweihung erst nach langem Prozess, Gefahr von Schuldzuweisungen an den, der nicht erleuchtet wird) können, wie oben schon angedeutet, noch einige hinzugefügt werden. Dem kritischen Beobachter fällt die Vergöttlichung von Menschen auf, die in der Form eine neue Qualität erreicht haben dürfte. In diesem Zusammenhang bereiten auch die unkritisch überlieferten Wunderberichte Probleme.30 Die „Erklärung“ des Leidens mit falscher Wahrnehmung verkennt nicht nur die Ambivalenz des menschlichen Daseins, sondern die Realität des Leidens überhaupt. Zumindest wirkt sie in der Form, in der sie dargeboten wurde, zu einfach. Es bleibt abzuwarten, welche Folgen zu erwartende Enttäuschungen haben werden, sollte es mit dem Erleuchtungsprozess nicht so vorangehen wie verkündet. Mittlerweile tauchen im Internet erste kritische Berichte und Stellungnahmen auf.31
Die Bewegung scheint sich (noch?) in einem Wachstumsprozess zu befinden. Es gibt für die Szene neue Personen, auf die sich die Hoffnungen der größtenteils erfahrenen und in den letzten Jahren vielleicht ein wenig heimat- oder orientierungslos gewordenen Anhänger richten können. Wie die in Hannover gemachte Ankündigung zum neuen „Level-3-Prozess“ zeigt, geht der Guru, wie andere vor ihm, auch den Weg in den Westen. Inhaltlich gibt es wohl nichts wirklich Neues zu entdecken.
Das „Deeksha“-Konzept wirkt wie „Erleuchtung light“. Bedeutsam scheint die Verknüpfung so vieler Elemente aus der New-Age- und Esoterik-Bewegung mit dem Neohinduismus.
Jürgen Schnare, Hannover
Anmerkungen
1 www.deeksha.de/mainpage/aktuell/033d6c9a7d0fabb01/index.html (8.10.2008).
2 www.onenessconference.de/conf_de/Bericht_Oneness-Konferenz.pdf (20.9.2008).
3 www.onenessconference.de/conf_de/chome.html .
4 Kiara Windrider, Deeksha, Energie des Erwachens, Bielefeld 32007, 225. – Beide Anredeformen sind ja aus anderen Zusammenhängen bekannt. Einerseits wurde die Anrede Bhagavan bzw. Bhagwan für den historischen Buddha oder auch für den Gründer des Rajneeshismus verwandt. Andererseits werden Hindugöttinen in Südindien Amma (Mutter) genannt. Dieselbe Anrede wird gegenwärtig auch für die Amma mit Ashram in Amritapuri benutzt. Man kann Sri Bhagavan unterstellen, dass er sich als Avatar Vishnus sieht, denn er soll eine Zeit lang auch die Bezeichnung Kalki getragen haben (Windrider, 275). Das ist der Name der erwarteten zehnten Inkarnation Vishnus. Sri ist ein hinduistischer Ehrentitel.
5 Windrider, a.a.O., 165.
6 Ebd.
7 Ebd.
8 Ebd., 273.
9 www.deeksha.de/mainpage/deeksha/onenessuniversity/index.php (22.9.2008).
10 www.deeksha.de/mainpage/aktuell/internationalenews/index.php (8.10.2008). – Am 22. März 2008 wurde von der Bewegung ein Campus auf den Fidji-Inseln eröffnet (www.deeksha.de/mainpage/aktuell/033d6c9a6e10ab209/index.php, 8.10.2008).
11 Windrider, a.a.O., 225.
12 Ebd., 228.