Hanna Fülling

Dem Populismus widerstehen

Kirchliche Handlungsfelder beziehen Stellung für ein solidarisches Miteinander

„Dem Populismus widerstehen“ – Arbeitshilfe der Deutschen Bischofskonferenz

Die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) hat Ende Juni 2019 die Arbeitshilfe „Dem Populismus widerstehen“ herausgegeben.1 Sie möchte damit Kirchengemeinden und kirchlichen Gruppen praktische Impulse bereitstellen, um ihnen den Umgang mit dem Phänomen des Populismus auch in den eigenen Kirchengemeinden zu erleichtern.

Die Arbeitshilfe basiert auf der Analyse, dass vor allem im Zuge der Flucht- und Migrationsbewegungen in den Jahren 2015 und 2016 deutlich wurde, dass Populismen in der Lage sind, Ängste und Verunsicherungen in der Bevölkerung zu bündeln. Sie erhielten dafür auch Zuspruch aus der bürgerlichen Mitte und aus kirchlichen Milieus. Einen besonderen Handlungsbedarf sieht die DBK beim Thema Rechtspopulismus, wie der Hamburger Erzbischof Stefan Heße bei der Pressekonferenz zur Vorstellung der Arbeitshilfe erläuterte. Dies liege vor allem daran, dass sich rechtspopulistische Bewegungen als Verteidiger eines christlichen Abendlandes inszenierten – ohne ihren Anschauungen jedoch das christliche Menschenbild zugrunde zu legen.

In der Arbeitshilfe wird diese thematische Konzentration durch die Konkretisierung des Populismusphänomens erläutert. Eine genaue Bestimmung des Populismus ist erforderlich, weil er ein schillernder Begriff ist, dem bislang keine einheitliche Verwendungsweise zugrunde liegt. Die Populismusforscherin Karin Priester konstatiert, dass drei verschiedene Definitionen von Populismus verwendet werden: Populismus als eine Strategie des Machterwerbs, Populismus als eine Diskurspraxis und Populismus als Ideologie.2 In der Arbeitshilfe findet sich die dritte Form wieder. Populismus wird darin als Ideologie bestimmt und mit spezifischen inhaltlichen Positionen assoziiert. Diese bestünden etwa in dem populistischen Anspruch, das Volk als einzige Gruppe bzw. Bewegung authentisch vertreten zu können. Dabei werde ein spezieller Volksbegriff zugrunde gelegt, der die tatsächlich vorhandene Meinungspluralität der Bevölkerung nicht abbilde, sondern ein homogenes und ausschließendes Volksverständnis konstruiere. Im Populismus existiere zudem die Untergangs- und Verschwörungstheorie, wonach das Volk in seiner Existenz bedroht sei. Daraus werde das Bestreben abgeleitet, das eine Volk gegen fremde Einflüsse zu schützen (14f). Zudem konstatiert die Arbeitshilfe, dass im Populismus Misstrauen und Hass gegen alle Etablierten in Politik, Wirtschaft, Kultur, Medien, Wissenschaft und Kirche sowie gegen die Institutionen repräsentativer Demokratie postuliert und eine Kommunikation verbreitet werde, die nicht auf Argumenten basiere, sondern gefühlszentriert sei (15). Die Schrift fokussiert mit dieser ideologischen Bestimmung des Populismusbegriffs den Rechtspopulismus, da vor allem rechtspopulistische Einstellungen in Deutschland an Zuspruch gewönnen (17).

Diesem tritt die Schrift der DBK durch theologische und verfassungstheoretische Argumentationen entgegen und konkretisiert sie durch zahlreiche kirchliche Initiativen, wie etwa „Die Aktion ‚Dein Grundgesetz‘ in Sachsen-Anhalt“, „Kirchliche Auseinandersetzungen mit Pegida in Dresden“ und „Neue Nachbarschaft in der Diaspora: Muslimische Einwanderer im Erzbistum Berlin“ (3). In der Arbeitshilfe wird anhand von vier Themenbereichen erläutert, warum der Rechtspopulismus im Widerspruch zum christlichen Glauben und zur katholischen Tradition stehe (7).

Den ersten Themenbereich bilden „Flucht und Asyl“. Die Arbeitshilfe legt dar, dass das Gemeinwohl aus kirchlicher Sicht nicht national oder regional verstanden werden dürfe, sondern dass die globale Perspektive in Anschlag gebracht werden müsse (40). Die gegenwärtigen Flucht- und Migrationsbewegungen werden von der katholischen Kirche als Auftrag Gottes interpretiert, sich für eine gerechte Ordnung einzusetzen und die „christliche Friedensbotschaft in Wort und Tat zu verkünden“ (42). Die christliche Nächstenliebe dürfe hierbei nicht auf die Glaubensgeschwister begrenzt bleiben, sondern komme nach biblischem Verständnis allen Menschen zu (44). Christen sollten deshalb einer Vereinnahmung biblischer Texte durch ethnopluralistische Argumentationen zur Untermauerung von expliziten Völkertrennungen deutlich widersprechen.

Einen zweiten Schwerpunkt bildet die Thematik „Islam in Deutschland“. Die Arbeitshilfe unterscheidet dabei zwischen berechtigter Islamkritik und Islamfeindlichkeit. Während Erstere „legitime oder sogar notwendige Bedenken“ gegenüber muslimischen Gläubigen oder muslimischen Institutionen formuliere, seien islamfeindliche Äußerungen einseitig negative, abwertende und benachteiligende Äußerungen – Ressentiments gegen eine gesellschaftliche Minderheit (47). Rechtspopulismen verwendeten antimuslimische Parolen und klassifizierten Muslime pauschal als fremd, gefährlich und kulturbedrohlich (ebd.). Die Ursachen für den großen Zuspruch, den solche Argumentationen in der Bevölkerung erfahren, werden in der Schrift sowohl in der historisch basierten Narration des Islam als machtpolitische Bedrohung des Christentums als auch in den zahlreichen Krisen in vielen Ländern mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung und im islamistischen Terrorismus gesehen (48). Als ein weiteres Motiv für die ablehnende Haltung gegenüber der islamischen Religion in Deutschland betrachtet die DBK den Verlust christlicher Glaubensgewissheit. Die Rückläufigkeit des Christentums könne aber nicht den Muslimen angelastet werden. Die DBK bekräftigt, dass „Hass, Gewalt und Angriffe auf andere Menschen“ nicht mit der Nachfolge Christi vereinbar sind. Deshalb ruft die katholische Kirche zu Dialog und Verständigung auf. Hierfür rekurriert die Arbeitshilfe vor allem auf die Erklärung „Nostra aetate“ des Zweiten Vatikanischen Konzils, in der an Christen und Muslime appelliert wird, „das Vergangene beiseite zu lassen, sich aufrichtig um gegenseitiges Verstehen zu bemühen und gemeinsam einzutreten für Schutz und Förderung der sozialen Gerechtigkeit, der sittlichen Güter und nicht zuletzt des Friedens und der Freiheit aller Menschen“ (Nr. 3).

Als drittes Abgrenzungsfeld vom Rechtspopulismus thematisiert die Arbeitshilfe „Familienbilder, Frauenbilder, Geschlechterverhältnisse“. Gerade in diesem Themenbereich suche der Rechtspopulismus die Nähe zur katholischen Kirche. In der Arbeitshilfe wird eine solche Nähe insbesondere aufgrund der Begründung der Familien- und Geschlechterbilder dementiert. Der rechtspopulistischen Argumentation liege ein bevölkerungspolitisches Interesse zugrunde. Sie propagiere durch das Eintreten für traditionelle Geschlechterbilder eine ethno-nationalistische Familienpolitik, die zugleich eine Anti-Migrationspolitik sei und Ausländer- und Islamfeindlichkeit inkludiere. Die kirchliche Sozialverkündigung biete keine Anhaltspunkte für eine solche Ideologie (53).

Neben den Begründungsdifferenzen konstatiert die Arbeitshilfe auch essenzielle Unterschiede im Familienbild. Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil seien die traditionellen Geschlechterverhältnisse korrigiert worden. Die Ehe werde von der katholischen Kirche seither als Partnerschaft gesehen und die Präsenz des Vaters bei der Kindererziehung begrüßt. Die Kirche vertrete kein starres Familienbild, sondern nehme die Komplexität und die Ambivalenzen von Familienwirklichkeiten ernst. Zudem fordere die christliche Ethik dazu auf, manifeste Geschlechterungleichheiten aufzudecken und für die Verwirklichung der Gleichheit aller Menschen an Würde und Rechten im Gemeinwesen einzutreten (54). Zurückgewiesen wird jedoch die Annahme absoluter Gleichheit bzw. absoluter Differenz von Mann und Frau, die Abwertung der Mutterrolle, die Infragestellung von Ehe und Familie sowie die Wählbarkeit geschlechtlicher Identität (56).

Den vierten Themenblock bildet in der Arbeitshilfe der Bereich „Identität und Heimat“. Zwar bedeute Identität auch Abgrenzung, diese dürfe aber nicht als Ablehnung und Abwertung erfolgen (60). Die Arbeitshilfe plädiert in diesem Zusammenhang für eine lebendige Identitätsdebatte, in der diskutiert wird, wie viele Unterschiede und wie viel Toleranz möglich sind und wie Herabsetzung vermieden werden kann (68). Die Schrift wirbt zudem dafür, dass Modernisierung und Globalisierung nicht allein als Bedrohungen aufgefasst, sondern auch als Möglichkeiten zur Gestaltung angesehen werden. Hier sei die Politik in der Pflicht. Sie muss „ökonomische und soziale Herausforderungen für breite Bevölkerungskreise verträglich und gerecht gestalten, sodass Veränderungen nicht überwiegend als Verlust erlebt werden“ (62). Diese Beschreibung der politischen Aufgabe wird in der Arbeitshilfe durch die Analyse ergänzt, dass der Rechtspopulismus nicht nur Symptom für einen schleichenden Verlust gelebter Demokratie sei, sondern dass darin auch seine Ursache liege. Es sei deshalb erforderlich, dass demokratische Verfahren und Institutionen als Orte der Meinungsvielfalt bewahrt werden (27).

„Konsens und Konflikt“ – Impulspapier der EKD

Ein ähnlicher Appell an die Politik findet sich in der Schrift „Konsens und Konflikt. Politik braucht Auseinandersetzung“ der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).3 Die Kammer für Öffentliche Verantwortung der EKD hat sich in dem 2017 erschienenen Text mit Veränderungen und Krisen der Gesellschaft sowie mit der Wahrnehmung und Gefährdung von Demokratie etwa durch populistische Politik auseinandergesetzt und zehn Impulse entwickelt, welche die gegenwärtigen gesellschaftlichen Diskurse und Spannungen reflektieren und Anregungen „zur Stabilität der Demokratie und zur Fortentwicklung unserer offenen Gesellschaft“ formulieren (7). Die Kammer erneuert in der Schrift das Bekenntnis der evangelischen Kirche zur „Demokratie als Lebensform der Vielfalt“ (9). Anders als die DBK, die in der Arbeitshilfe, wie zuvor gezeigt, einen Populismusbegriff entwickelt, der an inhaltlichen Kriterien orientiert ist, und dabei primär den Rechtspopulismus fokussiert, stellt der Kammertext keine explizite Definition des Populismus in den Vordergrund, sondern analysiert stattdessen die Bedingungen für den Aufstieg populistischer Politik und bedenkt die daraus resultierenden Konsequenzen für Politik und Kirche.

Als zentrale Ursachen für den Zuspruch, den populistische Politik erfährt, werden Ausgrenzung und mangelnde Repräsentanz genannt. Als politische Reaktion fordert die Kammer Antworten auf neue gesellschaftliche Bruchlinien und überholte Ordnungsvorstellungen. Auch spannungsreiche Aushandlungsprozesse beim Thema Zugehörigkeit, die zwischen schutzsuchenden Menschen auf der einen und der Leistungsfähigkeit des aufnehmenden Gemeinwesens auf der anderen Seite verlaufen, müssen offen und ohne Vorbehalte erfolgen können (18). Es wird gefordert, dass die Repräsentation der Meinungspluralität im öffentlichen Diskurs gewährleistet ist – allerdings ohne die Duldung von physischer und psychischer Gewalt und Rassismus. In diesem Zusammenhang werden auch die Bürgerinnen und Bürger zur Beteiligung an demokratischen Diskursen ermutigt. Insgesamt müsse die Gestaltung der demokratischen Politik auf eine stärkere Hörbereitschaft abzielen, damit populistischer Politik effektiv entgegengewirkt werden könne.

Abschließend fokussiert der Kammertext die Rolle der Kirchen und hebt hervor, dass sie sich als „Orte der demokratischen Beteiligung“ verstehen, „Ängste wahrnehmen, Gespräche führen, Konflikte austragen“ sollen. Dieses abschließende Plädoyer sticht in der Schrift heraus, da die Ausführungen bis dahin vor allem auf die Politik bezogen waren. Darin unterscheidet sich der EKD-Text in weiten Zügen von der Arbeitshilfe der DBK, da Letztere stärker innerkirchliche Prozesse etwa in Form der Darstellung von praktischen Initiativen thematisiert und einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Populismus bzw. dem Rechtspopulismus nachgeht.

Fazit

Die betrachteten Schriften der DBK und der EKD belegen, dass die Kirchen öffentliche Verantwortung übernehmen, gegen Hetze, Menschenfeindlichkeit und Engstirnigkeit eintreten und sich für Menschenwürde, Meinungsfreiheit und demokratische Verfahren einsetzen. Es gibt weitere Beispiele von kirchlichen Handreichungen und Orientierungshilfen, die das belegen.4 Dass beide Kirchen in ihrer je eigenen Manier Schriften zu diesem thematischen Spektrum veröffentlicht haben, zeigt, dass unsere Gesellschaft als krisenhaft und gefährdet wahrgenommen wird. Sie belegen aber auch, dass es Menschen und Organisationen gibt, die Verantwortung übernehmen und sich für eine demokratische Gesellschaft und ein solidarisches Miteinander einsetzen.


Hanna Fülling
 

Anmerkungen
 

  1. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz: Dem Populismus widerstehen. Arbeitshilfe zum kirchlichen Umgang mit rechtspopulistischen Tendenzen, Arbeitshilfe Nr. 305, Bonn 2019. Die in diesem Kapitel in Klammern angegebenen Seitenangaben beziehen sich darauf.
  2. Vgl. Karin Priester: Definitionen und Typologien des Populismus, in: Soziale Welt 62/2 (2011), 185.
  3. EKD: Konsens und Konflikt. Politik braucht Auseinandersetzung. Zehn Impulse der Kammer für öffentliche Verantwortung der EKD zu aktuellen Herausforderungen der Demokratie in Deutschland, Hannover 2017. Die in diesem Kapitel in Klammern angegebenen Seitenzahlen beziehen sich darauf.
  4. Vgl. etwa: Diakonie Deutschland. Evangelisches Werk für Diakonie und Entwicklung e. V.: Umgang mit Rechtspopulismus. Eine Handreichung für die Diakonie, Berlin 2019; Evangelische Kirche in Hessen und Nassau: Orientierungshilfe für Kirchenvorstände zum Umgang mit Rechtspopulismus, Darmstadt 2018.