Demographischer Wandel erreicht NAK
(Letzter Bericht: 9/2006, 334ff) In der Neuapostolischen Kirche (NAK) in Berlin-Brandenburg zeichnet sich ein gravierender Umbau ab. So will die NAK-Gebietskirche in absehbarer Zeit etwa ein Fünftel ihrer Gemeinden schließen. Wie man hört, sollen von derzeit 134 Gemeinden rund 30 Gemeinden geschlossen werden und ihren Standort aufgeben. Zehn der 28 betroffenen Gemeinden befinden sich im Großraum Berlin. Die Nachricht wurde in den betroffenen Gemeinden mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Kritisiert wurde die Entscheidung als solche, aber auch die mangelnde Kommunikation durch die Leitung der NAK.
Ende August 2006 lud daher der zuständige Bezirksapostel, Wolfgang Nadolny, zu einem Gesprächsabend ein. Vor allem der Umfang der Reform und die Tatsache, dass viele Kirchen im ehemaligen West-Berlin geschlossen werden sollen, hatte in den Gemeinden Fragen aufgeworfen und war zum Teil auf Unverständnis gestoßen. „Ich bin mir bewusst, dass es bei solchen Entscheidungen kein objektives ‚Richtig‘ geben kann – für irgendjemanden ist es immer falsch, irgendjemand trifft es immer besonders hart“ – mit dieser Bemerkung warb Nadolny deshalb am Beginn des Gesprächsabends um Verständnis. Dennoch zog er eine insgesamt positive Bilanz des Reformprozesses. Die Bezirksreform sei der größte Veränderungsprozess, den die Gebietskirche seit ihrer kirchlichen Wiedervereinigung im Jahr 1992 zu absolvieren habe. Das Gesamtkonzept der Reform sei in enger Zusammenarbeit mit den Aposteln, Bischöfen, Bezirksältesten sowie letztlich auch mit den Gemeindevorstehern entwickelt worden.
Den erheblichen Umfang der Reform begründete Nadolny vor den rund 150 Anwesenden mit dem Verweis auf den demographischen Wandel in der Bundesrepublik und speziell in Berlin. Die steigende Lebenserwartung und die sinkenden Geburtenzahlen machten sich auch in den NAK-Gemeinden bemerkbar. So sei mittlerweile nahezu ein Drittel der aktiven Gebietskirchenmitglieder 65 Jahre oder älter. Die Zahl der Kinder (0-14 Jahre) liege bei zehn, die der Jugendlichen (15-25 Jahre) bei 13 Prozent. Damit stelle sich die Situation innerhalb der NAK noch dramatischer dar als in der Region Berlin. Insgesamt sank die Zahl der Kirchenmitglieder von 1992 bis heute um 11 Prozent auf rund 26.300.
Dass ein Drittel der zur Schließung vorgesehenen Gemeinden in den westlichen Stadtteilen liegen, erklärt sich daraus, dass in Brandenburg und in den Ost-Bezirken Berlins bereits im Laufe der 90er Jahre nach und nach rund 30 Standorte geschlossen wurden. Im gleichen Zeitraum sei jedoch in den Westbezirken die Zahl der Mitglieder besonders stark gesunken, z.T. auch, weil zahlreiche Familien nach der Wiedervereinigung ihren Wohnsitz in das Umland verlegt hätten. Ungeachtet der bevorstehenden Gemeindefusionen behalten die Berliner Westbezirke allerdings auch weiterhin eine höhere Kirchendichte als die übrigen Regionen der Gebietskirche. Etliche Neuapostolische aus kleineren Gemeinden, die geschlossen werden sollen, äußerten an dem Abend die Sorge vor zu großer Anonymität. Auch seien die längeren Anfahrten vor allem für ältere Glaubensgeschwister ein Problem. Nadolny trat Gerüchten entgegen, wonach finanziell besonders attraktive Grundstücke verkauft werden sollen. Er erklärte, dieses Kriterium spiele keine Rolle. Die Reform geschehe auch nicht aus Geldnot. Auch der Umstand, dass die neuapostolischen Gemeinden in Russland seit vergangenem Jahr ausschließlich von Berlin-Brandenburg aus betreut würden, habe nichts an der finanziellen Situation verändert.
Die Vorgänge zeigen erneut, wie ähnlich die strukturellen Probleme unterschiedlicher christlicher Kirchen sind: Mitgliederrückgang, demographische Verwerfungen, Schrumpfen der Gemeinden sowie die Frage nach der Zukunft mancher Kirchengebäude – das sind auch die Herausforderungen für die großen Kirchen.
Andreas Fincke