Der Antichrist in der ACK
(Letzter Bericht: 10/1997, 317f) Seit Januar erscheint die wichtigste deutschsprachige Zeitschrift der Siebenten-Tags-Adventisten (STA), das Adventecho, in neuer Aufmachung. Man hofft damit die Auflage von derzeit lediglich rund 6500 Exemplaren deutlich steigern zu können; immerhin leben in Deutschland etwa 22000 adventistische Familien.
Die Dezemberausgabe 2003 und damit die letzte Ausgabe des "alten" Adventecho präsentierte den Lesern eine Beilage zum Thema "Der Antichrist". Es handelte sich um den (gekürzten) Nachdruck eines Fachbeitrages aus der englischsprachigen Adventist Review vom 25. Mai 2000. Der Autor, Woodrow W. Whidden, ist Theologieprofessor an der adventistischen Andrews-Universität in Berrien Springs (Michigan). Warum dieser Beitrag dreieinhalb Jahre nach seinem ersten Erscheinen nunmehr in Deutschland publiziert wird, bleibt ungesagt.
Der Autor eröffnet seine Überlegungen gleich in der ersten Zeile mit der rhetorischen Frage: "Welche Haltung sollten Adventisten heute gegenüber der katholischen Kirche und dem Papsttum einnehmen? Ist es Zeit, unseren traditionellen Standpunkt zu ändern?" Langsam tastet sich Whidden an das schwierige Thema heran: Was sagt die Bibel über die Natur des Antichristen? Und: Hat sich das päpstliche Rom in den letzten Jahrzehnten so entscheidend verändert, dass eine Neupositionierung des Adventismus angezeigt wäre? Die Überlegungen ziehen einige Kreise und enden in der Feststellung: "Das päpstliche Rom ist immer noch die in Daniel 7 und 8, in 2. Thessalonicher 2 und Offenbarung 13 beschriebene große Macht." Ein recht handfestes Ergebnis, auch wenn der Autor reichlich unvermittelt einräumt, dass dieses ihn "sehr traurig" macht. Auf die abschließende rhetorische Frage, ob die Adventisten nun eine neue Kampagne zur Entlarvung des Papsttums (wörtlich: "to give the Papacy a good roasting") anregen sollten, schlägt der Autor vor, Jesus und seine Erlösungstat wieder vermehrt in das Zentrum der adventistischen Arbeit zu rücken, zumal dieses Zeugnis dann "aufrichtig Suchende aus dem 'babylonischen' System herausrufen kann".
Sieht man sich die von Whidden vorgetragenen Überlegungen genauer an, so fallen zwei zentrale Thesen auf: Wer die ewige Autorität der Zehn Gebote leugnet, der ist der Antichrist. Nun werden die Gebote von allen Christen hoch geachtet - auch, das dürfte man in adventistischen Kreisen wissen, in der katholischen Kirche. Dies möchte der Verfasser mit dem Hinweis widerlegen, dass etwa das Gebot der Sabbat-Heiligung (Samstag oder Sonntag) von Rom nicht hinreichend interpretiert wird. In der Tat gibt es in dieser Frage Meinungsverschiedenheiten zwischen den Adventisten und den meisten ökumenischen Kirchen. Whidden zieht jedoch einen recht eigenwilligen Schluss aus seinen Überlegungen: Da die römisch-katholische Kirche dieses eine Gebot anders als die Adventisten auslegt, verwirft sie den gesamten Dekalog. Reichlich kühn - und inkonsequent. Denn nach dieser Logik wären nahezu alle Kirchen der Reformation mit dem Antichrist zu identifizieren. Eine Konsequenz, bis zu der der Autor offenbar nicht gehen will.
Ein zweites Argument des adventistischen Verfassers geht davon aus, dass der Antichrist seine Ansprüche mit Hilfe "vorgetäuschter Wunder, durch Manipulation oder mithilfe der Staatsmacht" zeigt. Nun räumt der Verfasser zwar ein, dass die katholische Kirche derzeit niemanden aufgrund seines Glaubens verfolgt, er bemüht jedoch Ellen White mit einem etwas mühsamen Zitat und schließt mit der allgemeinen Feststellung: "Jede irdische Macht, ... deren Motivationskraft zum Gehorsam nicht auf der Liebe Gottes basiert, wird ihre Überzeugungen und Praktiken letztlich mit Gewalt durchsetzen." Somit ist klar: Rom ist der Antichrist, weil die Römische Kirche theoretisch ihre Interessen mit Gewalt durchsetzen kann.
Im Februarheft 2004 des Adventecho fand sich ein kritischer Leserbrief zu Whiddens Beitrag. Der Artikel sei "ein Beispiel für eine fragwürdige und unsaubere theologische Arbeit" und eines Professors der Andrew-Universität "unwürdig". Es gelte vielmehr festzuhalten, dass die verwendeten Bibelstellen nicht den Antichrist beschreiben, wohl aber das Papsttum. Insofern ist es "nicht verwunderlich, dass sie darauf zutreffen". Weiter verweist der Leser darauf, dass der Begriff "Antichrist" lediglich in den Briefen des Johannes vorkommt und zwei Kriterien nennt: Der Antichrist leugnet, dass Jesus der Christus ist und bekennt nicht, dass Jesus Christus in das Fleisch gekommen ist (vgl. 1. Joh 2,22; 4,2f; 2. Joh 7). Das sind Kriterien, die weder auf die katholische Kirche noch auf andere christliche Kirchen zutreffen.
Auf Anfrage teilte uns die "Zentralstelle für Apologetik" der Gemeinschaft der Siebenten-Tags-Adventisten mit, dass die Entscheidung über den Abdruck des Beitrages allein vom (damaligen) Chefredakteur getroffen wurde. Für diesen war das Dezemberheft die letzte von ihm verantwortete Ausgabe; er übernahm planmäßig zum 1. Januar 2004 eine neue Aufgabe. Ferner wurden wir noch einmal auf die bekannte Position der STA hingewiesen, wonach man im Papsttum den Antichristen sieht, nicht jedoch in bestimmten Personen oder in der (ganzen) römisch-katholischen Kirche.
Zweifellos steht es der Gemeinschaft der Siebenten-Tags-Adventisten frei, die römisch-katholische Kirche bzw. das Papsttum zu kritisieren. Das ist nicht die Frage. Der Artikel von Whidden und sein Abdruck ein halbes Jahr nach dem Ökumenischen Kirchentag verwundert deshalb, weil es hier nicht um Kritik, sondern um Dämonisierung der katholischen Kirche geht. Wer ernsthaft glaubt, dass die katholische Kirche der in der Bibel benannte Antichrist sei, der müsste über die weitere Zusammenarbeit in der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) oder bei Kirchentagen nachdenken. Wer den ökumenischen Schonraum für sich in Anspruch nimmt, muss auch die Idee der Ökumene akzeptieren.
Andreas Fincke