Matthias Pöhlmann

Der Fall Williamson

Eklat um antisemitische Äußerung des Bischofs der Priesterbruderschaft St. Pius X.

Die von dem früheren französischen römisch-katholischen Erzbischof und später exkommunizierten Marcel Lefebvre (1905-1991) gegründete „Piusbruderschaft“ mit 600000 Mitgliedern weltweit sorgt seit Anfang 2009 für öffentliche Empörung und heftige Diskussionen. Vorausgegangen war die am 21. Januar 2009 von Papst Benedikt XVI. vollzogene Aufhebung der Exkommunikation der vier 1988 von Lefebvre zu Bischöfen geweihten Priester der Bruderschaft. Einer von ihnen, der Engländer Richard Williamson (Jg. 1940), sorgte jetzt in einem zeitnah ausgestrahlten Fernsehinterview des schwedischen Fernsehens mit Äußerungen, in denen er die Existenz von Gaskammern in der Zeit des Nationalsozialismus leugnete, für einen handfesten Skandal. Die Leugnung des Holocaust stellt in Deutschland ein Offizialdelikt dar. Die Staatsanwaltschaft Regensburg hat deshalb gegen den Bischof inzwischen ein Ermittlungsverfahren wegen Volksverhetzung eingeleitet, da das Interview in ihrem Zuständigkeitsbereich, im Priesterseminar der Gemeinschaft in Zaitzkofen (Oberpfalz), aufgenommen worden war.

Der Zentralrat der Juden übte an der Aufhebung der Exkommunikation der Priestervereinigung heftige Kritik. Die Entrüstung war auch innerhalb der katholischen Kirche groß. Einzelne deutsche Bischöfe verlangten eine angemessene Entschuldigung von höchster Stelle für die dummen wie dreisten Behauptungen Williamsons. Auch die Deutsche Bischofskonferenz verurteilte die Aussagen des Traditionalisten scharf. Der Vatikan rief den nach der aufgehobenen Exkommunikation nunmehr suspendierten Bischof am 4. Februar 2009 zum öffentlichen Widerruf auf. Ohne eine „absolut unmissverständliche und öffentliche“ Distanzierung von seinen Aussagen zur Judenvernichtung werde er keine Zulassung zu bischöflichen Aufgaben in der Kirche erhalten, betonte die Kurie.

Einblicke in das Weltbild Williamsons

Das Weltbild des ultrakonservativen Theologen Williamson ist, wie seine Äußerungen in den Jahren zuvor belegen, von Verschwörungstheorien, antimodernistischen, antisemitischen und antiliberalen Überzeugungen durchzogen. So erblickte Williamson schon im Jahr 2000 in der antisemitischen Hetzschrift, den historisch erwiesenermaßen gefälschten Protokollen der Weisen von Zion eine authentische Informationsquelle.1 Zusätzlich vertritt der Bischof eine ohnehin virulente antiaufklärerische und antifreimaurerische2 Weltsicht, die auch vor Weltuntergangsfantasien und Strafszenarien Gottes nicht zurückschreckt. Einen interessanten Einblick in das Denken Williams gewährt eine Predigt vom 24. Juni 2008, die er anlässlich einer Firmung in München hielt:

„Schlimme Zeiten kommen auf uns zu! Und sie sind schon da, ein 3. Weltkrieg ist absolut im Bereich des Möglichen ... Eine Strafe aber kommt sicher. Der liebe Gott – wenn er nicht aufgehört hat zu existieren, allmächtig zu sein und sich um die Menschheit zu kümmern – wird irgendwann eingreifen, um zurechtzubiegen, was menschlich gesehen unheilbar ist. Das hat Joseph Ratzinger, als er noch Kardinal war, vor 10 Jahren schon gesagt. Vor etwa 10 Jahren, ich erinnere mich [noch genau], als er das sagte. Jetzt ist er Papst und fühlt wahrscheinlich, dass er selbst als Papst nichts tun kann. Das ist es wahrscheinlich, was er fühlt, was er spürt. Im besten Falle könnte er aufstehen – also [zunächst] klar sehen, aufstehen und sich dann töten lassen. Im günstigsten Falle! Das ist das Beste, was er tun könnte. Klar zu sehen, wäre jedoch die erste Voraussetzung – aber klar zu sehen ist für diese armen Modernisten so gut wie unmöglich. Sie haben im wahrsten Sinne des Wortes ‚den Kopf verloren’– durch die ‚Schmalz-Philosophie’ der modernen Zeit. Und zwar hat diese ‚Schmalz-Philosophie’, diese ‚Schmalz-Theologie’, diese ‚Schmalz-Kirche’ natürlich eine ‚Schmalz-Welt’ erzeugt, wo wir mit ansehen müssen, dass z.B. die Berufungen immer weniger werden ... Man kann aus ‚Schmalz-Menschen’ keine Priester heranbilden, noch religiöse Berufungen [bei ihnen] wecken. Woher kommt dieser Schmalz? Im Grunde genommen aus der Religionsfreiheit, die jetzt überall die Geister beherrscht. Von der Freimaurerei, von den Feinden Gottes! Die Feinde Gottes haben vermeintlich gesiegt – passen Sie gut auf: scheinbar gesiegt, aber es war nicht der Endsieg! Der liebe Gott hat alles in seiner Hand: Sie haben scheinbar gesiegt, aber die Strafe Gottes bleibt nicht mehr lange aus! Wann sie kommt, das weiß ich nicht. Und vielleicht wird ein 3. Weltkrieg – menschlich gesehen – nicht das Schlimmste sein. Der 3. Weltkrieg könnte nur der Anfang von Gottes Strafgericht sein. Das wäre schon möglich, denn es wird schon etwas brauchen, um die heutige [Welt] vom Schlamm zu reinigen. Die Menschen haben keinen Halt mehr. Wir – wir haben keinen Halt mehr! Wir sind nicht am Ende der Welt, sondern am Ende einer Welt! Einer Welt des Luxuslebens, das wir dank der modernen Wirtschaft und dank dem Öl jetzt seit 150 Jahren haben, des materiellen Wohlstands, der immer weiter gestiegen ist, der Raserei von einem Ende zum anderen, die notwendig ist, um dieses Luxusleben aufrechtzuerhalten. Das alles wird verschwinden! Und es ist besser so. Bereiten Sie sich darauf vor!

Eine ganze Weltordnung wird also verschwinden. Aber das, was bleiben wird, ist unsere heilige katholische Religion! ... Ich weiß nicht wie bald, aber die Finanzsysteme in den Vereinigten Staaten sind dabei zusammenzubrechen. Und anscheinend kann nichts mehr dies verhindern. Dieser Zusammenbruch ist nicht mehr aufzuhalten. Und die Versuchung für die amerikanischen Politiker wird sein, das Volk von den inneren Problemen mit einem äußeren Krieg abzulenken. Das ist das klassische Verhalten der Politiker in so einem Fall. Bitte – das ist nur eine Möglichkeit, keine Prophezeiung. Nur ein Hinweis oder eine Vermutung, ein Hinweis, dass das Leben, so wie wir es heute kennen, dem Ende entgegengeht. Aber unsere Religion wird bleiben, genau dieselbe, so wie wir, die wir zur Tradition gehört haben, sie – Gott sei Dank – mit der Gnade Gottes nicht verloren haben, im Gegensatz zu so vielen Katholiken. Aber passen wir auf! Wir sind fast alle als Menschen ‚nicht mehr ganz dicht’. Und die Religionsfreiheit, d.h. der Liberalismus zehrt sanft an uns allen ... Es kommt vielleicht zum Martyrium. Vielleicht wird sogar unser Blut notwendig sein, um die Reinigung der Kirche zu vervollkommnen, um sie überhaupt zustande zu bringen. Es ist schon möglich, dass die bösen Mächte, die heute herrschen, einen Sündenbock suchen werden. Und die Traditionalisten, als ‚Fundamentalisten’ bezeichnet, werden dieser Sündenbock sein. Dann kommen wir alle ins Gefängnis. Das ist keine Prophezeiung – keine Prophezeiung, bitte schön! –, sondern nur eine Möglichkeit. Alles Unvorstellbare ist heute möglich! Einen gewaltigen Umsturz wird es auf jeden Fall geben.“3

„Speerspitze“ gegen den Modernismus

Die Priesterbruderschaft St. Pius X. versucht seit dem öffentlichen Eklat fieberhaft, sich von den neuesten Äußerungen Williamsons zum Holocaust zu distanzieren. In einer offiziellen Mitteilung vom 27. Januar 2009 erklärte der Generalobere der Gemeinschaft, Bischof Bernard Fellay, dass „diese Äußerungen in keiner Weise die Haltung unserer Gemeinschaft wiedergeben“. Wie er weiter ausführte, habe ein Bischof „nur zu Fragen des Glaubens und der Moral mit Autorität“ zu sprechen. Die Bruderschaft beanspruche darüber hinaus „keinerlei Autorität über historische und andere säkulare Fragen“. Deshalb habe er Bischof Williamson bis auf weiteres „jedwede öffentliche Stellungnahme zu politischen oder historischen Fragen untersagt“. Gleichwohl lässt Fellay keinen Zweifel an der Ausrichtung der Bruderschaft aufkommen: „Die ständig vorgebrachten Anklagen gegen unsere Bruderschaft dienen offenkundig auch dem Zweck, unsere Mission zu diskreditieren. Das werden wir nicht zulassen, sondern fortfahren, die katholische Lehre zu verkünden und die Sakramente in ihrer altehrwürdigen Form zu spenden.“4

Indes haben sich führende Repräsentanten der Vereinigung mehrfach zu historischen Zusammenhängen geäußert – insbesondere dann, wenn es für eigene Zielsetzungen gelegen erschien. So betrachtet der Distriktsobere von Deutschland, Pater Franz Schmidberger, die Priesterbruderschaft St. Pius X. insgesamt als „Speerspitze gegen die weitere Zerstörung und für die Erneuerung von Kirche und Gesellschaft an Haupt und Gliedern.“5 Und im Sommer 2008 fabuliert er gar über die „germanische Natur“ und nimmt dabei die „modernistischen“ Gegner ins Visier: „Die Gnade setzt die Natur voraus, und diese menschliche Natur wird durch die Angriffe der modernen Unkultur, durch den Globalismus und die Feinde des Christentums mehr und mehr aufgelöst. Warum leiden wir Deutsche besonders daran? Weil offensichtlich die urwüchsige germanische Natur sich in besonders harmonischer Weise der Gnade geöffnet und sich mit ihr vermählt hat und so zur Hauptgrundlage des Heiligen Römischen Reiches wurde. Genau deshalb haben es die Internationalisten auf die Zerschlagung des christlichen Deutschlands abgesehen, damit nie mehr im Herzen Europas ein katholisches Bollwerk aus vollkommener Harmonie zwischen Natur und Gnade entstehe. Auf diesen Generalangriff der Hölle waren wir nicht vorbereitet.“6 Ein Jahr zuvor, 2007, polemisiert Schmidberger gegen das Zweite Vatikanische Konzil und gegen die „Konzilskirche“ insgesamt: „Ist es nicht eine beschämende Selbstdarstellung der Konzilskirche, dieses wunderbare Fest [gemeint ist das Fest vom kostbaren Blute am 1. Juli; MP] abgeschafft zu haben? Wenn das Blut Christi auf unseren Opferaltären nicht mehr fließt, dann fließt eben umso reichlicher das Blut von unzähligen im Mutterschoß dahingemordeten Kindern.“7

Die 1970 von Marcel Lefebvre gegründete und später „kanonisch errichtete“ Priesterbruderschaft St. Pius X. (lateinisch: Fraternitas Sacerdotalis Sancti Pii X. [decimi], abgekürzt FSSPX) wendet sich gegen die grundlegenden Reformbeschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965). Auf der Internetseite der Vereinigung wird ihr Gründer mit den Worten zitiert: „Wir lehnen es ... ab, und haben es immer abgelehnt, dem Rom der neo-modernistischen und neo-protestantischen Tendenz zu folgen, die klar im Zweiten Vatikanischen Konzil und nach dem Konzil in allen Reformen, die daraus hervorgingen, zum Durchbruch kamen.“8 Sie wendet sich besonders gegen die vom Konzil beschlossene Liturgiereform. „Auch die späteren Dekrete widersprechen nach Ansicht Lefebvres der katholischen Tradition. Die ärgsten Irrlehren des Konzils seien der Ökumenismus (denn allein die katholische Kirche führe zum Heil), die Religionsfreiheit (nur die wahre Religion besitze Existenzrecht), die Kollegialität der Bischöfe (die der obersten Gewalt des Papstes entgegenstehe), die ‚Demokratisierung’ der Kirche, das ‚aggiornamento’, die Liturgiereform.“9 Pius X., der Patron der Vereinigung, war von 1903 bis 1914 Papst und wurde von Pius XII. 1954 heilig gesprochen. Pius X. genießt deshalb in ihr ein so hohes Ansehen, weil er sich dem Modernismus insgesamt widersetzt habe.

Kritiker werfen Lefebvre vor, dass er sich auf eine begrenzte Quellenauswahl der kirchlichen Überlieferung stützen und diese letztlich auf Beschlüsse des Konzils von Trient (1545-1563) und auf die Zeit bis zum 2. Vatikanischen Konzil beschränken möchte. Der Priesterbruderschaft St. Pius X., die auch Laien in ihre Reihen aufnimmt, gehören derzeit 493 Priester, 98 Brüder, 73 Oblatinnen, 145 Schwestern und 215 Seminaristen an.10 Allein in Frankreich zählen sich 100000 Gläubige zu ihr. Das ist ein Sechstel der Gesamtmitgliederzahl weltweit.

Nach dem jüngsten Eklat um Williamson werden in der römisch-katholischen Kirche zunehmend Zweifel laut, ob die Traditionalisten sich wirklich in die römisch-katholische Kirche integrieren lassen. Es wird nicht zuletzt entscheidend davon abhängen, wie sich die Priesterbruderschaft St. Pius. X. in Zukunft zu den Beschlüssen des Zweiten Vatikanischen Konzils stellen wird. Nach Einschätzung von evangelischen Beobachtern sind die Folgen der Aufhebung der Exkommunikation dieser erklärtermaßen antimodernistischen wie antiökumenischen Gruppierung für die Ökumene insgesamt zur Belastung geworden.

Nachtrag: Presseberichten zufolge ist Williamson vorerst nicht bereit, seine Äußerungen zum Holocaust zurückzunehmen. Wie es hieß, werde er „zunächst die historischen Beweise prüfen“, was aber Zeit brauchen würde. Die Piusbruderschaft hat aus dem Skandal inzwischen Konsequenzen gezogen: Williamson darf ein Priesterseminar in Argentinien nicht mehr leiten. Der Leiter der Bruderschaft für Südamerika, Christian Bouchacourt, hat in einem an die argentinische Nachrichtenagentur DyN geschickten Schreiben die Leugnung des Holocaust durch Williamson als „unangebracht“ bezeichnet. Zudem würde dessen Äußerung nicht die Meinung der Piusbruderschaft widerspiegeln (Tagesspiegel vom 10.2.2009).


Matthias Pöhlmann


Anmerkungen

1 Vgl. www.sspx.ca/Documents/Bishop-Williamson/May1-2000.htm.

2 Vgl. hierzu etwa Mitteilungsblatt für den deutschen Sprachraum, Juli 2007, Nr. 342. Auf dem Titelblatt, das den Turmbau zu Babel und das Symbol der 1-US-Dollarnote zeigt, heißt es lapidar: „Freimaurer: Die Architekten der neuen Weltreligion“.

www.fsspx.info

4 Kommuniqué des Generaloberen der Priesterbruderschaft St. Pius X., Bischof Bernard Fellay, zu Bischof Williamson vom 27.1.2009, www.fsspx.info.

5 Franz Schmidberger, Editorial, in: Mitteilungsblatt für den deutschen Sprachraum, Januar 2009, Nr. 360, 4.

6 Franz Schmidberger, Editorial, in: Mitteilungsblatt für den deutschen Sprachraum, August 2008, Nr. 355, 1f.

7 Franz Schmidberger, Vorwort des Distriktoberen, in: Mitteilungsblatt für den deutschen Sprachraum, Juli 2007, Nr. 342, 5.

www.fsspx.info/bruderschaft/index.php?show=fsspx.

9 Rudolf Pacik, Art. Priesterbruderschaft St. Pius X., in: Harald Baer u. a. (Hg.), Lexikon neureligiöser Gruppen und Weltanschauungen. Eine Orientierungshilfe, Freiburg/Br. 2005, 1001-1005, hier 1003. – Vgl. auch die Darstellung bei Georg Schmid / Georg Otto Schmid (Hg.), Kirchen – Sekten – Religionen. Religiöse Gemeinschaften, weltanschauliche Gruppierungen und Psycho-Organisationen im deutschen Sprachraum. Ein Handbuch, Zürich 72003, 50f.

10 www.dici.org/dl/fichiers/In-Zahlen_med.pdf  (5.2.2009).