Oliver Koch, Johannes Lorenz

Der „Frankfurter Exorzismus-Fall“

Hintergründe, Erfahrungen, Eindrücke

Ein langer Gerichtsprozess um den Tod einer 41-jährigen Koreanerin im Dezember 2015 ist zu Ende gegangen: Am 20. Februar 2017 verkündete der Vorsitzende Richter Ulrich Erlbruch am Frankfurter Landgericht das Urteil im sogenannten „Frankfurter Exorzismus-Prozess“. Angeklagt waren fünf koreanische Staatsangehörige: Zwei 16-Jährige, eine 19-Jährige sowie ein 22-Jähriger und eine 44-jährige Frau, die Cousine des Opfers. Sie stammen alle aus dem familiären Umfeld des Opfers. Auch der Sohn der Getöteten gehörte zu den Angeklagten. Die vier Jugendlichen erhielten Bewährungsstrafen und können in ihre Heimat Südkorea zurückkehren, während die Hauptangeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt wurde. Der Prozess wurde durchgehend öffentlich geführt und war von einem großen Medienecho begleitet.

Rekonstruktion des Falls

Die Gruppe aus Südkorea war im Herbst 2015 nach Deutschland gekommen, um sich ein neues privates und berufliches Leben aufzubauen. Ihr Ziel war wohl, ein Restaurant zu eröffnen und sich später womöglich im Exportgeschäft zu betätigen. Sie mieteten ein Haus in Sulzbach, das sie gemeinsam bewohnten. Bereits zu diesem Punkt gab es verwirrende Aussagen im Laufe des Gerichtsprozesses: Die einen sprachen von einem „Spukhaus“, in dem es seltsame (Klopf-)Geräusche gegeben habe, die auf dämonische Kräfte zurückgingen. Um diese „Gefahren“ zu bannen, sollen Teelichter aufgestellt und „große schwarze“ Samenkörner verstreut worden sein. Die Gruppe habe sich aus Angst vor den Dämonen gegenseitig Schlafentzug verordnet, Nachbarn sprachen von nächtlichen Schreien und Tumulten. Die anderen (u. a. der Vermieter) identifizierten die Klopfgeräusche des „Poltergeistes“ als defekte Heizung. Der Vermieter rief den Klempner, der diesem „Spuk“ ein Ende bereiten sollte. In der Garage des Sulzbacher Hauses wurde nach dem „eigentlichen“ Verbrechen die Schwester des späteren Opfers unterkühlt und halb verdurstet gefunden. Sie habe sich angeblich aus Angst vor Geistern dorthin zurückgezogen. Ein strafrechtlich relevanter Hintergrund wurde hier nicht festgestellt.

Die restliche Gruppe mietete sich Anfang Dezember 2015 in Frankfurt im Luxus-Hotel „Interconti“ ein, wohl um nicht mehr länger im Haus in Sulzbach wohnen zu müssen. Im Hotelzimmer angekommen, begann das spätere Opfer, laut zu schreien und um sich zu schlagen. Daraufhin wies die 44-jährige Cousine des Opfers die beiden damals 15-Jährigen, die 19-Jährige und den 21-Jährigen an, das Opfer am Boden festzuhalten. Es begann für das Opfer ein mehrere Stunden anhaltendes Martyrium, das mit dem Tod der Frau endete. Unter Anleitung der Hauptverurteilten praktizierte die Gruppe eine Art „Teufelsaustreibung“, fixierte das Opfer, fügte ihr „massive Brustkorbkompressionen“ zu und stopfte ihr einen Kleiderbügel und ein Handtuch in den Mund, um zu verhindern, dass Hotelgäste durch Schreie gestört würden. Man wechselte sich wohl ab. Nicht alle waren immer zugegen. Zwei Personen sollen sich eine Zeitlang im Badezimmer aufgehalten haben; es wurde auch versucht, den Ehemann des späteren Opfers anzurufen. Nichtsdestotrotz starb die 41-Jährige in den frühen Morgenstunden den Erstickungstod.

Danach kontaktierten die Täter einen freikirchlichen Pastor aus der koreanischen evangelischen Zionsgemeinde (vor Gericht gab er an, der Presbyterianischen Kirche zugehörig zu sein; seine Ausbildung habe er an der Freien Theologischen Hochschule Gießen absolviert). Der Pastor rief nach einigem Hin und Her die Polizei und den Notarzt, der mutmaßliche Täterkreis wurde festgenommen und saß seither in Untersuchungshaft. Die Rolle des Pastors ist schwer durchschaubar. Er und seine Ehefrau kommen ebenfalls aus Südkorea, sie sprechen nur schlecht Deutsch. Vor Gericht sagte er aus, dass er die Gruppe einmal vor der Tat getroffen und mit ihnen gebetet habe. In diesem Zusammenhang habe er auch von Schlafstörungen und „Albdruck“ (einem altertümlichen Wort für Albträume) gehört. Er habe mit der Gruppe christliche Gebete gesprochen, keinerlei Rituale durchgeführt.

Die Rolle der Medien und die Spekulationen

Der Prozess dauerte beinahe eineinhalb Jahre. Diese Zeitspanne, in der man seitens des Gerichtes wenig über die Hintergründe der Tat erfuhr, gab diversen Medien Anlass zur Spekulation. Nahezu alle nennenswerten überregionalen Medien berichteten. Auch die internationale Presse nahm den Fall zur Kenntnis.

Eine kleine Auswahl der Schlagzeilen: „Deutschlands teuflischster Prozess“ (Bild Zeitung); „Tod bei Teufelsaustreibung schockiert die Region“ (FNP); „Tote bei Teufelsaustreibung“ (FR); „Germany ‚exorcism‘ death (BBC); „Voodoo vor Gericht“ (FR); „Evangelische Sektierer als Exorzisten“ (FR); „Jetzt spricht der Pfarrer der Exorzisten“ (Bild); „Ermittlungen unter Exorzisten“ (FR); „Bizarre Teufelsaustreibung im Luxushotel: Wie konnte es soweit kommen?“ (FNP); „Haft für vom Glauben Besessene“ (FR); „Abenteuerliche Erklärungen für den Horror“ (FAZ); „Fotos aus dem vermeintlichen Geisterhaus“ (FAZ); „Oder war es doch ein Familiendrama?“ (FAZ); „Angeklagte: Opfer war von Sinnen“ (Focus); „Angst vor Geistern“ (hessenschau); „Exorcism Death“ (The Sun); „Mutmaßlicher Exorzismus – Tod und Teufel“ (Spiegel).

Die Öffentlichkeit war schnell dabei, bestimmte Assoziationen mit dem „Exorzismus“ zu verbinden. Zunächst war die katholische Kirche „im Visier“, dann die evangelische, danach diverse Freikirchen, Shinchonji und schließlich Gemeinden anderer Sprachen und Herkunft.

Katholische Kirche im Verdacht

Am 9. Dezember 2015 klingelte um 12 Uhr das Telefon, und jemand von der Deutschen Presseagentur wollte wissen, was der katholische Weltanschauungsbeauftragte des Bistums Limburg zum aktuellen Fall in Frankfurt zu sagen habe. Die Anruferin musste mir (J. Lorenz) daraufhin erst erklären, worum es ging, weil ich zu diesem Zeitpunkt noch keine Nachrichten gesehen hatte. Man klärte mich auf, dass es in einem Frankfurter Hotel wohl einen Exorzismus mit Todesfolge gegeben habe und dass eine koreanische Familie involviert sei.

Weil man zuerst davon ausging, dass die koreanische Familie einen katholischen Priester herbeigerufen hatte, landete man an meinem Apparat. Bis heute ist nicht geklärt, woher die Angabe kommt, die Angehörigen des Opfers hätten einen katholischen Priester gerufen. Eine Vermutung könnte sein, dass man „öffentlich“ mit einem „Exorzismus“ immer noch die katholische Kirche verbindet. Wie auch immer, man schoss sich also auf die katholische Kirche ein. Einige Pressestimmen vermerkten zwar, dass die Information über den katholischen Priester nicht gesichert sei, andere jedoch stellten dies ohne Fragezeichen als Tatsache in die Öffentlichkeit. Nach einer kurzen Abstimmung mit dem Pressesprecher des Bistums, der die Tat offiziell für das Bistum verurteilte, ging es also daran, eine Presseanfrage nach der anderen dahingehend zu bearbeiten, wie die katholische Kirche zu Exorzismen stehe. Den einen genügten die offiziellen Leitlinien, die anderen pochten auf persönliche Einschätzungen und wollten auch innerkatholische Differenzen zu diesem Thema angesprochen haben, die es ja durchaus gibt. Bis auf eine kleine Ausnahme empfand ich die mediale Verarbeitung als sehr fair. Man gab im Großen und Ganzen die Dinge so wieder, wie von mir intendiert, auch in den internationalen Berichten. Eine Journalistin einer deutschlandweit angesehenen Tageszeitung wollte in einem eigens dafür verabredeten Interview wissen, ob es Konflikte mit koreanischen Christen in Frankfurt gebe. Daraufhin erwähnte ich unsere bereits über einen längeren Zeitraum bestehenden Schwierigkeiten mit der aus Korea stammenden Religionsgemeinschaft Shinchonji, bat die Journalistin jedoch, den Namen nicht in die Öffentlichkeit zu bringen, um keine falschen Anschuldigungen zu betreiben. Leider hielt sie sich in ihrem Beitrag dann mit Spekulationen über mögliche Zusammenhänge zwischen Shinchonji und dem Exorzismus-Fall nicht zurück.

Dass die katholische Kirche in der ersten Phase der Berichterstellung im Fokus der Öffentlichkeit stand, hing sicherlich auch mit dem Fall Anneliese Michel zusammen, dem letzten Exorzismus-Fall, der in der Öffentlichkeit umfassend wahrgenommen und diskutiert wurde. In diversen Berichten zum Frankfurter Fall war die katholische Kirche auch dann im Hintergrund präsent, wenn überhaupt nicht über sie berichtet wurde. Sieht man sich die Pressefotos an, ist in den meisten Fällen das Intercontinental-Hotel abgebildet. Ein Bericht zeigt jedoch ein Foto, auf dem ein Rosenkranz mit einem Kruzifix zu sehen ist; im Bildhintergrund steht ein katholischer Geistlicher mit Collarhemd. Ein anderer Bericht öffnet mit einem großen Foto von Gabriele Amorth, dem mittlerweile verstorbenen Chefexorzisten der Diözese Rom, der im Halbdunkel stehend ein Kruzifix drohend gegen den Betrachter streckt.

Die Anfragen der Presse verebbten nach zwei Tagen, nachdem sich herausgestellt hatte, dass es sich weder um den Exorzismus nach römischem Ritual handelte, noch ein katholischer Priester ins Intercontinental gerufen wurde. Im Gefolge dessen spekulierten einige Medien weiter, dass es sich um einen evangelischen Pfarrer gehandelt habe, dann um einen evangelikalen Pastor einer evangelischen Freikirche und schließlich um einen Angehörigen einer Gemeinde anderer Sprache und Herkunft.

Sprachliche Hürden, Berücksichtigung kultureller und religiöser Aspekte

Wir waren einige Male bei dem öffentlichen Prozess anwesend. Die erste und höchste Hürde war die sprachliche Barriere, die von drei Dolmetschern zu überbrücken versucht wurde. Weil simultan übersetzt wurde, war es im Gerichtssaal immer sehr unruhig. Mehrmals wies der Richter alle an, nicht zu schnell zu sprechen, um die Dolmetscher nicht zu überfordern. Als besonders schwierig gestaltete sich die Zeugenbefragung des Pastors, der manche detaillierten Rückfragen des Richters nicht verstand. Auch gab es einige koreanische Ausdrücke, die der Dolmetscher nicht so recht ins Deutsche zu übersetzen wusste.

Für die Richter kam es darüber hinaus darauf an, kulturelle Differenzen in Bezug auf Familienhierarchien herauszustellen. Für hiesige Verhaltensweisen ist es schwer nachvollziehbar, wie eine Tochter oder ein Sohn zusehen bzw. aktiv dabei mitwirken kann, wie die eigene Mutter zu Tode gequält wird. Doch scheint die erwachsene Person in Korea viel mehr als hierzulande den Stellenwert einer Autorität zu haben, der vonseiten Jugendlicher nicht zu widersprechen ist. Weil die Cousine der Getöteten wohl auch schon vorher „Dämonenaustreibungen“ vorgenommen hatte, war sie aufgrund des „dämonischen Ausfalls“ des Opfers in den Augen der Jugendlichen weisungsbefugt. Dieses Rangordnungsverhältnis war für das Gericht der ausschlaggebende Faktor, die Jugendlichen und jungen Erwachsenen weniger hart zu bestrafen als die Cousine, die als Krankenschwester hätte merken müssen, dass die vorgenommenen Eingriffe tödliche Folgen haben können.

Zum religiösen Hintergrund der koreanischen Familie lässt sich nichts Genaues sagen. Der Richter sprach in seiner Urteilsbegründung von einem christlichen Hintergrund mit schamanischen Einflüssen. Bisher konnten wir die Zugehörigkeit nicht klären. Für das Urteil war der religiöse Einfluss in einem größeren Maße relevant als erwartet. Man schloss zwar strafmildernde psychisch-pathologische Beeinträchtigungen aus, sprach jedoch von der religiösen Überzeugung, dem Opfer helfen zu wollen. Obwohl das Gericht damit freilich keine Stellungnahme zum Inhalt der religiösen Überzeugung abgab, machte es die positive Handlungsintention stark, sodass von Mord nicht mehr gesprochen werden konnte. Trotz der strafmildernden Berücksichtigung der „guten Absicht“ war für das Gericht klar, dass alle Beteiligten über ein genügendes Ausmaß an Lebenserfahrung verfügten und deshalb die irreversiblen Schädigungen des Opfers hätten einschätzen können. Daher die Haftstrafe für die 44-jährige Frau und die unterschiedlich gewichteten Bewährungsstrafen für die Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Alles in allem war der Fall für den letzten Prozess des vorsitzenden Richters Erlbruch ungewöhnlich, wie er auch selbst betonte: „Ist ja auch für uns eine ungewohnte Sache.“

Fazit

Die grausame Tat, die in der Nacht vom 5. Dezember 2015 im Interconti vor sich ging, scheint eine aus dem Ruder gelaufene „Teufelsaustreibung“ gewesen zu sein. Der Glaube an Besessenheit durch Dämonen und die Vorstellung, diese könnten sich in Häusern niederlassen und Beteiligte quälen, scheint zum festen Bestandteil des kulturell-religiösen Weltbilds der Beteiligten zu gehören. Zwar gab es die Äußerung eines Jugendlichen, der die Tat zutiefst bereut hat, der Richter betonte jedoch in seiner Urteilsbegründung, dass das Weltbild nach wie vor aktiv sei und der Prozess daran nicht viel verändert habe.

Für uns zeigt der Rückblick, dass mit dem Thema „Exorzismus“ im öffentlichen Kontext ein öffentlichkeitswirksamer „Gruselfaktor“ verbunden ist, der – gepaart mit religiösem Halbwissen und medialer Ungeduld – zu Spekulationen verleitet. Es gab in der Öffentlichkeit wenig Versuche, sich dem Thema neutral zu nähern, indem etwa kulturelle oder religiöse Vorprägungen und Weltverständnisse zum Verstehen des Phänomens berücksichtigt wurden. Man gibt sich in weiten Teilen überrascht, dass es im 21. Jahrhundert noch Teufelsaustreibungen gebe. Im Grunde zeigt dies, wie wenig man von anderen Kulturen weiß. Das eigene, naturwissenschaftlich geprägte Paradigma gilt als absoluter Maßstab der Beurteilung. Wer dieses Weltbild nicht teilt, weil er es nicht kennt, wird ins sogenannte „dunkle Mittelalter“ platziert. Damit soll die medizinische und theologische Schwierigkeit der Vorstellung, Dämonen könnten von Menschen Besitz ergreifen, nicht relativiert werden, zumal dann nicht, wenn etwaige „Austreibungen“ zum Tod von Menschen führen. Sicher ist jedoch, dass die globalen Migrationsbewegungen die religiös-kulturellen Spannungen erhöhen werden. Umso wichtiger ist es, sich kultureller Vorprägungen von Migranten bewusst zu sein und vor diesem Hintergrund um Verständnis für die eigenen, westlich geprägten kulturellen Werte zu werben. Denn klar ist auch, dass der eigene Wertekanon nicht relativiert werden sollte. Es ist ein Verbrechen, einen Menschen aus religiösen Gründen zu Tode zu quälen, selbst wenn man die Gründe für sein Vorgehen als gute Absicht qualifiziert. Dies hat unseres Erachtens das Urteil zum Ausdruck gebracht: Rücksicht auf die kulturellen Vorprägungen zu nehmen und dennoch klar zu sagen, dass es ein Unrecht ist, einen Menschen zu töten, weil man von seiner dämonischen Besessenheit überzeugt ist.


Oliver Koch und Johannes Lorenz, Frankfurt a. M.