Ali Ünal

Der Koran und seine Übersetzung mit Kommentar und Anmerkungen

Ali Ünal, Der Koran und seine Übersetzung mit Kommentar und Anmerkungen, Fontäne Verlag, Offenbach a. M. 2009, 1606 Seiten, 26,00 Euro (brosch.), 33,00 Euro (geb.).


Die lange angekündigte und jetzt auf Deutsch vorliegende Koranübersetzung von Ali Ünal (englisch 2006, deutsch von Fatima Grimm und Wilhelm Willeke) erscheint in dem der Gülen-Bewegung nahestehenden Fontäne-Verlag. Die Ausgabe enthält dementsprechend neben einer Einleitung des umstrittenen türkischen Islampredigers, der weltweit Kindergärten, Schulen, Universitäten und andere Bildungseinrichtungen gründet und unterhält, auch viele seiner Auslegungen und Ansichten zum Koran in den Kommentaren. Noch häufiger wird Fethullah Gülens Lehrer, der türkische Mystiker und Nurculuk-Gründer Said Nursi, zitiert. Das erklärt die einerseits für naturwissenschaftliche Argumentation offene, andererseits sufisch (mystisch) geprägte Grundlinie in der Auslegung, die durchweg streng konservativ angelegt ist.

Der arabische Text ist seitenweise im Kleindruck beigegeben. Jeder Sure wird eine kurze Einführung vorangestellt, die zum Teil ausführlichen Kommentare sind als Fußnoten gekennzeichnet und in Blöcken zusammengefasst. Sie enthalten an einigen Stellen erläuterndes Karten- und Bildmaterial. Die Übersetzung ist insgesamt recht flüssig und leicht lesbar (zu den vielen Klammereinschüben s. u.). In 14 Anhängen werden u. a. die Ankündigungen Muhammads in der Bibel, die grundsätzlich friedfertige Ausbreitung des Islam und die hohe Anerkennung und privilegierte Stellung der Frau im Islam mit den üblichen traditionellen Argumentationsmustern vorgeführt. Ein Verzeichnis der Schönen Namen Gottes, eine Literaturliste und diverse Register schließen den ansprechend aufgemachten Band ab. Insofern liegt eine neue zweisprachige Koranausgabe vor, die sich bemüht, durch ausführliche Kommentierung und zusätzliches Informationsmaterial den arabischen Text für heutige Leser verständlich zu machen und für die islamische Praxis in seiner Fülle zu erschließen.

Das Werk verhehlt indes seinen missionarischen Charakter nicht – im Gegenteil. Und wenn die Eigenwerbung betont, Ünal präsentiere ein islamisches Koranverständnis, das „keine Zugeständnisse an die ‚politische Korrektheit’“ mache, so ist dem nur zuzustimmen. Konkret gestaltet sich das so, dass viele und zum Teil lange erläuternde Einschübe in Klammern das „richtige“ Verständnis im laufenden Text sicherstellen sollen. Wie schlicht dabei das Schriftverständnis ist, zeigt die mehrfache Betonung, dass diese erklärenden Worte kein Kommentar seien; sie stellten weder Hinzufügungen noch eine Einflussnahme auf die Bedeutung dar, vielmehr werde nur die genaue Bedeutung im Kontext präzisiert.

Wer sich die Einschübe und mehr noch die Kommentare ansieht, wird mit einer stark traditionalistischen Auslegung konfrontiert, für die nur wenige Beispiele genügen sollen: So wird die „Gottergebenheit“ Abrahams in Sure 2,128ff und an anderen Stellen im Sinne der späteren islamischen Tradition vereindeutigt („Muslime, Islam“) und dadurch die ursprüngliche Offenheit des Textes eingeengt. Der zu opfernde Sohn in Sure 37 und Sure 2,124 wird eindeutig als Ismael identifiziert. Es wird breit erläutert, dass die Bibel widersprüchlich ist, zugleich jedoch die anfängliche innerislamische Uneinigkeit über die Identität des Sohnes verschwiegen. Zur Frauensure 4 wird die Polygamie wortreich als das überlegene Konzept verteidigt und die Sklaverei von Frauen relativiert. Die Aspekte expliziter Benachteiligung der Frau (z. B. hinsichtlich Erbrecht, Erziehungsauftrag des Mannes) werden als Privilegierung der Frau im Islam und als Schutz der Frau vor Tyrannei und Ausbeutung ausgegeben. Dabei finden sich nicht wenige diskriminierende Aussagen („Eine Frau verliert das Anrecht auf Respekt, wenn sie sich unsittlich benimmt“, 228; Züchtigungsrecht des Mannes, 232 u. a.). Immer wieder werden grobe Missdeutungen der Bibel, wie sie aus der islamischen Literaturgeschichte hinlänglich bekannt sind, bis ins Detail reproduziert, die Verfälschung der Bibel wird durchgehend und unhinterfragt übernommen. Viele Auslegungen zielen aber nicht nur auf christliche, sondern auch auf jüdische und v. a. schiitische Vorstellungen und demontieren sie ohne sachliche Auseinandersetzung.

Die Auslegung deutet den Korantext ohne besondere Begründung teils metaphorisch, teils wörtlich, nebenbei spielt die Zahlenmystik Said Nursis eine nicht unwichtige Rolle. Sein Einfluss macht sich auch in den vielen naturwissenschaftlichen (für uns häufig pseudowissenschaftlichen) Argumentationsgängen bemerkbar, die ausführlich zitiert werden und die Vereinbarkeit von Koran und moderner Wissenschaft belegen sollen.


Friedmann Eißler