Sondergemeinschaften / Sekten

Der lange Marsch und die Mühen der Ebene: Verwaltungsgerichtsverfahren gegen "Sekten"-Bericht des Berliner Senats beendet

Kritik ist für den Kritisierten nicht leichthin zu tragen - das mag als eine anthropologische Grundkonstante gelten, die gleichwohl auch auf Menschengruppen übertragbar ist, schon gar auf solche des Gegenstandsbereichs so genannter "Sekten". Bei konfliktträchtigen Lebenshilfemarkt-Anbietern aus diesem Spektrum begegnet man nicht selten einer in ihr Extrem destillierten Form von Kritikunfähigkeit: Es wird ein Definitionsmonopol für die eigene Gruppe gefordert. Alles, was sich jenseits dessen äußert, versucht die konfliktträchtige Gruppe flugs vom Tisch zu klagen. Dabei erträgt manche Gruppe selbst Zitate aus dem eigenen Schrifttum nicht mehr, sofern sie in einer staatlichen Broschüre auftauchen.

Dieses Schicksal ereilt auch regelmäßig die "Sekten"-Berichte des Berliner Senats an das Abgeordnetenhaus. Fast trägt das Procedere rituellen Charakter: Noch kaum ist die Pressekonferenz verklungen, rattern die Anträge auf Erlass einer Einstweiligen Anordnung aus dem Fax. Spitzenreiter war ein Kläger in den 90er Jahren, der nach freitäglicher Pressekonferenz sonntags einen über 70 Seiten langen Antrag auf Erlass einer Einstweiligen Anordnung gegen den "Sekten"-Bericht faxte. Papiermengenchampion war ein Eilverfahren von einem Monat Dauer - das zehn dicke Leitz-Bände füllte; kurz vor der Entscheidung sah der Antragsteller wohl seine Chancen schwinden und zog seinen Antrag zurück.

Nur wenig ist der Öffentlichkeit bekannt, mit welch hohem Aufwand einige staatliche Stellen ihr Äußerungsrecht zu konfliktträchtigen Anbietern am Lebenshilfemarkt verteidigen. Aber es entsteht eben andererseits auch eine besondere Freude an der Arbeit, wenn man sich, über am Fußboden verteilte Papiere zum laufenden Verfahren gebeugt, nach Mitternacht eine Pizza ins Büro kommen lässt - ein kleiner Widerspruch zu allen Klischees der Arbeit im Öffentlichen Dienst.

Der VPM als für den Berliner Senat lange Zeit "verlässlichster Kläger" gegen so genannte "Sekten"-Berichte wurde darin inzwischen vom Verein "Universelles Leben e.V." abgelöst. Im Herbst 2003 fand nun ein solches Verwaltungsgerichtsverfahren (Universelles Leben e. V. ./. Land Berlin) sein Ende und ist allein deshalb erwähnenswert, weil damit das letzte Verfahren zum "Sekten"-Bericht des Berliner Senats aus dem Jahre 1997 abgeschlossen und gleichzeitig der "Sekten"-Bericht des Jahres 2002 wieder klagefrei ist.

Zwei Eilinstanzen - die regelmäßig für die Verfahrensdauer die Verteilung des Berichts stoppen - waren im Jahre 1998 schnell zugunsten des Berliner Senats und gegen Universelles Leben e.V. entschieden worden. Interessant war das Urteil in der 1. Instanz des auf die Eilverfahren folgenden Hauptsacheverfahrens insbesondere deshalb, weil sich die Kammer tiefgründig mit der Frage der Aktivlegitimation beschäftigt hatte und zu dem Schluss gekommen war, eine Klageberechtigung des Vereins Universelles Leben e.V. für die nach dem Vorbringen des klagenden Vereins hiervon zu unterscheidende rechtlich nicht verfasste Glaubensgemeinschaft Universelles Leben abzulehnen. Die Kammer führt dazu im Urteil1 aus: "... Durch den streitgegenständlichen Bericht wird der Kläger gleichwohl nicht in eigenen Rechten verletzt. Die Schrift beschäftigt sich zwar mit der rechtlich nicht verfassten Glaubensgemeinschaft Universelles Leben und ihren Organisationen 'Heimholungswerk' und 'Bundgemeinde Neues Jerusalem', aber nicht mit dem Kläger und seiner Tätigkeit. ... Der Kläger ist auch nicht mit der rechtlich verfassten Glaubensgemeinschaft identisch, denn nach seinen Angaben ist in ihm lediglich ein geringer Teil ihrer Anhänger organisiert: Dem Kläger gehören etwa 700 Mitglieder an, während zufolge einer von ihm nicht infrage gestellten Angabe der Informationsschrift die Zahl der Anhänger der Glaubensgemeinschaft von Experten auf 40.000 allein im deutschsprachigen Raum geschätzt wird. ... Auch die Namensgleichheit mit der Glaubensgemeinschaft kann keine Betroffenheit des Klägers ... vermitteln, denn sonst hätten es auch Unbeteiligte in der Hand, sich durch entsprechende Organisation und Namenswahl zu Betroffenen zu machen. ... Der Kläger kann mangels Bevollmächtigung auch nicht die Rechte der Glaubensgemeinschaft Universelles Leben geltend machen. Zwar will er nach § 2 Abs. 3 seiner Satzung 'die Interessen der Glaubensgemeinschaft Universelles Leben ... im Rechtsverkehr' vertreten. Er hat aber nicht behauptet, geschweige denn nachgewiesen, von der Glaubensgemeinschaft oder von einem zu ihrer Vertretung berechtigten Organ hierzu bevollmächtigt worden zu sein. ..."

Das Oberverwaltungsgericht Berlin entschied mit seinem Urteil2 vom Herbst 2003 die Frage der Aktivlegitimation des Vereins Universelles Leben e.V. anders - zugunsten des Vereins. Allerdings werfen neue Informationen von Aussteigern aus der Bundgemeinde durchaus neue Fragen in Sachen Aktivlegitimation auf: Aussteiger berichten, sie seien ohne ihr Wissen zu stimmlosen Fördermitgliedern des Vereins Universelles Leben e.V. erklärt worden. Eine Überprüfung dieser Behauptungen wäre - ganz gleich mit welchem Befund - ein interessanter Baustein zur Klärung der von den Gerichten unterschiedlich bewerteten Aktivlegitimation.

In der Sache entschied jedoch auch das Oberverwaltungsgericht zugunsten des Berliner Senats für die Rechtmäßigkeit der Aufnahme der Gemeinschaft Universelles Leben in den Bericht. Damit konnten einmal mehr Informationsrecht und Informationspflicht des Staates über konfliktträchtige religiöse Anbieter am Lebenshilfemarkt zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger verteidigt werden. Denn oft erlangen diese nur so Zugang zu Informationen über Risiken und Nebenwirkungen von weltanschaulichen Angeboten, die die oft euphemistische Selbstdarstellung des religiösen Anbieters ergänzen.

Beide so genannten "Sekten"-Berichte des Berliner Senats, "Risiken und Nebenwirkungen" (1997) und "Alles Sekte oder was?" (2002), sind im Internet verfügbar unter: http://www.senbjs.berlin.de/familie/sog_sekten_psychogruppen/thema_sog_sekten.asp. Der aktuelle Bericht "Alles Sekte - oder was?" (Broschüre, 166 Seiten) kann gegen eine Bereitstellungsgebühr von 3,- Euro im zuständigen Fachreferat der Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport bestellt werden unter sog_sekten@senbjs.verwalt-berlin.de oder Tel. (030) 9026-5603.

Anmerkungen

1 Verwaltungsgericht Berlin (VG 27 A 34.98) vom 9.12.1999.
2 Oberverwaltungsgericht Berlin (OVG 5 B 26.00) vom 25.9.2003.

Anne Rühle
"Sekten"-Beauftragte/Land Berlin