Der Maya-Kalender, das Jahr 2012 und was die Esoterik daraus macht
Seit etwa zwei Jahren häufen sich Berichte über eine vermeintliche apokalyptische Prophezeiung der Maya, die mit dem angeblichen Ende ihres Kalenders am 21. Dezember 2012 in Zusammenhang stehen soll. Mit Hunderten von Büchern, CDs und DVDs sowie Millionen von Internetseiten ist das „Phänomen 2012“ heute nicht nur ein erheblicher Wirtschaftsfaktor, sondern auch ein Spiegel der internationalen esoterischen Szene. Dabei sind zwei gegensätzliche Strömungen zu beobachten: einerseits Weltuntergangsprophezeiungen, andererseits die positive Erwartung eines neuen Zeitalters. Diese Unterteilung ist aber eher theoretischer Natur, denn viele Prophezeiungen verbinden die Verheißung einer besseren Zukunft mit düsteren Voraussagen für alle „Ungläubigen“. So vielfältig diese Werke auch sein mögen, bei einer näheren Betrachtung der zugrunde liegenden Quellen zeigt sich schnell, dass keine derartige Voraussage überliefert ist und dass auch von einem Ende des Kalenders im Jahr 2012 keine Rede sein kann.
Die Maya-Kalender
Die Kultur der Maya entwickelte sich in einem Gebiet, das von der Halbinsel Yukatán im heutigen Mexiko über Guatemala und Belize bis nach El Salvador und Honduras reichte. Bis heute leben in dieser Region über 6 Millionen Maya, die sich in rund 30 verschiedene Sprachgruppen aufteilen. Allgemein wird die sogenannte klassische Periode (ca. 250 bis 900 n. Chr.) als die Blütezeit der Mayakultur bezeichnet. Ihr Gebiet war in Dutzende Stadtstaaten unterteilt, die von göttlichen Herrschern regiert wurden. Diese hatten als Hohepriester die Aufgabe, zwischen der Welt der Menschen und der Götter zu vermitteln. Von den Taten der Herrscher berichten nicht nur die Inschriften, sondern auch die monumentalen Pyramiden, die unser Bild der Maya bis heute prägen.Die Maya stellten auch umfangreiche astronomische Beobachtungen an und verfügten über eine Reihe von Kalendern. Besondere Bedeutung hatte ein Ritualkalender von 260 Tagen, ein Sonnenkalender von 365 Tagen und die sogenannte „Lange Zählung“.Der Ritualkalender (Tzolk’in) setzte sich aus 20 aufeinanderfolgenden Tageszeichen zusammen, die mit den Zahlen 1 bis 13 kombiniert wurden. So folgte auf den Tag 1 Imix der Tag 2 Ik‘ usw. In dieser Zählung wurde ein bestimmtes Datum genau alle 260 Tage wiederholt. Der Kalender diente zur Schicksalsbestimmung von Neugeborenen und für Weissagungen aller Art. So war jeder Tag mit einer bestimmten Gottheit verbunden und galt dementsprechend als günstig oder ungünstig für die Aussaat, für Krieg, Handel und Reisen. Es gab aber auch explizit schlechte Tage, die mit Krankheit und schwarzer Magie assoziiert waren. Der Sonnenkalender (Haab) entspricht eher unserer Vorstellung eines Jahres. Er setzt sich aus 18 Monaten zu je 20 Tagen zusammen. Hinzu kam am Jahresende eine Zeitspanne von fünf Tagen, die als leere Zeit oder Unglückstage galten, an denen man alle wichtigen Aktivitäten ruhen ließ. Durch die Kombination von Ritual- und Sonnenkalender entstand ein Datumspaar, das sich alle 52 Jahre wiederholte. Dieser Zeitraum hatte für die Maya eine ähnliche Bedeutung wie für uns ein Jahrhundert. Die Berechnung solcher wiederkehrenden Kalenderdaten spielte eine große Rolle in den Inschriften der Maya. Auf diese Weise konnten die Maya-Könige ihre eigenen Taten mit ähnlichen historischen Ereignissen in Verbindung bringen und sich so als Teil einer kosmischen Ordnung präsentieren. Bisweilen wurden auch Bezüge zur Zukunft hergestellt. Diese „Prophezeiungen“ waren aber meist rein kalendarischer Natur, in etwa so, wie wir heute schon berechnen können, dass der 24. Dezember 2099 auf einen Donnerstag fallen wird.Im Kontrast zu den wiederkehrenden Daten des Ritual- und des Sonnenkalenders kannten die Maya noch eine absolute Datierung, die „Lange Zählung“. Dabei wurde die Zeit seit der Entstehung unserer Welt (für die Maya im Jahr 3114 v. Chr.) gezählt. Ein solches Datum wurde in aufsteigenden Einheiten von Tagen (K’in), „Monaten“ von 20 Tagen (Winal), Jahren (Tun) sowie Einheiten von 20 Jahren (K’atun) und 400 Jahren (B‘aktun) berechnet. Beispielsweise entspricht der 24. Dezember 2011 in der Langen Zählung dem Datum 12.19.18.17.17, weil seit dem Nulldatum 12x400 Jahre + 19x20 Jahre + 18 Jahre + 17 Monate und 17 Tage vergangen sind. Jede dieser Einheiten hatte eine besondere religiöse Bedeutung. So wurde etwa der Beginn eines neuen K’atun oder B’aktun mit der Errichtung von Stelen dokumentiert und gefeiert.
2012 im Mayakalender
Ein solches rundes Datum wird auch der 21.12.2012 sein, der in der Langen Zählung dem Datum 13.0.0.0.0 entspricht, also dem Beginn einer neuen B’aktun-Periode. Das wäre in etwa mit dem Jahrtausendwechsel in unserer Kultur vergleichbar.Dieses spezielle Datum 13.0.0.0.0 ist zudem von einer besonderen Bedeutung, weil wir es auch aus Inschriften kennen, die von der Erschaffung unserer Welt in grauer Vorzeit berichten. Tatsächlich begann unsere Welt aus Sicht der Maya nicht etwa an einem Tag null, sondern an einem Tag 13.0.0.0.0 aus einer früheren Zeitrechnung, an dem unsere Welt erschaffen wurde und auf die dann ein neuer Tag eins in unserer heutigen Zeitrechnung folgte. Diese zunächst verwirrende Tatsache lässt sich so erklären, dass die Maya glaubten, dass es vor unserer Welt bereits frühere Versuche der Götter gegeben hatte, die Menschheit zu erschaffen. Weil die früheren Schöpfungen aber unvollkommen waren, wurden sie durch große Naturkatastrophen vernichtet.Da sich 2012 also gewissermaßen das Datum wiederholt, an dem unsere Welt erschaffen wurde, glaubte der Maya-Forscher Michael D. Coe in den 1960er Jahren, die Maya wären davon ausgegangen, dass auch unsere Welt zu diesem Zeitpunkt untergehen könnte. Diese Spekulation hat sich jedoch als ein Irrtum erwiesen. In der Zwischenzeit wurden weitere Inschriften gefunden, die in eine viel entferntere Zukunft verweisen, zum Beispiel auf das Jahr 4772 n. Chr. Ein noch extremeres Beispiel ist eine Stele aus den Ruinen von Cobá in Mexiko, die ein Datum im Jahr 28285374429914622284664430887 n. Chr. benennt. Von einem Ende des Mayakalenders im Jahr 2012 kann also keinesfalls die Rede sein.Neben dem vermeintlichen Ende des Kalenders werden in der esoterischen Literatur bisweilen noch zwei andere Quellen der Maya zitiert: eine Inschrift aus den Ruinen von Tortugero und die sogenannten K’atun-Prophezeiungen aus den Chilam-Balam-Büchern. Bei der Inschrift aus Tortugero handelt es sich um einen der wenigen Maya-Texte, die einen konkreten Bezug zu einem konkreten Ereignis in der Zukunft herstellen, und sogar um den einzigen Text überhaupt, der sich explizit auf das Jahr 2012 bezieht. Für die beschädigte und an Metaphern reiche Inschrift gibt es verschiedene Deutungen. Unbestritten ist, dass es um die Einweihung eines Tempels durch einen König im Jahr 699 n. Chr. geht. Das Ereignis ist irgendwie mit dem Datum 2012 verbunden. Es kursieren insgesamt drei Deutungen. Entweder soll an diesem Tag ein Gott vom Himmel herabsteigen, der mit Krieg und dem Ende von Zeitabschnitten assoziiert ist, oder es wird schlichtweg ein Ritual mit einer Figur dieser Gottheit abgehalten werden. Eine weitere Option wäre, dass der besagte Gott mit dem Tempel und der Einweihung zu tun hat, aber nicht mit dem Datum 2012. Keine dieser Lesungen der Inschrift hat bisher die allgemeine Zustimmung der Forschungsgemeinschaft gefunden.Bei den K’atun-Prophezeiungen handelt es sich um Texte aus den sogenannten Chilam-Balam-Büchern, die von Maya-Autoren während der Kolonialzeit verfasst wurden. Grundlage dieser Texte ist die Annahme, dass historische Ereignisse wie Siedlungsgründungen, Krankheiten oder Hungersnöte immer in einen bestimmten K’atun fallen, eine Einheit von 20 Jahren, die sich alle 260 Jahre wiederholt. So gibt es für unsere heutige Zeit eine Vorhersage der Rückkehr eines Gottes namens Kukulkan („Federschlange“) und des Auftauchens einer Krankheit, bei der die Infizierten Blut erbrechen. Diese scheinbar dramatische Prophezeiung ist aber verglichen mit den Prognosen zu den anderen Zeitabschnitten als eher unspektakulär zu bezeichnen. Hinzu kommt, dass sie eben nicht nur auf den Zeitraum um 2012 zutreffen würde, sondern auch auf Zeitabschnitte, die 260 Jahre früher oder später liegen oder 520 oder 780 Jahre usw. Während man also in den K’atun-Prophezeiungen Hinweise auf ein Ende der Welt vergebens sucht, wird man an anderer Stelle in den Chilam-Balam-Büchern fündig. Allerdings handelt es sich bei der besagten Beschreibung lediglich um Teile der Offenbarung des Johannes, die in Mayasprache übersetzt wurden. Das ist keinesfalls ungewöhnlich, da die Chilam-Balam-Bücher erst nach der Ankunft der Spanier verfasst wurden, also zu einem Zeitpunkt, als Teile der christlichen Lehre bereits weite Verbreitung unter den Maya gefunden hatten. Tatsächlich stellen diese Bücher eben nicht eine bloße Sammlung alter Maya-Weisheiten dar. Sie sind vielmehr ein Kompendium des Wissensstandes der Maya während der Kolonialzeit und enthalten neben historischen Aufzeichnungen auch medizinische Texte, Rätsel und sogar eines der Märchen aus Tausendundeiner Nacht.Zusammenfassend können wir also festhalten, dass es keine stichhaltigen Beweise dafür gibt, dass die alten Maya ein baldiges Ende unserer Welt erwarteten. Vielmehr scheinen sich entsprechende Vorstellungen erst unter dem Einfluss der christlichen Missionare und unter dem traumatischen Eindruck der spanischen Eroberung entwickelt zu haben. In jener Zeit extremer Gewalt, in der eine Jahrhunderte alte religiöse Ordnung zerfiel und große Teile der Bevölkerung an bisher unbekannten Krankheiten starben, muss es den Maya naheliegend erschienen sein, dass nicht nur ihre Kultur am Abgrund stand, sondern auch ein baldiges Ende der ganzen Welt zu erwarten sei. Zum Teil wurden sie dabei von den Missionaren bestärkt, allen voran den Franziskanern, die selbst millenaristische Vorstellungen mit der Eroberung der Neuen Welt verknüpften.Ähnlich verhält es sich übrigens mit bisweilen auftauchenden Prophezeiungen von Maya aus dem 20. Jahrhundert. Sie alle entstanden zu einer Zeit, in der es große soziale Umwälzungen in den Gemeinden gab, oder sie sind direkt auf das Einwirken fundamentalistischer Sekten aus den USA zurückzuführen, die seit Mitte des 20. Jahrhunderts verstärkt in den Maya-Gemeinden missionieren.Hinzu kommt die Tatsache, dass diese modernen Prophezeiungen keinen Bezug zum Maya-Kalender herstellen, da dieser nach der Ankunft der Europäer langsam in Vergessenheit geriet. Lediglich der 260-tägige Ritualkalender überdauerte in einigen entlegenen Maya-Gemeinden bis in die Gegenwart. Durch die Jahrhunderte mündlicher Überlieferung ist dieses kalendarische Wissen aber stark fragmentiert worden und die Bedeutung der Tageszeichen und deren Reihenfolge können von Ort zu Ort abweichen. Erst seit den 1990er Jahren gibt es wieder Bestrebungen unter den Maya, zu einem einheitlichen System zurückzufinden und auch die Lange Zählung zu revitalisieren. Dabei bedient man sich aber keiner mündlichen Überlieferungen, sondern wissenschaftlicher Fachliteratur.
Das „Phänomen 2012“
Angesichts dieser ernüchternden Bestandsaufnahme drängt sich die Frage auf, wie die Idee eines vermeintlichen Weltendes im Jahr 2012 Verbreitung gefunden hat und zu solch einem bedeutenden Phänomen in esoterischen Kreisen werden konnte. Zunächst ist aber festzuhalten, dass sich die meisten Autoren nur sehr vage oder selektiv auf historische Quellen beziehen. So werden munter Maya-Vorstellungen mit Bibelpassagen, fernöstlichen Lehren, Nostradamus und modernen Verschwörungstheorien kombiniert, oder man beschränkt sich auf die Feststellung, dass es ja Allgemeinwissen sei, dass die Maya den Weltuntergang vorhersagten. Nicht wenige dieser Werke sind so undurchdacht heruntergeschrieben, dass es schwerfällt, darin mehr als reine Profitgier der Autoren zu sehen. Fast alle der heute kursierenden Ideen basieren sowieso auf älteren esoterischen Strömungen wie den UFO-Sekten in den USA oder der New-Age-Bewegung. Bisweilen gewinnt man gar den Eindruck, dass viele Autoren erst aufgrund der Aktualität des Datums schnell noch auf den 2012-Zug aufgesprungen sind, um die Verkaufszahlen der eigenen Bücher zu steigern. Dies geschieht in besonderem Maße, seitdem sich zuvor geäußerte Hoffnungen auf ein Ende der Welt im Jahr 2000 als unzutreffend erwiesen haben. Es werden aber auch laufend aktuelle Bezüge eingeflochten, etwa die politischen Umwälzungen im Nahen Osten oder die Reaktorkatastrophe in Japan, die beide als negative Vorzeichen oder lange vorherbestimmte Anfänge eines globalen Wandels gedeutet werden. Bezugnahmen auf die Bibel hingegen spielen nur in vergleichsweise wenigen Werken eine zentrale Rolle. Beispiele hierfür sind „Christus und der Mayakalender: 2012 und das Erscheinen des Antichrist“ von Robert Powell (2009) oder der Dokumentarfilm „Zeitenwende 2012“ von Tibor Zelikovics, in dem nahegelegt wird, das Barack Obama als Nachfahre Echnatons und wiedergekehrter Antichrist 2012 im Tempel des Salomon in Jerusalem die Weltherrschaft übernehmen wird.Einen Anfangspunkt für das heutige „Phänomen 2012“ kann man in dem Buch „Mexico Mystique: The Coming Sixth Age of Consciousness“ (1975) von Frank Waters sehen, der als erster die zuvor erwähnte Deutung des Archäologen Michael D. Coe aufgriff und mit der Erwartung eines neuen geistigen Zeitalters in Verbindung brachte. Diese Idee wurde zwar von einigen anderen Autoren aufgegriffen, eine weitere Verbreitung in esoterischen Kreisen erreichte das Datum 2012 aber erst durch José Argüelles und sein Werk „The Mayan Factor: Path Beyond Technology“. Er propagierte, dass 2012 ein kosmischer Strahl aus dem Zentrum unserer Galaxie die Erde treffen werde, durch den die Menschheit einen Sprung in ihrer Evolution machen und eine neue Bewusstseinsebene erreichen werde. Argüelles berief sich dabei auf ein persönliches Erlebnis in der Ruinenstätte von Palenque, wo ihm der vorspanische Herrscher Hanab Pakal erschienen sein soll, der in Wirklichkeit ein Außerirdischer sei. Durch dieses Ereignis berufen, nannte sich Argüelles Valum Votan, Closer of the Cycle. Zur Vorbereitung des Evolutionssprungs setzte er sich bis zu seinem Tod 2011 für die weltweite Einführung eines von ihm entworfenen „kosmischen Maya-Kalenders“ ein; zuletzt auch verbunden mit der Ankündigung, dass all jenen, die dieses System ablehnten, Unheil drohe.Argüelles wird nicht nur von vielen esoterischen Autoren zitiert, sondern dient häufig auch indirekt als Vorlage, speziell deutscher Autoren, die seine Annahme teilen, dass die Menschheit vor einem Übergang steht: von einer materiellen und technologischen Welt in ein neues Zeitalter, das von geistigen Werten geprägt ist und in dem wir eine neue Bewusstseinsebene erreichen. Als Ursache dieses Wandels wird das Einwirken kosmischer Kräfte ebenso diskutiert wie die Gentechnik oder die Möglichkeit, durch Meditation und Drogenkonsum das menschliche Bewusstsein zu erweitern. Weitere wiederkehrende Elemente in den Werken sind Erscheinungen von UFOs, der Kontakt mit übernatürlichen Wesen, aber auch Verschwörungen, die die Weiterentwicklung der Menschheit verhindern wollen. Unter anderem steht das britische Königshaus im Verdacht, von Außerirdischen unterwandert zu sein, die in Wahrheit eine Echsengestalt haben und der Menschheit schaden wollten.Ein typischer Vertreter dieses Drogen-und-Verschwörungs-Genres ist Daniel Pinchbeck. In seinem Buch „2012: Die Rückkehr der gefiederten Schlange“ (2005) bringt er das Datum 2012 mit Berichten über Außerirdische und Kornkreise in Zusammenhang. Auch er beruft sich dabei auf dem Kontakt mit einem übernatürlichen Wesen, das ihm in Brasilien nach dem Konsum der halluzinogenen Ayahuasca-Substanz erschienen war. Besagtes Wesen stellte sich ihm als der Gott Kukulkan vor und kündigte seine Rückkehr an. Ein anderer in den Medien sehr präsenter Autor ist John Mayor Jenkins, der glaubt, dass die Maya ihren Kalender nach einem galactic alignment ausrichteten, einer bestimmten Sternenkonstellation im Jahr 2012, die für die Maya den Anbeginn eines großen spirituellen Umbruchs repräsentierte. Im Gegensatz zu den anderen Autoren beruft sich Jenkins weniger auf Drogenvisionen, sondern stärker auf seine eigenwillige Interpretation archäologischer Daten, dank derer er sich als seriöser Wissenschaftler zu präsentieren versucht, auch wenn die Fachwelt seine These ablehnt.Eine negative Variante dieser Theorie des galactic alignments geht davon aus, dass die Erde 2012 den Anziehungskräften eines Schwarzen Loches im Zentrum der Galaxie ausgesetzt sein und so ihr Ende finden wird. Andere Autoren machen ungewöhnliche Sonnenaktivitäten für das Ende der Welt verantwortlich. Diese sollen eine Verschiebung der Erdachse, eine Veränderung des Magnetfeldes oder eine Verlagerung der Pole verursachen, was massive klimatische Veränderungen, Flutwellen und die Verschiebung tektonischer Platten zur Folge haben würde. Doch Rettung ist in Sicht, wie uns die New Yorker Band „Hanzel & Gretyl“ mit ihrem Album „Zwanzig Zwölf“ wissen lässt. Inhaltlich beschränkt sich die Gruppe zwar wie gewohnt darauf, mit Symbolen der NS-Zeit oder Titeln wie „Oktoberfest of Blood“ und „Lederhose macht frei“ zu provozieren. Einen Bezug zu 2012 stellt erst eine der CD beiliegende Einladung zu einem Konzert her, das die Band am 21.12.2012 auf der Pyramide von Chichen Itzá abhalten will. Das Bauwerk soll sich dann in ein UFO verwandeln und die Gruppe samt ihrer Fans von der untergehenden Welt retten. Für alle anderen bleibt zumindest die Perspektive, im Internet ein „2012 Survival Kit“ zu erwerben oder sich einen Platz in den privaten Bunkeranlagen zu sichern, die zur Zeit in den USA eigens für 2012 erbaut werden.Die Verbindung von Außerirdischen und Mayakultur ist indes nicht gerade neu und wurde unter anderem schon von Erich von Däniken seit Ende der 1960er Jahre vertreten. Dahinter steht die rassistische Annahme, dass die vermeintlich primitiven Menschen der Neuen Welt keinesfalls aus eigener Kraft eine komplexe Kultur erschaffen konnten. Dazu bedurften sie schon der Hilfe „kleiner grüner Männchen“ oder zumindest „weißer Herrenmenschen“ aus Europa oder gleich aus Atlantis. Letztere These wurde erst vor wenigen Monaten wieder durch den selbsternannten „Maya-Experten“ Joachim Rittstieg verbreitet, der sich – finanziert und medial begleitet von der Bild-Zeitung – auf den Weg nach Guatemala machte, um dort den Goldschatz von Atlantis zu suchen, und dabei den Ruf aller seriösen deutschen Forscher im Land schwer beschädigte.Doch zurück zu 2012 und der Frage, wie solche Theorien so an Einfluss gewinnen konnten. Wie bereits erwähnt, ist erst in den letzten zehn Jahren eine verstärkte Verbreitung erkennbar. Ein Grund hierfür mögen die enttäuschten Hoffnungen bezüglich eines Weltendes nach 1999 gewesen sein. Zweifellos spielte auch die zunehmende Bedeutung des Internets als Plattform zur Verbreitung entsprechender Theorien eine Rolle, aber auch das Aufgreifen dieser Thematik in Romanen, Film und Fernsehen. Einen Anfang stellte dabei die Ausstrahlung der letzten Folge der extrem populären Fernsehserie X-Files (in Deutschland: Akte X) im Jahr 2002 dar, auf deren Höhepunkt das vermeintliche Ende des Maya-Kalenders mit einer drohenden Invasion von Außerirdischen in Zusammenhang gebracht wurde. Bis 2008 war das Interesse so weit gestiegen, dass neben Romanen und Spielfilmen auch der US-amerikanische History Channel und der Discovery Channel das Thema in Dokumentationen mit so vielsagenden Titeln wie „Decoding the Past: Mayan Doomsday Prophecy“ oder „Nostradamus 2012“ aufgriffen.In Deutschland hingegen war erst die Premiere von Roland Emmerichs Film „2012“ im Jahr 2009 Anlass für eine umfangreiche Berichterstattung über das Thema. Dass das öffentliche Interesse seither stetig zugenommen hat, belegen verstärkte Anfragen zu dem Thema an Museen und Universitäten. Die Wirkung von Emmerichs Film entfaltet sich vor allem im Bereich der Weltuntergangspropheten, denen der Film eine perfekte visuelle Vorlage liefert. So nutzen viele der Weltuntergangsseiten im Internet heute das Filmplakat oder Szenebilder als Illustrationen. Hinzu kommt die Tatsache, dass zur Promotion des Films auf eine Strategie des „viralen Marketings“ gesetzt wurde, bei der bewusst die Grenzen von Fiktion und Realität verwischt wurden. So entstand scheinbar unabhängig von dem Film eine Website einer Geheimorganisation, die sich vorgeblich mit Forschungen über die Maya beschäftigte und nach Wegen suchte, die Menschheit zu retten. Tatsache ist, dass viele Menschen in den USA diese Werbemaßnahmen für bare Münze nahmen. So berichteten verschiedene Wissenschaftler von Anfragen verängstigter Bürger, die tatsächlich das Ende der Welt erwarteten. Schließlich sah sich die NASA genötigt, auf ihrer Internetseite offiziell Stellung zu beziehen, um die Bevölkerung zu beruhigen. Vergleichbares hat sich in Deutschland bisher nicht ereignet, zumal in der Presse eine eher kritische Berichterstattung dominiert.Emmerichs Film selbst nahm übrigens wenig Bezug auf die Maya und beschränkte sich darauf, den Weltuntergang zu zelebrieren. Außer in ein wenig biblischer Symbolik (Menschen und Tiere werden auf Schiffen vor der großen Flut gerettet) ergeht sich der Film darin, Chinesen und Russen als Bösewichte abzustempeln und amerikanische Familienwerte zu beschwören.In religiöser Hinsicht deutlich expliziter war da schon das im Fahrwasser des Emmerich-Films veröffentlichte Machwerk „2012: Doomsday“ der Produktionsfirma „The Asylum“. Ausgangspunkt der Handlung ist hier der Fund eines Kruzifixes aus vorchristlicher Zeit(!) in der Ruinenstätte von El Tajin, was ein Wirken christlicher Missionare in Amerika schon zu alttestamentarischer Zeit beweisen soll. Der Film handelt dann von der Reise einer kleinen Gruppe von US-Amerikanern – frisch bekehrt oder seit jeher christlich-fundamentalistischer Weltanschauung – die in einem Mayadorf eine schwangere Jungfrau auflesen. Der Film endet dann in einem Tempel auf einer Pyramide, wo das Kind der Mayafrau zur Welt kommt. Während der Rest der Welt offenbar vernichtet wurde, bestaunen die Erretteten als neue Glaubensgemeinschaft den Sonnenaufgang.
2012 und die Maya heute
Die weltweite Begeisterung für das „Phänomen 2012“ geht mit einem bereits zuvor in esoterischen Kreisen bestehenden Interesse am Maya-Kalender einher. Gerade in Guatemala, wo der Tourismus für viele Maya-Gemeinden eine wichtige Einnahmequelle ist, fällt dieses Interesse auf fruchtbaren Boden. So haben sich Maya-Schamanen am Atitlansee, in Momostenango oder Antigua auf die Arbeit mit Touristen spezialisiert, sei es in Form von Segnungszeremonien, spirituellen Beratungen, Vorträgen über den Kalender oder der Erstellung von „Maya-Horoskopen“. Ihnen erwächst aktuell aber eine Konkurrenz von Europäern und Nordamerikanern, die sich ebenfalls zu Mayapriestern ausbilden lassen und im Land „praktizieren“.Seit 2008 ist das Thema auch Teil der politischen Debatte des Landes. So hält sich der amtierende Präsident Alvaro Colóm einen spirituellen Beraterstab. Leiter dieses selbsternannten „nationalen Ältestenrates“ ist der in esoterischen Kreisen wohl bekannte K’iche‘-Maya Alejandro Cirilo Pérez Oxlaj, besser bekannt als „Wandering Wolf“, der (wie sein Künstlername schon andeutet) sich in seiner Selbstpräsentation stark an den auf dem esoterischen Markt populären Schamanen aus den indianischen Ethnien Nordamerikas orientiert. Wandering Wolf sieht sich selbst als Repräsentant aller Maya Guatemalas und wendet sich in dieser Funktion gelegentlich an die Weltöffentlichkeit. Ein zentrales Thema ist die Warnung vor einer zunehmenden Schädigung der Umwelt. Angesichts der viel zitierten globalen Erwärmung fallen solche Botschaften gerade in ökologisch engagierten Kreisen der westlichen Gesellschaften auf fruchtbaren Boden und werden schnell verbreitet. Wandering Wolf prophezeit aber auch teils eine positive Zukunft, in der die Menschheit zusammenwachsen wird und Grenzen und Pässe keine Rolle mehr spielen.Ein mexikanisches Pendant zu ihm ist der in esoterischen Kreisen nicht minder populäre Schamane Hunbatz Men, der regelmäßig esoterische Seminare für Touristen anbietet und dabei auch mit Kristallschädeln arbeitet. Diese Objekte, die gern als Beweis für die Einflussnahme Außerirdischer auf die Mayakultur zitiert werden, sind erwiesenermaßen Fälschungen, die erst im 19. Jahrhundert (u. a. in Meißen) produziert wurden und dann weltweit in die Maya-Sammlungen von Museen und Antiquitätenliebhabern gelangten.Diese kommerziellen Auswüchse sind freilich nur eine Seite des „Phänomens 2012“ bei den heutigen Maya. Wie bereits erwähnt, findet aktuell verstärkt eine Rückbesinnung auf die vorspanischen kulturellen Wurzeln und das Kalendersystem statt. Mit der Wiedereinführung der Langen Zählung verbreitet sich inzwischen auch in den kleineren Gemeinden eine vage Vorstellung davon, dass 2012 etwas Besonderes passiert. Dieses neue Wissen wird dort mit bereits vorhandenen lokalen Prophezeiungen über große Veränderungen in Zusammenhang gebracht. Auch wenn das Datum 2012 natürlich nicht ursprünglicher Bestandteil dieser Prophezeiungen war, wird es problemlos akzeptiert, da es ja aus den Inschriften der alten Maya stammt, die als verehrungswürdige Ahnen gelten. Soweit ich es aufgrund meiner eigenen Forschung in Guatemala überblicke, sind die indigenen Interpretationen von 2012 aber weniger apokalyptisch geprägt, sondern kündigen eher einen langfristigen Wandel an, der sich je nach dem Handeln der Menschen positiv oder negativ auswirkt. Neben dem Thema des Umweltschutzes ist bisweilen auch von einem „geistigen Erwachen“ die Rede. Parallelen zur westlichen Esoterik sind hierbei nicht zu übersehen. Allerdings ist diese Deutung weniger globaler Natur, sondern bezieht sich konkreter auf die Rolle der Maya in der guatemaltekischen Gesellschaft. So hörte ich wiederholt im Zusammenhang mit 2012, dass jetzt eine Chance bestünde, ein Umdenken in der Gesellschaft einzuleiten, um die Diskriminierung indigener Kultur ein für alle Mal zu überwinden und zu den alten Werten und Traditionen zurückzufinden.Diese Vorstellung und diese Hoffnungen haben auch literarischen Ausdruck gefunden. Bereits 2006 verfasste Gaspar Pedro Gonzáles, ein Q’anjob‘al-Maya, ein Werk mit dem Titel „El 13 B’aktun“, in dem er das Datum 2012 zum Anlass nimmt, die heutige Situation der Maya zu reflektieren. Das Werk ist als Zwiegespräch eines Vaters mit seinem Sohn aufgebaut und endet mit einem Sprung in das Jahr 2012, wo sich ein dramatisches Ereignis ankündigt. Ob es das Weltende oder einen Neuanfang darstellt, bleibt aber bis zuletzt offen.
Fazit
Alles in allem können wir also festhalten, dass die Maya entgegen der viel zitierten Meinung keinesfalls eine fatalistische Weltsicht hatten. Auch die Annahme eines Endes ihres Kalenders im Jahr 2012 ist heute nicht mehr haltbar. Ironischerweise scheint erst die Ankunft der Europäer und die Einführung des Christentums dazu geführt zu haben, dass die Maya sich mit einem nahen Ende der Welt zu beschäftigen begannen. Aber auch diese Weltuntergangsprophezeiungen waren immer nur von einer beschränkten räumlichen und zeitlichen Akzeptanz geprägt.Nichtsdestotrotz ist in den letzten Jahren in Europa und Nordamerika eine ganze Flut esoterischer und apokalyptischer Werke entstanden, die sich direkt oder indirekt auf die Maya berufen. So vielfältig diese Theorien auch sein mögen, eines verbindet sie: Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den historischen Quellen findet nicht statt. Vielmehr dient die Mayakultur als reine Projektionsfläche für westliche Theorien, die bis in die Anfänge der New-Age-Bewegung und darüber hinaus zurückreichen.Da sich somit das „Phänomen 2012“ als eine sehr fragwürdige Umdeutung kultureller Inhalte der Maya entpuppt, ist es umso erstaunlicher, dass es den heutigen Maya gelungen ist, sich diese Thematik zumindest ansatzweise für ihre eigenen Zwecke nutzbar zu machen. Auf diese Weise schließt sich ein Kreis, der mit der westlichen Aneignung und Umdeutung kultureller Elemente der alten Maya begann und heute mit einer Wiederaneignung und erneuten Umdeutung durch deren Nachfahren ihr Ende findet.
Lars Frühsorge
Literatur
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