Der messianisch-jüdische Aufbruch. Ein Porträt
Daniel Juster, Peter Hocken, Der messianisch-jüdische Aufbruch. Ein Porträt, Aufbruch Verlag, Berlin 2005, 83 Seiten, 2,50 Euro.
Daniel Juster ist einer der Leiter der messianisch-jüdischen Bewegung in den Vereinigten Staaten. Peter Hocken ist Theologe und gehört zur charismatischen Bewegung in der katholischen Kirche. Beide schreiben mit großer Sympathie für diese Bewegung. Das Buch ist die Übersetzung der englischen Originalausgabe „The Messianic Jewish Movement“ (2004) und beginnt mit definitorischen Annäherungen gegenüber dem, was messianisches Judentum bedeutet. „Zur eigentlichen messianisch-jüdischen Bewegung zählen jene Juden, die zum Glauben an Jesus von Nazareth – den sie normalerweise ‚Jeschua‘ nennen – als Messias Israels, Sohn Gottes und Heiland der Welt gekommen sind, die ganz speziell als Juden diesen Glauben haben und die Assimilation an das nichtjüdische Christentum ablehnen“ (11). Die Bewegung will an das Judenchristentum des 1. Jahrhunderts anknüpfen. Sie möchte durch den Glauben an Jesus nicht aufhören, Teil der jüdischen Gemeinschaft zu sein.
Die heutige messianisch-jüdische Bewegung hat nach Juster und Hocken ihre Wurzeln im 19. Jahrhundert und ihre Zentren in den USA und in Israel. Es waren verschiedene Faktoren, die ihre Entwicklung begünstigten: die wachsende Zahl christlicher Theologen, die sich von einer theologischen Konzeption der Substitution im Verhältnis Kirche und Israel abwandten und in ihrer endzeitlichen Erwartung Israel neben der Kirche einen eigenständigen Platz einräumten. In England und in den USA schlossen sich im 19. Jahrhundert zunehmend Judenchristen aus verschiedenen Denominationen zusammen. 1860 wurde in Großbritannien die Hebrew Christian Alliance gegründet, die sich auch in anderen Ländern ausbreitete. Schließlich entwickelten sich Missionsgesellschaften, die das Ziel verfolgten, das Evangelium unter dem jüdischen Volk bekannt zu machen. Direkte Faktoren, die nach Juster und Hocken zum Entstehen der messianisch-jüdischen Bewegung führten, waren Ende der 1960er Jahre die Jesus People Bewegung sowie die messianisch-jüdische Bewegung in Israel, die seit ihrer Entstehung bemerkenswerte Wachstumszahlen aufweist. Seit 1989 ist die messianisch-jüdische Bewegung auch in Osteuropa gewachsen. Andernorts ist sie verhältnismäßig klein, obgleich es einzelne Anzeichen für neue Entwicklungen gibt, u.a. in Deutschland und Lateinamerika.
Die meisten der Gemeinden halten sich an die jüdischen Festtage, feiern einmal im Monat das Abendmahl, bejahen das im Neuen Testament bezeugte Evangelium, ohne allerdings ein festgeschriebenes Glaubensstatut zu formulieren. Die älteren Gemeinden sind im Laufe der Jahre eher jüdischer geworden. Die Autoren gehen davon aus, dass die messianisch-jüdische Bewegung trotz zahlreicher Divergenzen einen einheitlichen Charakter hat. In den Gemeinden kontrovers gesehen wird die Frage nach der Rolle der Thora im Zeitalter des neuen Bundes. Zugleich gibt es Spannungen zwischen der Bewegung in Israel einerseits und der Diaspora andererseits. Messianische Juden in Israel verhalten sich „in Bezug auf Kleidung und Rituale weitaus weniger demonstrativ als ihre Brüder und Schwestern in der Diaspora“ (57). Ebenso gibt es Unterschiede zwischen evangelikalen und charismatischen Ausdrucksformen der Frömmigkeit.
Juster und Hocken sehen als zentrale Lehrinhalte der Bewegung die Anerkennung der Autorität der Bibel (Altes und Neues Testament) und gehen davon aus, dass wesentliche Teile der Bewegung sich innerhalb der lehrmäßigen Grenzen des christlichen Glaubensbekenntnisses bewegen, wobei gegenüber der griechisch geprägten Terminologie der dogmatischen Tradition unter anderem im Blick auf das trinitarische und christologische Dogma eine deutliche Distanz festgestellt werden kann: „Messianische Juden ziehen es vor, zu diesem Thema einfach nur die Bibel zu zitieren und für sich sprechen zu lassen“ (63).
Die Taufe wird durchweg als Erwachsenentaufe praktiziert. „Die meisten messianisch-jüdischen Leiter glauben an eine reale, wirksame Kraft im Abendmahl, auch wenn die Erklärungen, wie genau und warum dies geschieht, recht unterschiedlich ausfallen“ (65). Die Autoren weisen auch darauf hin, dass messianische Juden den Sabbat halten, den jüdischen Jahreslauf mit dem Zyklus biblischer Feste und die jüdischen Riten beachten, die das Erwachsenwerden von Jungen und Mädchen feiern (76).
Das Buch schließt mit erläuternden Hinweisen auf weiterführende Literatur. Es hat durchweg beschreibenden Charakter und enthält keine kritische Auseinandersetzung mit dem messianisch-jüdischen Aufbruch. Die Bedeutung der Publikation liegt insbesondere darin, dass sie das Selbstverständnis des messianisch-jüdischen Aufbruchs konzentriert und zutreffend zusammenfasst und dabei auch auf die umstrittenen und offenen Fragen hinweist. Dem Leser wird die Gratwanderung der Bewegung zwischen Judentum und Christentum skizziert, die zwangsläufig von beiden Seiten fundamentale Identitätsfragen aufwirft.
Reinhard Hempelmann