Der Schrecken Gottes.
Navid Kermani, Der Schrecken Gottes. Attar, Hiob und die metaphysische Revolte, C. H. Beck Verlag, München 2005, 352 Seiten, 24,90 Euro.
Warum leiden Menschen, warum gibt es das Böse? Theodizee ist ein aktuelles Thema. So lud das Nietzsche-Forum München vom 10. bis 11. Februar 2006 zu einem Kolloquium darüber, bei dem Ram Adhar Mall, Michael v. Brück, Nikolaus Gerdes, Stephan Leimgruber und Ulrich Willers zu Positionen der Rechtfertigung Gottes in den Weltreligionen referierten.
Am Büchertisch fand sich auch Kermanis Werk „Der Schrecken Gottes“, das die Theodizee-Frage in Judentum, Islam und Christentum von allen denkbaren Seiten behandelt. Der 1967 in Siegen geborene promovierte Orientalist, seit 2005 Kurator für außergewöhnliche Veranstaltungen am Schauspielhaus Köln, widmete seinen Erstling dem Islamdogma „Gott ist schön“ (München 1999).
Diesmal geht er vom persischen Dichter Attar (um 1145-1230) aus und stellt dessen „Buch der Leiden“ als „Kosmologie des Schmerzes“ (61) vor, wobei er den Fall Hiob ebenso breit verhandelt. Der Leser entdeckt ein reiches Panorama arabischer, orientalischer und islamischer Philosophien und Theologien, sowie deren Parallelen und Pole in Europa. Al-Ghazali, Leibniz oder Blumenberg werden mit al-Biqa’i, Voltaire oder Camus konfrontiert. Der Schwerpunkt liegt auf der Gegentheologie des Haderns mit einem ungerechten, unberechenbaren Gott als einer Amour fou, zu der nur wenige fähig sind: „Hiob oder die Narren, Heiligen und Derwische im ,Buch der Leiden‘ verlieren nicht den Glauben an Gott, wenn sie gegen Ihn aufbegehren; in ihrer Verzweiflung sind sie religiöser als die Gläubigen, die Gott preisen, aber vor den realen Verhältnissen Seiner Schöpfung die Augen verschließen.“ (213) Doch was sind die realen Verhältnisse? Wer frage „Unde malum?“, so Willers beim Nietzsche-Forum, müsse auch fragen „Unde bonum?“
Kermani zeigt, wie in Islam und Judentum das Ringen mit dem Gott, der dem Menschen Leid zufügt, nicht selten groteske Formen annimmt, Gott zur Karikatur wird, während das Christentum lediglich den dunklen Gott der Mystik kenne, das Leiden Christus überlassen sei. Proteste richteten sich im Christentum „durchgängig gegen die Kirche oder überhaupt die weltlichen Vertreter göttlicher Macht“ (251). Zu prüfen bliebe, ob Kermanis Thesen zum Christentum insgesamt bzw. zu verschiedenen, besonders abendländischen Zeugen haltbar sind: Hängt Dante von arabischen Vorbildern ab oder doch mehr von der lateinischen Tradition der Seelenreise? Müsste man bei Schopenhauer nicht dessen Buddhismus-Rezeption stärker berücksichtigen?
Die Passagen zum heutigen Islam gewinnen höchste Brisanz angesichts des „Karikaturenstreits“, den Kermani in der Süddeutschen Zeitung kommentierte, wobei er beiden Seiten Versagen vorwarf (SZ 8.2.06,11). Gegenüber dem Fundamentalismus und dem Westen plädiert Kermani für das Recht, die je „eigene Kultur“ zu kritisieren: „Wie anders könnten sich religiöse und politische Zustände weiterentwickeln, wenn ihre Wahrheiten nicht immer wieder neu attackiert würden. Literatur, Kunst und Intellektualität insgesamt sind im Kern ein selbstkritischer Akt.“ (216) Kermani, geprägt von seiner persisch-islamischen Herkunft und dem deutschen Lebensschwerpunkt, kann für beide Kulturen ein fruchtbarer Kritiker und anregender Dialogpartner sein.
Angelika Koller, München