Der Spiegel des Propheten. Abraham im Koran und im Islam
Martin Bauschke, Der Spiegel des Propheten. Abraham im Koran und im Islam, Verlag Otto Lembeck, Frankfurt a. M. 2008, 252 Seiten, 16,00 Euro.
Martin Bauschke, evangelischer Theologe und Leiter des Berliner Büros der Stiftung Weltethos, spricht mit dem neuen Abrahambuch ein breites Publikum an, das nicht nur Bekanntes wiederentdecken kann, sondern mit weitem Blick auf hohem Niveau und doch allgemeinverständlich zu einem differenzierten Verständnis des islamischen Abraham im Kontext der drei monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam angeleitet wird. Das Neue ist (übrigens bei alter Rechtschreibung): Der Verfasser gibt eine umfassende Darstellung aufgrund sämtlicher Koranverse zum Thema, die voll zitiert und – auch dies ist besonders hervorzuheben – in der mutmaßlichen chronologischen Reihenfolge ihrer Entstehung gegliedert und behandelt werden. Dieser methodische Zugang ermöglicht Einsichten in eher unbekannte Aspekte der Abrahamsgeschichte und reflektiert im Werden der islamischen Vorstellungen von dieser „Projektions- und Identifikationsfigur par excellence“ (10, Original kursiv) zugleich wichtige Elemente der (Lebens-)Geschichte Muhammads im Kontext seiner Zeit. So ist Abraham gleichsam ein Spiegel der Biographie des Propheten, in dem muslimische Identität angesichts der Konflikte sowohl mit Juden als auch mit Christen wie in einem Brennglas fokussiert ist.
Bauschke trägt der religionspädagogischen Bedeutung der Abrahamsgeschichte dadurch Rechnung, dass er eine Reihe moderner Nacherzählungen bzw. Neuformulierungen in den Text einstreut, was den Gebrauchswert des Buches im Religionsunterricht im weitesten Sinne zusätzlich steigert.
Das Buch gliedert sich (neben einem einleitenden Gesamtüberblick und einem visionären Ausblick am Ende) in drei Teile, die den Koran (acht Kapitel), die Tradition in Auszügen (hier wird selbstverständlich exemplarisch ausgewählt; vier Kapitel) und eine systematisierende Dialogorientierung als „Schlussbetrachtung“ abdecken. Zwei Tabellen (Abraham im Koran; die Opfergeschichte im Vergleich), ein gegliedertes Literaturverzeichnis, die Endnoten und ein Stellenregister schließen den Band ab.
Das gelungene Geflecht von Korantext, traditionellen islamischen und neuen, auch eigenen Deutungen sowie interpretativen Zusatztexten arbeitet aufs Ganze gesehen das Gesamtbild des islamischen Abraham sehr zuverlässig und nuancenreich heraus. Die Geschichte der Bindung / Opferung des Sohnes wird ausführlich analysiert, die späte Bedeutung Ismaels im Laufe der Korangeschichte markiert und die Abrahamisierung des Islam bzw. die Islamisierung Abrahams in zentralen Aspekten entfaltet. Gerade daraus werden freilich Schlüsse gezogen und die Abrahamsreligion von Prinzipien aus betrachtet, die externen Kriterien unterliegen (z. B. 56ff). So kommt es nicht selten zu spekulativen Extensionen, die mitunter plakativ oder suggestiv eher die Anliegen des Autors als den Textgehalt spiegeln und von daher zum Teil die Gewichte im Sinne des eigenen Dialogkonzepts verschieben. Die Fürbitte Abrahams und das Verhältnis zum Vater wären hier zu nennen, die Erweiterung (nicht nur) der Deutung der Opferungsgeschichte um eine „weiblich-mütterliche Perspektive“, überhaupt die Darstellung der Frauenbeziehungen (so wird Hagar unverhältnismäßig herausgehoben), aber auch die Einlassung zum Tierschutz angesichts der „Tötungsmaschinerie“ der Millionen Opfertiere bei der Pilgerfahrt in Mekka oder der Hang zur Öffnung der Texte für eine bibliodramatische Weiterentwicklung. Letzterem entspricht eine Tendenz zur Psychologisierung, die im Blick auf die „Familienbeziehungen“ nahezuliegen scheint, am Gegenstand jedoch hier und da vorbeigeht. Es wird deshalb nicht immer deutlich, wo die „wissenschaftlich solide“ Darstellung (13) und die trialogische Programmatik ineinander übergehen – was nicht grundsätzlich illegitim und vom Verfasser offenbar durchaus beabsichtigt ist.
Gelegentliche kleinere Fehler (Versöhnungstag ist Yom Kipppur, 104; din sollte etwa mit „Religion, religiöse Lebensordnung“ wiedergegeben werden, 116; Sara wird im Koran nicht namentlich genannt, 140; Abraham spielt eine wichtige Rolle in der jüdischen Liturgie, Übersicht, 205) fallen nicht ins Gewicht.
Die Schwierigkeiten einer konsequenten Interpretation vom Standpunkt einer religionstheologischen Position der „Offenheit der Religionen füreinander“ zeigen sich hingegen in der idealisierenden Abrahamdeutung eines Dialogverständnisses, das den klein geschriebenen islam zur Grundlage gegenseitiger Akzeptanz machen will. Dieser wird als „natürliche Gottergebenheit“ in der „ideale[n] religiöse[n] Einstellung“ (M. Arkoun) oder in „Unterwerfung und Gehorsam gegenüber Allah“ gesehen (180ff) und als Kern aller Monotheismen ausgemacht. Von „akzeptative[n] Religionstheologien“ ist ebenso die Rede (193) wie von den „Minimalbedingungen“ für den Eintritt in den gemeinsamen Heilsraum nach Sure 2,62 und 5,69 (die Heilung der zerrissenen Abrahamsfamilie ist ein wichtiges Anliegen des Buches). Die gegenseitige „Bestätigung“ der Offenbarungsbotschaften ist demnach schon im Koran angelegt, kann doch „heute“ nicht mehr partikular, sondern muss „global und ökumenisch“ gedacht werden (182ff). Es sind bekannte Muster, nach denen die historische Verwandtschaft und der Bezug auf dieselbe „Ursprungsfamilie“ als Grundlage einer monotheistisch-ökumenischen Gemeinschaft gelten sollen.
Doch was ist denn Gottergebenheit und Gehorsam gegenüber Gott, was meint denn „Glauben wie Abraham“ (125), was konkret eine „ideale religiöse Einstellung“? Man fragt sich einfach nach wie vor, welche gemeinschaftsgestaltende Kraft solche Abstrakta entfalten können (sollen), die nur reduktiv auf dem Hintergrund eines humanistisch-evolutiven Religionsverständnisses (Lessing, zit. 125f) überhaupt greifbar sind. Nein, es bleibt am Ende dabei: Die auch von Bauschke beschworene „Augenhöhe“ im Dialog wird nicht durch einen reduktionistischen Wahrheitsbegriff erreicht, sondern durch Authentizität im Glauben und in der Liebe, die die Hoffnung auf ein gelingendes Miteinander auf der Basis „überzeugter Toleranz“ (Wolfgang Huber) nicht aufgibt.
Friedmann Eißler