Tanja Rathmann

Der „Spirit of Health“-Kongress 2018 in Berlin

Eindrücke einer Besucherin

Am 3. und 4. März 2018 fand im Maritim-Hotel in der Friedrichstraße der 3. „Spirit of Health“-Kongress statt, der als internationaler Kongress für alternative Heilmethoden angekündigt worden war (vgl. MD 3/2018, 106f). Im Programmheft fanden sich 15 Referierende, darunter Jim Humble, der das angebliche Wundermittel „MMS“ entwickelt hat. Zu Kongressbeginn fanden sich ca. 300 Teilnehmende in dem für ca. 550 Personen bestuhlten Saal ein. Durch den Kongress führten eine Moderatorin und ein Moderator, die die Referenten ankündigten und sie nach dem Vortrag interviewten.

Der Wahrheit und der Gesundheit verpflichtet?

Es wurde betont, dass alle um die Wahrheit bemüht seien: Der Veranstalter Leo Koehof (Jim Humble Verlag) kündigte zu Beginn an, Ziel sei es, den Menschen die richtigen Informationen zu geben, weil es Erfahrungen seien, also keine „Fake News“. Damit versprach er, das Bedürfnis nach einfachen Wahrheiten zu erfüllen. Robert Stein, einer der beiden Moderatoren, sprach von einem „gesunden Geist“, der das offene Publikum als eine Familie zusammenbringe. Stein ist Gründer der Internetplattform „Stein-Zeit“ sowie der „Anti-Zensur-Koalition“ und bezeichnet sich selbst als Aufklärer und Informationslieferant „jenseits des Mainstreams“.

Als Gegenstimme gegen den Mainstream bezeichnet sich auch Ivo Sasek, Begründer und Leiter der „Organischen Christus Generation“ (OCG). Er behauptete in seinem Vortrag („Gesetzmäßigkeiten der Heilung“), das ganze Christentum gegen sich zu haben. Ich war überrascht, diesen Referenten im Rahmen des Gesundheitskongresses zu sehen, da er doch thematisch herausfällt. Zum Thema Heilung waren seine Aussagen radikal: 99 Prozent der Menschen litten unter einer sog. „Verantwortungsflucht“. Die allermeisten der kranken Menschen würden ihre Krankheit dazu verwenden, im Mittelpunkt stehen zu wollen. Sie seien selbst daran schuld, nicht gesund zu werden, da „alles nach ihrem Glauben“ geschehe. Als er dann noch davon sprach, die Mobilfunk-Lobby in der Schweiz heilen zu wollen, und sein weißes Hemd präsentierte, das ihn gegen die Strahlen schütze, schaltete ich ab.

Auch in anderen Vorträgen wurde das Bild vermittelt, die Referierenden würden in eine Außenseiterrolle gedrängt, am eindeutigsten bei Andreas Kalcker („Gesundheit verboten, unheilbar war gestern“): Er sei durch ein Spießrutenrennen gejagt worden, weil Gesundheit verboten sei. Das Bild des von anderen verstoßenen Außenseiters zog sich auch durch den Vortrag von Rainer Taufertshöfer („Naturheilkunde unter Dauerbeschuss“). Man beteuerte eindringlich, nur heilen zu wollen, und fühle sich nicht richtig behandelt. Schuldige waren schnell ausgemacht: die korrupte und profitorientierte Pharmaindustrie, die an Krankheit viel verdiene, die längst überholte Schulmedizin sowie die Wissenschaft und die Medien, die falsch berichteten und „Fake News“ verbreiteten.

Obwohl betont wurde, der Wahrheit verpflichtet zu sein, entstand bei mir der Eindruck, dass kritische Fragen nicht willkommen waren. Als auf die Medien (ZDF und RBB) hingewiesen wurde, die sich im Raum befanden, ging ein Raunen durchs Publikum. Im weiteren Verlauf konnte ich beobachten, dass sich so gut wie niemand den Fragen der Medienleute stellte. Zuschauerfragen wurden gleich zu Anfang ausgeschlossen, dies sei technisch nicht zu bewältigen. Zudem sollte man wegen der Strahlenbelastung das Handy ausschalten.

Das „Wundermittel“ MMS

Das sog. Wundermittel MMS wurde durch mehrere Referierende in den Mittelpunkt der Vorträge gestellt. Dieses Mittel (Chlordioxid) soll Malaria, AIDS, Krebs, Autismus und vieles mehr heilen, denn Parasiten würden durch MMS abgetötet, und dadurch werde die Krankheit unschädlich gemacht. Es sei klar von Chlorbleiche abzugrenzen, wie mehrmals wiederholt wurde. Todesfälle, die mit MMS in Zusammenhang gebracht würden, seien auf die falsche Anwendung des Mittels zurückzuführen. Zudem seien die Medien schuld, da sie MMS mit Chlorbleiche in Verbindung brächten und somit Menschen dazu angeleitet würden, ihren Chlorreiniger zu Hause zu trinken. MMS und dessen Verkäufer treffe keine Schuld.

Durch das Programm zog sich der mündliche Disclaimer, es handle sich hier lediglich um Erfahrungsberichte und keine Empfehlungen. Es wurde zudem auf die Selbstverantwortung des Patienten hingewiesen. Auch gebe es keine nachgewiesenen Todesfälle, so Andreas Kalcker.

Die geforderte Eigenverantwortlichkeit seitens der Patienten erhöht den psychologischen Druck, MMS ausprobieren zu müssen, wenn eine schwere Erkrankung vorliegt. Schließlich sei jede Krankheit – selbst wenn der Arzt nur noch eine Woche Überlebenszeit gegeben habe – heilbar nach den Anleitungen von Jim Humble. In einer so verletzlichen Situation wie einer schweren Krankheit lässt sich u. U. nicht mehr mit kühlem Verstand entscheiden, ob es gesundheitsförderlich ist, Chlordioxid zu trinken oder nicht. Auf diesem Kongress wurde ganz klar kommuniziert, dass MMS alle Krankheiten heile und es keinerlei Nebenwirkungen gebe. Die überwiegende Anzahl der Heilungsgeschichten stammte dabei aus Afrika und Südamerika.

Geldfragen

Bei aller Ablehnung von Profitgier wurde kontinuierlich auf die eigenen Bücher und Produkte hingewiesen. Es gab zwei Büchertische, die reichlich Kundschaft hatten. Andreas Kalcker forderte dazu auf, für das „Schweizer Zentrum für wissenschaftliche Forschung, Innovation und Entwicklung“, in dem er nach eigenen Aussagen als angestellter Biophysik-Forscher arbeitet, zu spenden oder sich als Investor zu beteiligen.

Ivo Sasek berichtete von 2000 Mitarbeitenden, die ehrenamtlich für den Online-Videokanal „Klagemauer TV“ tätig seien. Auf die Frage der Moderatorin, wo denn all das Geld herkomme, um solch ein „Unternehmen“ zu bewerkstelligen, verwies er darauf, dass man nur auf Gott vertrauen solle, dann würden die Rechnungen schon von irgendwoher bezahlt. Die 2000 Ehrenamtlichen spielten bei der Beantwortung der Frage keine Rolle.

Zweifel?

Beständig wurde darauf hingewiesen, dass die Referierenden über ein Wissen verfügen, das nicht wissenschaftlich nachgewiesen werden müsse, da es Erfahrungswissen und demnach wahr sei. Es wurde suggeriert, dass hier geheimes (Erfahrungs-)Wissen angeboten werde. Etwaige Zweifel wurden stark abwertend zurückgewiesen und so eine Atmosphäre geschaffen, die mich als „Unwissende“ und „Zweifelnde“ auf meinem Stuhl zusammensinken ließ. Es kam mir so vor, als gebe es eine stillschweigende Übereinkunft, dass Zweifel hier nicht geäußert werden. Vielleicht liegt dieser Eindruck aber auch darin begründet, dass eine Diskussion und (kritisches) Nachfragen von vornherein unterbunden wurden.

Insgesamt hatte ich den Eindruck, dass zu einer Gemeinschaft Eingeschworener gesprochen wurde. Und ich werde den Gedanken nicht los, dass hier einige dabei waren, die von der (professionellen) Welt des Gesundheitswesens enttäuscht sind, da sie sich darin nicht auf Augenhöhe anerkannt fühlen. Vielleicht ist deshalb der Groll auf das „System“ und den „Mainstream“ so groß.


Tanja Rathmann