„Der stets größere Gott“ - Gottesvorstellungen in Christentum und Islam
(Letzter Bericht: 6/2009, 230ff) Die jährliche Fachtagung des „Theologischen Forums Christentum – Islam“ in der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart hat sich in diesem Jahr (4.-6. März 2011) ein Zentralthema der religiösen Identität vorgenommen. Das Denken und Reden über Gott ist für glaubende Menschen selbstverständlich, für theologisch interessierte zumal. Wenn deren rund 120 zum fachlichen Austausch zusammenkommen, und zudem muslimische Teilnehmende zahlenmäßig fast gleichauf mit christlichen, verspricht es eine angeregte Debatte zu werden.Gleich der Einstieg geriet indes zum theologischen Rätselraten, da das Eröffnungsreferat Rešid Hafizovićs – wenig didaktisch – eine höchst eigenwillige und anspruchsvolle Darlegung mystisch-gnostischer Selbstverwirklichung der menschlichen Seele gleichsam aus der Innenperspektive bot. Der bosnische Autor und Sufismusexperte, der übrigens wegen salafitischer Aggressionen im Heimatland persönlich nicht anwesend sein konnte, reinterpretierte im Rahmen einer neuplatonisch anmutenden Kosmologie die heilige Schrift (den Koran) im Sinne von symbolsprachlichen Initiationserzählungen für das „spirituelle Drama“ des Seelenaufstiegs zum Göttlichen. Kaum verwunderlich, dass die Respons aus türkisch-sunnitischer Sicht demgegenüber die mehrdeutigen Koranverse und das Verborgene (ghaib) dem Wissen Gottes anheimstellen wollte und für den praktischen Glauben, ganz unmetaphorisch, auf das Vorbild des Propheten verwies. So war zunächst wenig über Gottesvorstellungen, umso mehr über die Fremdheit echter sufischer Theologie im hiesigen muslimischen Diskurs zu lernen.Zwei Hauptvorträge aus christlicher und muslimischer Sicht bearbeiteten die Gott-Mensch-Beziehung in erster Linie unter dem Gesichtspunkt der Barmherzigkeit. Christlicherseits wurde exegetisch mit religionsgeschichtlichen und literaturwissenschaftlichen Mitteln argumentiert, die Bibel weise in ihren oberflächlich widersprüchlichen Texten eine „Dynamik der Entgrenzung“ auf (zwischen Unheil und Heil, Unglauben und Glauben) und ziele auf Heilsuniversalität. Der inhaltliche Bogen von der Schöpfung Gen 1 bis Offb 22,21 wurde als richtungweisend für eine heilsuniversale, entgrenzende Perspektive auch im interreligiösen Dialog stark gemacht, allerdings ohne darin die Bedeutung von Sündenfall (Gen 3), Erlösung und Versöhnung zu kennzeichnen.Der muslimische Vortrag hielt an der Heilsbedeutung der menschlichen Entscheidung für das Gute oder das Böse fest. Eben diese Entscheidung treffen zu können, ist demnach Inhalt und Ziel der Offenbarung, darin äußert sich die Barmherzigkeit Gottes und wird so für den Menschen erfahrbar. Barmherzigkeit sei das Wesen Gottes, der sich so offenbart, dass er nicht nur eine Nachricht an die Menschen schickt oder eine Botschaft mitteilt, sondern in jedem Akt der Barmherzigkeit in dieser Welt unmittelbar erlebbar wird. Der Offenbarungsbegriff wird dabei dahingehend erweitert, dass das Offenbarwerden des Wirkens Gottes gerade auch im Medium des menschlichen Tuns gedacht wird, das sich an Gottes Geboten orientiert. Damit stellte der Beitrag Grundlagen einer anthropologisch-ethisch gewendeten islamischen Theologie zur Diskussion, die im Begriff der Barmherzigkeit die Vollkommenheit und Selbstgenügsamkeit Gottes zusammenhält mit der Antwort des Menschen im barmherzigen Handeln (als „Gottesdienst“ bzw. „Anbetung“, vgl. Sure 51,56). Weitere Vorträge wandten sich umgekehrt der Mensch-Gott-Beziehung zu. Wie jedes Jahr bot das Forum ferner allen die Gelegenheit, einzelne Projekte, Dialoginitiativen oder Publikationsvorhaben vorzustellen. Außerdem wurden Arbeitsgruppen zu weiteren Themen angeboten, darunter Mystik, Gott und Gewalt sowie feministische Fragestellungen. Hier wurde nun auch die Frage nach der Trinität gestellt, die im Plenum – wiewohl auch dort von muslimischer Seite vorgebracht – praktisch nicht vorkam. Zwar stellte das Tagungsprogramm ziemlich zu Beginn fest, dass „der Streit um die Trinitätstheologie und die Christologie von Beginn an im Mittelpunkt der christlich-muslimischen Kontroversen“ stand. Vor dem Ernst und der Tragweite dieser Tatsache und den damit verbundenen theologischen Fragen scheute man aber offensichtlich zurück und hielt sich lieber an das im Satz vorher zum Ausdruck gebrachte Bekenntnis: „Christen und Muslime eint der Glaube an den einen und einzigen Gott.“ Für viele muslimische Teilnehmende sicher irritierend wurde darüber hinaus im Zuge eines christlichen Hauptreferats die biblische Grundlage der Trinitätslehre grundsätzlich in Zweifel gezogen. Auch im Blick auf das islamische Gottesverständnis blieben Fragen, etwa hinsichtlich des Verhältnisses von Barmherzigkeit und Gerechtigkeit, das praktisch ausgeblendet blieb, oder auch die Frage, inwiefern die häufig anhand von Sure 50,16 zitierte Gottesnähe weniger eine dialogische, sondern vielmehr eine „Kontrollnähe“ (F. Körner) ist, die immerhin im eschatologischen Kontext von Gericht und Strafe steht. (Es geht an der Stelle um die Registrierung aller Taten, die traditionell mit den beiden Schreiberengeln auf den Schultern links und rechts verbunden wird, siehe den darauf folgenden Vers 17.) Sicher ist schon die Spannbreite der innerchristlichen Reflexionen über den „stets größeren Gott“ so ausdifferenziert, dass es zwischen Neuscholastik und Prozesstheologie, zwischen metaphysischer Spekulation und dekonstruktivistischer Nüchternheit kaum etwas geben wird, was nicht schon gedacht wurde und vertreten werden könnte. Ähnliche Verhältnisse sind für den Islam auszumachen. Damit ein so wichtiges Forum wie dieses jedoch nicht spekulativ abhebt oder gar in akademische Glasperlenspiele abgleitet, wäre künftig wohl verstärkt darauf zu achten, dass die Anbindung an zentrale Mainstream-Diskurse nicht durch zu hohe Spezialisierung oder individuelle Selektion gelockert wird. Auch die nach wie vor immens ungleichgewichtigen methodischen Voraussetzungen der Exegese müssen immer wieder transparent gemacht und diskutiert werden.Das Theologische Forum Christentum – Islam ist als „wissenschaftliches Netzwerk und Diskussionsforum im Bereich Christlich-Islamischer Studien“ inzwischen eine traditionsreiche Einrichtung. Es wartet bei aller arbeitsorientierten Beständigkeit immer wieder mit erfrischenden methodischen Innovationen auf. Besonders erfreulich ist es, die Aufbrüche einer neuen heranwachsenden Generation von Theologinnen und Theologen zu sehen. Die Chance, ein Resonanzkörper für eine engagierte und gesellschaftliche Impulse setzende kritische Diskussion zu sein, wird indes für das Forum umso größer sein, je bewusster es die Rückbindung seiner Akteure in jeweils ganz unterschiedliche Bekenntnisgemeinschaften und -kontexte in den Blick und ernst nimmt. Denn diese sind es letztlich, die die Gestaltung eines gemeinsamen und konstruktiven Weges in unserer Gesellschaft prägen und dafür Verantwortung tragen.
Friedmann Eißler