Der Untergang der islamischen Welt. Eine Prognose
Hamed Abdel-Samad, Der Untergang der islamischen Welt. Eine Prognose, Droemer Verlag, München 2010, 240 Seiten, 18,00 Euro.
Der inzwischen durch verschiedene Fernsehauftritte bekannte Politikwissenschaftler und Historiker Hamed Abdel-Samad hat mit seinem zweiten Buch „Der Untergang der islamischen Welt“ ein zugleich persönliches und provokantes Sachbuch geschrieben, in dem er die Situation der „islamischen Welt“ analysiert und den Versuch einer Vorhersage bevorstehender Entwicklungen unternimmt. 1973 in Ägypten als Sohn eines Imams geboren, studierte Abdel-Samad in Ägypten Französisch und Englisch und dann ab 1995 in Deutschland Politik. Seine Dissertation schrieb er an der Universität München über das „Bild der Juden in ägyptischen Schulbüchern“.
Mittlerweile ist sein neues Buch auch im kleinen ägyptischen Merit-Verlag auf Arabisch erschienen, nachdem es zuerst nur vom deutschen Droemer Verlag publiziert worden war. In seinem Buch möchte er den Finger auf die Wunde der islamischen Identität legen und mit teilweise drastischen und zuweilen plakativen Aussagen eine Diskussion über die Rolle des Islam im Zusammenhang mit der Stagnation der islamischen Welt anstoßen. Schon hier taucht allerdings die erste begriffliche Unschärfe auf, denn wenn er von der islamischen Welt redet, so meint er doch vorwiegend die arabische Welt und nur am Rande zentralafrikanische und asiatische Staaten. Anhand vieler persönlicher Beispiele und Erfahrungen versucht er zu untermauern, dass die islamische Welt aufgrund ihrer religiösen Erstarrung dem Untergang geweiht ist.
Den Anstoß für seine Überlegungen bildet nach eigener Aussage die Lektüre des im Jahre 1918 erschienenen kulturphilosophischen Werks von Oswald Spengler „Der Untergang des Abendlandes“, das er zu Beginn seines Studiums in Deutschland erstmals las. In Spenglers Buch fand er eine Begründung für seine Abneigung gegenüber dem ihn überfordernden westlich-dekadenten Lebensstil, der im starken Gegensatz zu seiner intensiven religiösen Erziehung stand, die er bei seinem Vater genossen hatte. Aus dieser Konstellation heraus wird die sehr persönliche Herangehensweise Hamed Abdel-Samads an das Thema besonders deutlich.
Bereits in seinem ersten, 2009 erschienenen Buch „Abschied vom Himmel“ beschreibt er seine Entwicklung von einem durch eine schwere Identitätskrise geprägten Muslim, der mit der paradoxen westlichen Lebensweise nicht zurechtkommt, hin zu Akzeptanz und Überwindung seiner durch den Islam geprägten Unmündigkeit. Paradigmatisch steht dafür seine oft wiederholte Aussage „Ich bin vom Glauben zum Wissen konvertiert“. Dies hat es ihm ermöglicht, „den Untergang des Abendlandes“ aus einer anderen Perspektive zu lesen und den Islam und seine Kultur als Ursache für die Probleme der „islamischen Welt“ ins Auge zu fassen. Sein Buch „Der Untergang der islamischen Welt“ stellt die Zusammenfassung seiner Überlegungen dar und beschreibt, warum seiner Meinung nach der Islam „bankrott“ gehen wird und muss, um zu einer Erneuerung der „islamischen Welt“ zu gelangen.
Sein Buch wirkt dabei weniger als ein Sachbuch, da es – wie schon erwähnt – zu einem großen Teil aus persönlichen Anekdoten und Erfahrungen besteht, die zwar einen sehr persönlichen Zugang zu seinen Gedankengängen eröffnen, aus wissenschaftlicher Perspektive aber nicht ohne Weiteres verallgemeinerbar sind. In einigen Kapiteln versucht er allerdings, aus seinem persönlichen Blickwinkel auszubrechen und eine politikwissenschaftliche Analyse durchzuführen. Besonders gelungen ist dem Autor die Darstellung und Beschreibung der ägyptischen und saudi-arabischen Schulbücher der letzten Jahre, bei der die politisch gesteuerte Geschichtskonstruktion der herrschenden Regime vom Autor besonders eindringlich herausgearbeitet wurde. An zahlreichen Beispielen wird die Zerrissenheit der islamischen Identität aufgezeigt, die zwischen dem Stolz auf die eigenen kulturellen Leistungen und dem Gefühl schwankt, durch einen nicht näher identifizierten Westen in Form von Kreuzzügen, Kolonialismus und Zionismus unterdrückt worden zu sein. Andere, für die Geschichte der islamischen Welt ebenfalls bedeutende Ereignisse, wie die Zerstörung Bagdads 1258 durch die Mongolen, werden vollkommen außer Acht gelassen. Durch diese systematische Geschichtskonstruktion wird eine einseitig dargestellte Geschichte der Unterdrückung des Islam durch den Westen propagiert und legitimiert. Eine Allgemeingültigkeit kann diesen Aussagen jedoch nicht zugesprochen werden, da sich der Autor lediglich auf die Schulbücher zweier arabischer Länder beschränkt.
In weiten Teilen des Buches argumentiert Hamed Abdel-Samad aus einer psychologischen Perspektive, die er mit einigen historischen Fakten zu untermauern sucht. So versucht er, für die Unfähigkeit vieler Muslime, mit den „Kränkungen“ des „Westens“ richtig umzugehen, Erklärungen zu finden. Ziel des Autors scheint zu sein, das „islamische“ Denken aus seiner von ihm attestierten unschöpferischen und selbstzerstörenden Haltung zu befreien und die „Ketten des Islam zu sprengen“. Religiöse Reformer versuchen in seinen Augen nur, den Ketten einen neuen „Anstrich“ zu geben, sie aber nicht abzuschütteln. Hier steht Abdel-Samad in der Tradition radikaler Aufklärer, die in der „selbstverschuldeten Unmündigkeit“ der Muslime die Ursache der Probleme erkennen und dagegen angehen möchten. Das Vorhandensein äußerer Entwicklungen, die zur heutigen Situation der „islamischen Welt“ mit beigetragen haben, wird zwar nicht bestritten, doch misst der Autor dem keine besondere Bedeutung zu. Er verweist auf die innere Wandlungsfähigkeit des Islam, die dieser braucht, falls er sich als gesellschaftliche Kraft erhalten möchte. Seine Prognose ist in weiten Teilen eher düster, wie es auch der Titel des Buches nahelegt, wobei er gerade daraus Kraft zu schöpfen sucht. So endet sein Buch mit dem Satz: „Der Wald wird niederbrennen, und der Rauch wird zum Himmel steigen. Aber neue Bäume werden an der gleichen Stelle trotzdem wachsen.“
Gerade dieses Bewusstsein für geschichtlichen Wandel macht das Buch interessant, das in weiten Teilen mit vielen plakativen und verkürzten Thesen arbeitet, aber nur selten den Eindruck einer unreflektierten Islamkritik aufkommen lässt. Es ist eine sehr persönliche Auseinandersetzung des Autors mit den Problemen der „islamischen Welt“, und aufgrund dieser Herangehensweise mangelt es dem Buch an wissenschaftlicher Schärfe und Aussagekraft. Es beeindruckt aber durch seine Offenheit und das Ziel, Probleme anzusprechen und zur Diskussion zu stellen.
Rabih El-Dick, Hildesheim