Deutsche Muslimische Gemeinschaft (DMG) lässt Mitgliedschaft im ZMD ruhen
Die Deutsche Muslimische Gemeinschaft (DMG) muss ihre Mitgliedschaft im Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) ruhen lassen. Das entschied die Vertreterversammlung, das höchste ZMD-Entscheidungsgremium mit Bundesmitgliedern und Landesverbänden, Anfang Dezember 2019 in Köln. Hintergrund sind die „gegen die DMG öffentlich erhobenen Vorwürfe – auch des Verfassungsschutzes – zur Zuordnung zum Netz der Muslimbruderschaft“, deren gerichtliche Klärung aussteht. Die DMG habe in diesem Jahr Klage gegen die Behauptungen des Verfassungsschutzes eingeleitet, teilte der ZMD mit (www.evangelisch.de/inhalte/163212/03-12-2019/deutsche-muslimische-gemeinschaft-laesst-mitgliedschaft-im-zmd-ruhen ).
Ein solcher Vorgang könnte als Formalie abgehakt werden, wären da nicht mehrere Aspekte von Bedeutung. Erstens ist die DMG unter ihrem früheren Namen „Islamische Gemeinschaft in Deutschland“ (IGD; neuer Name ab Ende 2017) Gründungsmitglied des ZMD und nach eigener Aussage die treibende Kraft bei der Gründung des Koordinationsrates der Muslime (KRM) gewesen. Zweitens wird die DMG nicht erst seit kurzem, sondern schon seit eh und je mit der islamistischen Muslimbruderschaft (MB) in Verbindung gebracht. Sie wird von Beobachtern als ein Ableger der ägyptischen Muslimbruderschaft und als mitgliederstärkste Organisation von MB-Anhängern in Deutschland betrachtet. Mit einem Wirkungskreis, der weit über die eigenen Mitglieder hinausreicht. Entsprechend geht sie regelmäßig in Verfassungsschutzberichte ein. Drittens hat der ZMD seit seinem Bestehen bislang kaum ein Bedürfnis gezeigt, sich kritisch mit eigenen Mitgliedern auseinanderzusetzen, denen islamistische oder extremistische Tendenzen vorgeworfen werden. Wenn es eine Reaktion gab, war sie in der Regel beschwichtigend oder abweisend. Etwa dergestalt, es gebe keinen Einfluss von Muslimbrüdern, und wo es ihn einmal gegeben hätte, sei ein tiefgreifender Wandel festzustellen; dem werde das Narrativ überhaupt nicht gerecht, das in Politik und Medien weiterhin kolportiert werde. Darüber hinaus wurde immer wieder auf die letzte Satzungsänderung (März 2016) hingewiesen, um die geringere Einflussnahme einzelner Mitglieder zu betonen.
Jetzt geht der ZMD auf Distanz, zumindest vorläufig. Weshalb? Der öffentliche Druck wurde im vergangenen Jahr deutlich gesteigert, offenbar mit Erfolg. Vor allem der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen mit seinem Leiter Burkhard Freier äußerte sich prominent: Im Dezember 2018 erklärte Freier, mittelfristig gesehen gehe von einer verstärkten Einflussnahme der MB eine „weitaus größere Gefahr für die deutsche Demokratie aus als von der radikal-islamischen Salafisten-Szene“, deren militante Protagonisten Terrorgruppen wie Al-Qaida oder den „Islamischen Staat“ (IS) unterstützten (FOCUS). Der legalistische Islamismus der MB zielt laut Verfassungsschutz darauf ab, eine ablehnende Haltung gegenüber westlichen Werten zu verstärken und eine Distanz zur Demokratie zu fördern. In einer „friedlichen Transformation“ (Yusuf al-Qaradawi) soll der Ausbau einer islamischen Infrastruktur und letztlich ein islamisches Europa erreicht werden. Auf dieser Linie wird dann einerseits etwa von Integration gesprochen, andererseits soll jedoch die muslimische Identität nicht tangiert werden. Auf derselben Linie wird der „Islam in Europa“ (als „der“ Islam in und für Europa) bejaht, ein „europäischer“ oder „deutscher“ Islam aber mit Nachdruck abgelehnt. Eine wichtige Konferenz Anfang Januar 2019 in Köln offenbarte die gemeinsame Strategie von Akteuren des legalistischen Islamismus erneut in großer Klarheit (s. Friedmann Eißler, Erklärung europäischer Muslime in Köln, in: MdEZW 2/2019, 65f). Ihr wird nur mit einer klaren Analyse der begrifflichen Verwirrspiele zu begegnen sein und einer intensiven Diskussion der Inhalte, um dem vielerorts nach wie vor andauernden Operieren mit Begriffshülsen entgegenzuwirken.
Interessant ist, dass gerade im vergangenen Jahr in kurzer Folge drei Bücher erschienen sind, die sich genau mit diesem Themenfeld auseinandersetzen, alle drei den „politischen Islam“ im Titel führen und zur kritischen Diskussion der Inhalte aufrufen: Heiko Heinisch / Nina Scholz, Alles für Allah. Wie der politische Islam unsere Gesellschaft verändert (Wien 2019); Carsten Linnemann / Winfried Bausback (Hg.), Der politische Islam gehört nicht zu Deutschland. Wie wir unsere freie Gesellschaft verteidigen (Freiburg i. Br. u. a. 2019); Susanne Schröter, Politischer Islam. Stresstest für Deutschland (Gütersloh 2019). Auch der EZW-Text 260 „Islamische Verbände in Deutschland. Akteure, Hintergründe, Zusammenhänge“ erschien 2019 und ist demselben thematischen Spektrum gewidmet.
Die dadurch weiter fokussierte Debatte mag ebenso zu dem jetzt erfolgten Schritt des ZMD beigetragen haben. Wäre der ZMD konsequent, müssten in naher Zukunft weitere Signale folgen, etwa in Richtung seiner Mitgliedsvereine ATİB und Islamisches Zentrum Hamburg (IZH). Die ATİB (Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa) ist eine Organisation aus dem Spektrum der türkisch-rechtsextremen „Grauen Wölfe“. Das IZH verbreitet den Islam (offiziell-)iranischer Prägung und strebt damit nach Behördenansicht an, den „Export der islamischen Revolution“ zu verwirklichen.
Friedmann Eißler