Deutschland, deine Götter. Eine Reise zu Kirchen, Tempeln, Hexenhäusern
Gideon Böss, Deutschland, deine Götter. Eine Reise zu Kirchen, Tempeln, Hexenhäusern, Verlag Tropen, Stuttgart 2016, 398 Seiten, 19,95 Euro.
Ein Text auf dem Umschlag bringt die beiden zentralen Aspekte des Buchs schnell auf den Punkt: das, was thematisiert werden soll, und die saloppe Art, wie der Autor mit seinem Gegenstand umgeht. So heißt es: „Knapp 500 Jahre nach Luther gibt es in Deutschland mehr Götter als je zuvor: Magische Wölfe, freundliche Hexen, gute Aliens, fernöstliche Buddhas und einen waschechten Johannes den Täufer.“ Nun sind Hexen keine Götter und der „waschechte“ Täufer von der Pegnitz auch nicht – aber muss es so genau sein?
Das vorliegende Buch kommt lässig daher. Es thematisiert die religiöse Vielfalt in Deutschland, welche für den „Materialdienst“-Leser keine Neuigkeit darstellt, wohl aber in der breiten Öffentlichkeit Erstaunen hervorruft. Für diese Öffentlichkeit ist das Buch geschrieben. Der Verfasser macht keinen Hehl daraus, dass ihn die Fülle unterschiedlicher Religionen bzw. Weltanschauungen erstaunt. In 26 Essays beschreibt er seine Reisen zu den unterschiedlichsten Gemeinschaften in Deutschland. Er traf islamische Gruppen, christliche Sondergemeinschaften, Piusbrüder, Neuheiden, Scientology und neue Hexen. Selbst die „Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters“ in Templin hat er besucht.
Zuerst ein Wort der Würdigung: In der Darstellung der Gruppen und Gemeinschaften habe ich keine nennenswerten Fehler finden können. Das ist in Anbetracht der sehr unterschiedlichen Phänomene und der Fülle des Materials erstaunlich und verdient Anerkennung. Hier hat sich jemand bewundernswert eingearbeitet. Leider findet man keinerlei Hinweise darauf, woher der Verfasser seine Kenntnisse hat und welche Literatur Verwendung fand. Auch hätte man gern erfahren, warum der Autor gerade diese 26 Gemeinschaften auswählt und zum Beispiel auf das Universelle Leben, die Christengemeinschaft, verschiedene Apostelämter sowie auf neue und alte Freikirchen verzichtet. Dabei hätte er hier noch manche interessante Entdeckung machen können.
Damit ist offensichtlich: Wissenschaftlichen Ansprüchen genügt das Buch nicht. Aber hier liegt auch nicht das Interesse des Autors. Ihm ist an kurzweiligen Beschreibungen seiner Expeditionen gelegen. Das gelingt zumeist; selbst die detaillierten Beschreibungen der Anreise mit Bus und Bahn haben mitunter etwas Pittoreskes. Das Bedürfnis, unterhaltsam zu sein, hat jedoch seinen Preis. So trifft Böss unbekümmert Fehlurteile wie: „Offenbar gibt es in vielen Religionen eine morbide Faszination für das Grauen. Schließlich steht auch im Christentum mit dem Kreuz ein Folter- und Tötungsinstrument im Mittelpunkt und nicht zum Beispiel die Krippe, ein Laib Brot oder ein Fischerboot“ (334). Nun, dass das Kreuz zuerst ein Symbol für Christi Tod und Auferstehung ist, scheint dem Autor entgangen zu sein.
Im Nachwort schreibt Böss, dass er für sich „keine höhere Instanz“ gefunden habe, der er seine Seele widmen könne (396). So bleibt er als distanzierter Beobachter zurück; keine Gemeinschaft hat sein Herz berührt. Möglicherweise ist das die interessanteste Erkenntnis des vorliegenden Buchs: dass man sich einer Kirche oder religiösen Gemeinschaft nicht mit den Augen, sondern mit dem Herzen nähern muss. Wer jedoch lässig vorbeischlendert, war zwar vor Ort, aber eben doch nicht anwesend.
Andreas Fincke, Erfurt