Dialog und Mission - kein Widerspruch

Ist Mission als überholte Aufgabe zu betrachten, die zwar Teil der Christentumsgeschichte ist, aber in das Zeitalter des interreligiösen Dialoges nicht mehr hineinpasst? Kann der Dialog an die Stelle der Mission treten? So wurde bereits in den 1960er und 1970er Jahren gefragt. Auch heute gibt es grundsätzliche Skepsis gegenüber der Sache und dem Begriff Mission. Sichtbar wird dies, wenn im öffentlichen Raum über Themen wie Taufbegehren und Konversion gestritten wird, wenn im universitären Kontext Vertreterinnen und Vertreter der Missionswissenschaft ihre Fachdisziplin teilweise umbenennen und auf das Wort Mission verzichten. Einzelne Vertreter muslimischer Verbände äußern gegenüber den christlichen Kirchen immer wieder die Erwartung, dass diese auf Mission verzichten. Nur so könne ein Dialog auf Augenhöhe geführt werden.

Auch in den heutigen christlichen Kirchen selbst gibt es Skepsis. In der 2015 veröffentlichten Broschüre der Evangelischen Kirche im Rheinland „Weggemeinschaft und Zeugnis im Dialog mit Muslimen“ heißt es, grundsätzlich sei eine Konversion von einer Religion zur anderen möglich, eine „strategische Islammission“ bedrohe jedoch den innergesellschaftlichen Frieden und widerspreche dem Geist Christi. Eine pluralistische Religionstheologie, wie sie etwa von John Hick (1922 – 2012) maßgeblich angestoßen wurde, hatte schon vor Jahrzehnten dafür plädiert, ernst zu nehmen, dass ein Gott bzw. eine göttliche Wirklichkeit hinter den verschiedenen Religionen stehe. Die Vertreterinnen und Vertreter unterschiedlicher Religionen sollten sich wechselseitig als Wahrheitssuchende anerkennen. Im Anschluss an Hick hat der Religionswissenschaftler Perry Schmidt-Leukel, Münster, der EKD vorgehalten, durch ihre Abgrenzung gegenüber der pluralistischen Religionstheologie vertrete sie in ihrem Grundlagentext „Christlicher Glaube und religiöse Vielfalt“ (2015) teilweise ein „parochiales Gottesbild“. Sie gehe von einem „Stammesgott“ aus und verleugne die universalistischen und heilsoptimistischen Strömungen in anderen Religionen. Dabei käme es darauf an, religiöse Verschiedenheit im Sinne eines gemeinsamen Bezugs auf die eine göttliche Wirklichkeit hin zu denken. Empfohlen wird die Zurücknahme von Wahrheitsansprüchen. Im Kontext solcher Perspektiven verliert Mission ihre Begründung.

Trotz solcher Skepsis können Theologie und Kirche mit guten Gründen die Zusammengehörigkeit von Dialog und Mission unterstreichen und beides zugleich unterscheiden. Dialog ist mit Recht zum Schlüsselbegriff für das Leben in multireligiösen und multikulturellen Gesellschaften geworden, keineswegs nur für die christlichen Kirchen und die Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, sondern auch für Politik und Gesellschaft. Dialog heißt zuerst, dass sich verschiedene Menschen sprechend, hörend und lernend begegnen. Zwar sprechen keineswegs alle eine Sprache, Übersetzer sind manchmal vonnöten. Wer redend und hörend im Kontakt mit anderen steht, nimmt sie wahr und bringt ihnen Interesse und Aufmerksamkeit entgegen. Für das friedliche Zusammenleben in pluralistischen Lebenskontexten, in denen Menschen mit unterschiedlichen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen und Wahrheitsgewissheiten Nachbarn geworden sind, sind solche Begegnungen von zentraler Bedeutung. Dialogfähigkeit und -bereitschaft werden zu einem dringenden Desiderat. In der durch Kommunikationsmedien bestimmten, globalisierten Welt rücken die Menschen näher zusammen. Touristen und Flüchtlinge sind dabei zu Symbolen und Gesichtern der Globalisierung geworden, zu Beispielen für die Notwendigkeit interreligiöser und interkultureller Kommunikation.

Zum Dialog nötigt freilich auch die Eigenart des christlichen Glaubens. Christlicher Schöpfungsglaube setzt voraus, dass jeder Mensch Ebenbild Gottes mit einer unverwechselbaren Würde ist. Das dialogische Eingehen auf den anderen als christliche Handlungsperspektive entspricht zugleich dem Inkarnationsgeschehen. Der in Jesus Christus zum Menschen kommende und seine Nähe ansagende Gott geht dialogisch auf die Welt ein. Er redet den Menschen an, gewährt ihm Raum und Zeit und lässt mit sich reden. Das Evangelium ist göttliche Selbstmitteilung an die Welt, ein Kommunikationsgeschehen, das neue Lebenszuversicht wirkt und Gemeinschaft zwischen den Verschiedenen stiftet. Die Christen werden aufgrund der im Evangelium erkannten Wahrheit zum Dialog geführt.

Reduzieren lässt sich die Begegnung zwischen Christen und Angehörigen anderer Religionen auf den Dialog und die gute Nachbarschaft allerdings nicht. Konversionen zum Buddhismus, zum Islam, zum Christentum zeigen dies eindrucksvoll: Die Religionsbegegnung hat immer auch eine missionarische Dimension. Christentum, Buddhismus, Islam sind missionarische Religionen, auch dann, wenn der Missionsbegriff für das eigene Zeugnisgeben keine Verwendung findet. In der Religionsbegegnung treffen Überzeugungen und Wahrheitsgewissheiten aufeinander. Aus dem gelebten Zeugnis lässt sich das Missionarische nicht verbannen. Die missionarische Verantwortung ist Teil der Sendung der Kirche. Zu ihr gehört unverzichtbar das Zeugnis, das auf die göttliche Selbstmitteilung in Jesus Christus und auf das Wirken des Geistes verweist.

Differenzen zwischen dem christlichen Glauben und anderen Religionen dürfen weder heruntergespielt werden noch das Ende der Kommunikation bedeuten. Selbstrelativierung stellt keine überzeugende Strategie dar, um Differenzen auszuhalten und Toleranz einzuüben. Zum Dialog gibt es zugleich keine Alternative. Wir brauchen ihn allerdings auch im Sinne einer respektvollen Streitkultur und eines interreligiösen Realismus.

Die christlichen Kirchen verbinden ihr eigenes Zeugnis und Bekenntnis mit der Achtung fremder religiös-weltanschaulicher Orientierungen und treten mit Nachdruck für Religionsfreiheit ein. Harmonisierungsstrategien sind als Antwort auf die Situation weltanschaulicher Vielfalt ebenso untauglich wie fundamentalistische Abwehrreaktionen. Die Pluralität von unterschiedlichen Weltanschauungen ist in offenen Gesellschaften unaufhebbar.

Was heute neu gelernt werden muss: für den eigenen Glauben öffentlich zu sprechen, sodass Andersglaubende und Nichtglaubende die christliche Botschaft verstehen können. Eine auftragsbewusste und pluralitätsfähige Kirche verbindet Dialogkompetenz mit der Aufgabe, das Evangelium mit allen Menschen zu teilen. Es ist unvermeidlich, dass Selbst- und Fremdwahrnehmung, dass Innen- und Außenperspektive im Religionsdialog in Spannung zueinander stehen. In der Außenperspektive bzw. der Perspektive des Anderen erscheint die christliche Wahrheitsgewissheit als eine unter vielen. Aus der Perspektive seines eigenen Glaubens weiß der Christ, dass die Botschaft von der freien Gnade Gottes an alles Volk auszurichten ist, und bekennt Jesus Christus als das „eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben“ (Barmer Theologische Erklärung, These 1).


Reinhard Hempelmann