Die AfD auf den Pfaden der "Reichsbürger"?
Mit einer Kleinen Anfrage im Landtag von Baden-Württemberg (14.6.2018) verlangte die dortige AfD-Fraktion Auskünfte zur Ausstellung des „Staatsangehörigkeitsausweises“. Nach der rund drei Wochen später erfolgten Antwort des Landesinnenministers Thomas Strobl nahm sich auch die AfD-Bundestagsfraktion in einer Kleinen Anfrage des Themas an (23.7.2018). Diese wurde dann nach etwa zwei Wochen von der Bundesregierung beantwortet.
Bei beiden Anfragen ging es im Kern um drei miteinander verknüpfte Themenkreise: Wie wird die Identität deutscher Staatsangehöriger statistisch erfasst? Wie hoch ist die Zahl der beantragten Staatsangehörigkeitsausweise? Wie kann sichergestellt werden, dass nur deutsche Staatsangehörige ihr passives bzw. aktives Wahlrecht ausüben, wenn die allermeisten Wahlberechtigten keinen Staatsangehörigkeitsausweis besitzen? Darüber hinaus heißt es in der Kleinen Anfrage aus der AfD im Landtag von Baden-Württemberg: „Welche Maßnahmen wird die Landesregierung unternehmen, um die Verunglimpfung von Besitzern und Anwärtern des deutschen Staatsangehörigkeitsausweises als ‚Reichsbürger‘ zu beenden?“
Kurz (und laienhaft) zusammengefasst: Zwar ist der Staatsangehörigkeitsausweis das einzige Dokument, das zweifelsfrei die Staatsangehörigkeit nachweist. Allerdings wird eine solche Urkunde nur dann benötigt, wenn die Staatsangehörigkeit zweifelsfrei – etwa im Rahmen einer Verbeamtung oder in bestimmten Fällen bei Adoptionen – festgestellt werden muss oder deutsche bzw. ausländische öffentliche (!) Stellen das Dokument verlangen. Darum beantragt nur ein verschwindend geringer Anteil der Bundesbürger diese Urkunde. Personalausweis oder Reisepass hingegen sind Dokumente, die „„hinreichend glaubhaft“ machen und die „Vermutung“1 begründen, der Inhaber sei deutscher Staatsangehöriger. Und als ausreichend für die Ausübung des Wahlrechts sehen die Landesregierung Baden-Württembergs und die Bundesregierung die Eintragungen in den staatlichen Melderegistern an.
Interessant an den beiden Anfragen und der sich daran anknüpfenden Rezeption der Regierungsantworten sind drei Aspekte.
1. In der heterogenen Reichsbürgerszene sind die Antworten Wasser auf die Mühlen und wurden dort offenkundig erfreut aufgenommen: Aus der geringen Zahl der beantragten Staatsangehörigkeitsausweise lasse sich zum einen schlussfolgern, dass es kein Staatsvolk – abgesehen von einigen wenigen tausend Besitzern dieses Ausweises – gebe. Und zum anderen hätten Wähler wie Gewählte vom Wahlrecht Gebrauch gemacht, ohne ihre Staatsangehörigkeit nachgewiesen zu haben. Auch wird auf einschlägigen Internetportalen darüber spekuliert, ob Deutsche, die nur einen Personalausweis, aber keinen Staatsangehörigkeitsausweis besitzen, mindere Rechte haben. So wird im Internet von Staatsleugnern empfohlen, einen Staatsangehörigkeitsausweis mit dem Zusatz „RuStAG“ (Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz, 1913 erlassen) zu beantragen – ungeachtet der Tatsache, dass dieses Gesetz im Jahr 2000 als Staatsangehörigkeitsgesetz (StaG) neu gefasst wurde. Übrigens legen viele der in scharfer Konkurrenz zueinander liegenden Reichsbürgerorganisationen vor Ausstellung ihrer teuren Fantasie-Ausweise Wert darauf, dass die Interessenten ihre deutsche Abstammung bis in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg nachweisen. Implizit werden damit völkische Vorstellungen transportiert, denn so wird jeder in späteren Jahren nach Deutschland Migrierte wegen seiner Abstammung als nichtdeutsch charakterisiert.
2. Nicht zum ersten Mal ist durch die AfD eine Anlehnung an Semantik oder Argumentationsmuster aus der Reichsbürgerszene erfolgt. Schon im Grundsatzprogramm aus dem Frühjahr 2016 stellt die AfD fest, dass sich „[s]pätestens mit den Verträgen von Schengen (1985), Maastricht (1992) und Lissabon (2007) … die unantastbare Volkssouveränität als Fundament unseres Staates als Fiktion herausgestellt“ habe. Vereinzelt haben lokale oder regionale AfD-Funktionsträger nach Medienberichten in der Vergangenheit die in der Reichsbürgerszene verbreiteten Vorstellungen hinsichtlich der Weiterexistenz des Deutschen Reiches in den Grenzen von 1913 oder hinsichtlich der Bundesrepublik als einer „BRD Treuhandgesellschaft mit Sitz in Frankfurt am Main“ vertreten. Und im August 2018 hat Ronald Gläser (AfD-Mitglied im Berliner Abgeordnetenhaus) in einer Presseerklärung davon gesprochen, dass die „nachweislich in der Mehrzahl weitgehend harmlosen ‚Reichsbürger‘ … vorgeschoben [werden], um eine angebliche Zunahme rechtsextremer Aktivitäten untermauern zu können“. Angesichts der Tötung eines Polizisten durch einen Reichsbürger in Georgensgmünd (das Urteil wegen Mordes ist noch nicht rechtskräftig), angesichts der Vielzahl teilweise von Reichsbürgern in öffentlichen Verwaltungen, vor Gerichten oder bei Zwangsvollstreckungen ausgelöster bedrohlicher Vorfälle oder auch im Blick auf die kriminellen Handlungen im Umfeld des von Peter Fitzek ausgerufenen „Königreichs Deutschland“ überrascht diese Einschätzung dann doch.
3. In den Kleinen Anfragen der AfD-Parlamentarier wird explizit danach gefragt, inwieweit die Staatsangehörigkeit der Wählerinnen und Wähler wie der zu wählenden Mandatsträger sichergestellt werden kann, wenn doch nur ein Bruchteil der Bevölkerung einen Staatsangehörigkeitsausweis beantragt hat. Nach der deutlichen Antwort des baden-württembergischen Innenministers, die rechtmäßige Ausübung des Wahlrechts werde über die Eintragungen im staatlichen Melderegister gewährleistet, wurde aus der AfD-Bundestagsfraktion diese Anfrage wiederholt. Das lässt dem Duktus der Fragestellungen nach nur den Schluss zu, dass für die AfD sowohl in der baden-württembergischen Landtags- wie auch in der Bundestagsfraktion die Rechtmäßigkeit der Wahlen zumindest als fraglich erscheint, besitzen doch nur die wenigsten Bundesbürger eine solche Urkunde. Dass darüber hinaus in beiden Anfragen danach gefragt wurde, welche Landes- oder Bundesregierungsmitglieder einen Staatsangehörigkeitsausweis besitzen, eröffnet zudem die Möglichkeit, daran zu zweifeln, dass die Regierungsmacht überhaupt durch Deutsche ausgeübt wird.
Die Kleinen Anfragen können angesichts völkischer Vorstellungen innerhalb der AfD als Versuch angesehen werden, die Wahlergebnisse wie auch das Handeln der Regierungen zu delegitimieren und das eigene Agieren zu legitimieren. Denn gerade die Nachfrage zu den Regierungsmitgliedern macht deutlich, dass es nicht um sachgerechte Auskünfte zu den Modalitäten der Ausstellung dieser Urkunde geht. So ließe sich aus den Regierungsantworten im Sinne der AfD-Fragen schlussfolgern, dass mindestens zum Teil keine Deutschen in Regierungskabinetten sitzen, weil von deren Mitgliedern keine solchen Ausweise beantragt wurden. Und wenn noch nicht einmal gesichert wäre, dass Deutsche die Regierungen bilden, dann könnte dies insbesondere von Anhängern beider völkisch-nationalistisch orientierter Gruppierungen in der AfD („Patriotische Plattform“, deren Auflösung im September 2018 angekündigt wurde, und „Der Flügel“) als weiteres Mosaiksteinchen aufgenommen werden, sich als „Volksopposition“ und „Teil einer großen Bürgerbewegung, die sich in vielen Ländern Europas und der Welt gegen die global-kapitalistischen Verwüstungen … stemmt“2, zu inszenieren. Mit ihren parlamentarischen Anfragen bedient die AfD nicht allein ihre Wählerklientel, sie spielt zudem der Reichsbürgerszene in die Hände.
Jörg Pegelow, Hamburg
Anmerkungen
1 Von einer „Vermutung“, der Inhaber eines deutschen Personalausweises oder eines Reisepasses besitze die deutsche Staatsangehörigkeit, sprach die baden-württembergische Landesregierung 2017 in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage eines Abgeordneten der GRÜNEN. „Vermutung“ im juristischen Sinne bedeutet, dass eine Tatsache aufgrund ihres Vorliegens bzw. kraft gesetzlicher Bestimmung als gegeben unterstellt und nicht durch einen Beweis – hier die Staatsangehörigkeitsurkunde – festgestellt wird.
2 Björn Höcke im Gespräch mit Sebastian Hennig: Nie zweimal in denselben Fluss, Lüdinghausen/Berlin 22018, 209.