Weltanschauungsarbeit

Die Arbeit der „Sektenbeauftragten“ der Kirchen nach Urteilen des VG Mainz und des OVG Koblenz

Die Jugendorganisation „International Youth Fellowship e. V.“ (IYF) der südkoreanischen evangelischen Freikirche „Good News Mission“ des Pastors Ock Soo Park klagte ab Mai 2017 vor dem Verwaltungsgericht Mainz gegen das Bistum Mainz. Es wurde auf Unterlassung bestimmter Äußerungen des Leiters der Stabsstelle Sekten- und Weltanschauungsfragen der Bistümer Mainz und Speyer geklagt, von denen ein Zeitungsbeitrag der Mainzer Allgemeinen Zeitung und ein Fernsehbeitrag der SWR-Landesschau am 26. und 27. April 2016 berichtet hatten. Gegen den Zeitungsbeitrag, überschrieben mit der Schlagzeile „Koreanische Missionare veranstalten Konzert in Mainz: Sektenexperte warnt vor Manipulation“, aber auch gegen eine kurze Einblendung von Äußerungen des „Sektenbeauftragten“ in der SWR-Landesschau, hatte die IYF ein Jahr lang keine juristischen Schritte unternommen. Im Januar 2018, nachdem es das Bistum Mainz mehrfach abgelehnt hatte, die strafbewehrte Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung der IYF zu unterzeichnen, kam es vor dem VG Mainz zur Verhandlung der erhobenen Vorwürfe. Mit Urteil vom 22. Februar 2018 wurde die Klage der IYF abgewiesen.

Das Gericht stellte fest, dass die Klage zwar zulässig, aber unbegründet sei. Es nimmt u. a. auf den BGH-Beschluss vom 24. Juli 2001 Bezug, indem es feststellt: „Die streitgegenständlichen Äußerungen sind – jedenfalls soweit sie tatsächlich … dem Beklagten zurechenbar sind – allerdings nicht rechtswidrig … Mit den streitgegenständlichen Äußerungen erfüllt der Beklagte seinen Sendungsauftrag, grenzt sich seinem inneren Selbstverständnis entsprechend von anderen Glaubensgemeinschaften ab und nimmt sein Wächteramt gegenüber Lehren wahr, die er auf der Basis seines Wertesystems als gefährlich oder bedenklich betrachtet (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juli 2001 – VI ZB 12/01 –, juris, Rn. 12).“ Damit wird bestimmt, dass die Neutralitätsanforderungen, wie sie für rein staatliche Organe bestehen, nicht im gleichen Maße für rechtlich korporierte Religionsgemeinschaften gelten. Kirchlichen Sektenbeauftragten wird in der Öffentlichkeit eine „gesteigerte Sachkompetenz zugemessen“, woraus wiederum eine erhöhte Verantwortung und Sorgfaltspflicht bei Aussagen über andere Religionsgemeinschaften resultiert. Das Grundrecht ungestörter Religionsausübung beinhaltet aber nicht, dass dafür ein „kritikfreier Raum“ vorbehalten bleiben muss und ein Anspruch auf das Unterbleiben öffentlicher Kritik geltend gemacht werden kann. „Auch eine scharfe öffentliche Kritik an der Tätigkeit des Klägers und dessen öffentlichem Wirken stellt einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage dar und muss von ihm grundsätzlich hingenommen werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. Juli 1993 – 1 BvR 960/93 –, NVwZ 1994, 159).“

Ein Unterlassungsanspruch gegenüber den Äußerungen des „Sektenbeauftragten“ bestehe nur, wenn es sich bei den beanstandeten Äußerungen um unrichtige Tatsachenbehauptungen handle. „Dem Beklagten ist es grundsätzlich erlaubt, in Verbindung mit dem Kläger die beanstandeten Begriffe ‚Türöffner‘, ‚Indoktrination‘, ‚ideologische Manipulation‘ und ‚Vereinnahmung‘ zu benutzen. Das gilt auch für die Aussage, dass ein Kontakt mit dem Kläger einen ersten Schritt in die Manipulation bedeuten könnte.“ Auch stellt das Gericht fest, dass der Sektenbeauftragte des Beklagten sich die fremde Aussage, der Kläger sei eine „gefährliche christliche Sekte“, nicht zu eigen gemacht habe. Er werde in allen Medien lediglich beim Zitieren von Drittmeinungen wiedergegeben. Die Aussage, dass der Kläger von Dritten als „gefährliche christliche Sekte“ bezeichnet werde, sei als wahr anzunehmen. Der Kläger sei dem Wahrheitsgehalt nicht entgegengetreten, sondern bezeichne sie als nur „subjektiv“. Dabei handle es sich aber um eine indirekte Bestätigung, dass Dritte den Kläger als eine solche „Sekte“ bezeichnen.

Das VG Mainz kommt zu dem Schluss: Freie Religionsausübung beinhaltet auch das Recht, scharfe inhaltliche Kritik an der Tätigkeit anderer Religionsgemeinschaften zu üben. Abgrenzung zu anderen Weltanschauungen und Wertesystemen gehört zum Kern des religiösen Selbstbestimmungsrechts. Dabei sind auch scharfe, plakative und überspitzte Formulierungen zulässig. Das Bistum Mainz, eine als Körperschaft des öffentlichen Rechts verfasste Religionsgemeinschaft, darf andere Glaubensgemeinschaften, wenn nötig, auch kritisieren. Die in der Öffentlichkeit mit publikumswirksamen Aktionen auftretende IYF muss auch eine kritische Auseinandersetzung mit ihrer Tätigkeit dulden. Dem Kläger kommt, angesichts des großen öffentlichen Interesses, kein Anspruch darauf zu, „nur so von anderen dargestellt zu werden, wie er sich selbst sieht oder gesehen werden möchte“. Seiner Sorgfaltspflicht ist der „Sektenbeauftragte“ des Beklagten vor seinen Äußerungen gegenüber Zeitung und Fernsehen hinreichend nachgekommen, indem er „gründliche“ und „umfangreiche“ Recherchen angestellt hat. „Das beklagte Bistum und dessen Sektenbeauftragter sind gerade nicht zu einer neutralen Informationsvermittlung verpflichtet … Es ist dem Kläger unbenommen, den Meinungsäußerungen des Sektenbeauftragten des Beklagten im Meinungskampf argumentativ entgegenzutreten und dessen Darstellung ggf. auf diesem Wege zu entkräften. Nach alledem konnte der Unterlassungsanspruch des Klägers keinen Erfolg haben.“

In der Rechtsmittelbelehrung wurde die Möglichkeit eines Antrages auf Berufung beim Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz in Koblenz angegeben. Die International Youth Fellowship Deutschland e. V. machte am 4. Mai 2018 von dieser Möglichkeit Gebrauch. Mit Beschluss (Az: 6 A 10325/18. OVG) des OVG vom 29. September 2019 wurde beschieden, dass der Antrag der IYF auf Berufung gegen das Urteil des VG Mainz vom 22. Februar 2018 „keinen Erfolg hat, weil keiner der vom Kläger geltend gemachten Zulassungsgründe vorliegt“. Vor allem stellen die Richter fest, dass es keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Mainzer VG-Urteils geben könne. Mit diesem Beschluss wurde der Verwaltungsrechtsstreit endgültig und vollumfänglich zugunsten des Bistums Mainz entschieden.

Letztlich sind aber diese Entscheidungen des VG Mainz und des OVG Koblenz von weit über das Bistum Mainz hinausreichender, grundsätzlicher Bedeutung, sowohl für die katholische wie auch für die evangelische Weltanschauungsarbeit, da sie deren Grundlagen einer erneuten juristischen Klärung zuführen. Das Mainzer VG-Urteil bestätigt und betont, was schon der Bundesgerichtshof in seinem Urteil (Az: III ZR 224/01) im Jahr 2003 feststellte: die „erhöhte Verantwortung“ der „Sektenbeauftragten“, aber auch das Recht auf „scharfe inhaltliche Kritik“ an der Tätigkeit anderer Religionsgemeinschaften und Weltanschauungen, wenn sie sich vorher ein fundiertes Urteil dazu gebildet haben. Mit diesem Urteil lässt sich im religiös-weltanschaulichen Bereich auf gesichertem juristischem Boden gut weiterarbeiten.


Eckhard Türk, Mainz