A. J. Jacobs

Die Bibel und ich. Von einem, der auszog, das Buch der Bücher wörtlich zu nehmen

J. Jacobs, Die Bibel & ich. Von einem, der auszog, das Buch der Bücher wörtlich zu nehmen, Ullstein Verlag, Berlin 2009, 430 Seiten, 9,95 Euro.


An Einführungen in die Bibel herrscht gewiss kein Mangel, doch verbindet man mit deren Lektüre häufig nicht die Aussicht auf einen unterhaltsamen Abend. Das ist bei dem Bestseller des New Yorker Journalisten A. J. Jacobs anders.

Jacobs hat sich vorgenommen, ein Jahr lang strikt nach der Bibel zu leben. Er beginnt sein Experiment als Agnostiker und beendet es – nach eigener Aussage – als frommer Agnostiker. Die Außenperspektive macht das Buch ungemein erhellend. Völlig voraussetzungslos tritt der Autor seine biblische Reise jedoch nicht an: Sie ist auch ein Versuch, in einen Dialog mit seiner jüdischen Herkunft zu treten. Folgende Fragen bewegen ihn: Ist Gott eine wahnhafte Idee, oder hat es Sinn, an einen persönlichen Gott zu glauben? Gibt es einen wahren Kern der Bibel, oder pickt sich jeder die Stellen heraus, die seinen Interessen entsprechen? Um dies herauszufinden, beschließt er, zum absoluten Fundamentalisten zu werden.

Jacobs wählt einen Zugang, der die Fragen religiöser Laien ernst nimmt. Zudem ist das Buch mit einem prächtigen Humor und ansteckender Entdeckerfreude geschrieben. Er unterteilt die biblischen Regeln und Lehren, die er nach und nach befolgen will, in drei Kategorien: ethisch sinnvolle, Verschrobenheiten und ethisch verwerfliche. Sein in Monate gegliederter spiritueller Reisebericht ist von einer erfrischenden Unmittelbarkeit. Ehe, Kindererziehung, Familienplanung, Arbeitsalltag – alles wird biblischen Regeln unterworfen oder mit Blick auf die Bibel reflektiert. Jacobs teilt seine Reise in zwei Abschnitte ein: In den ersten acht Monaten erkundet er das Alte Testament, in den restlichen vier Monaten das Neue. Während er sich im ersten Teil auf eigene Erfahrungen mit der Bibel einlässt, stützt er sich im zweiten auf Begegnungen mit christlichen Gruppen, wodurch sein Bericht hier an Unmittelbarkeit verliert.

Jacobs hat keinerlei Scheu, Kontakt mit ganz unterschiedlichen religiösen Gruppen aufzunehmen – von den Amish bis hin zu christlichen Polygamisten. Er bietet so ein Panorama verschiedener Versuche, die Bibel wörtlich zu nehmen. Dabei begegnet er den religiösen Phänomenen mit großer Offenheit. Sei es der bizarre Eifer, mit dem ein Mr. Berkowitz verbotenem Mischgewebe auf der Spur ist, oder der Besuch bei ravenden und volltrunkenen Chassiden am Torafest – niemand wird der Lächerlichkeit preisgegeben.

Dass Jacobs selbst ethisch anstößige Regeln in seinen Selbstversuch einbezieht, verdeutlicht dem Leser den „clash of cultures“ zwischen der Welt der Bibel und der westlichen Zivilisation. Vieles, was wir heute bei anderen beklagen, findet sich auch in den eigenen Heiligen Schriften. Doch unterrichtet Jacobs den Leser zugleich über jüdische und christliche Interpretationen, die diese Texte historisch einordnen oder metaphorisch verstehen lassen. Geradezu wohltuend ist es, wenn Jacobs Klischees aufbricht. So stellt er Evangelikale vor, die nicht rechtslastig sind und die sich gegen Krieg, Armut und Konsumdenken wenden, aber auch abstruseste Fundamentalisten, die mit Giftschlangen hantieren, jedoch zugleich sozialreformerisch aufgeschlossen sind.

Am Ende seiner Reise resümiert der Autor, dass ein absoluter Fundamentalismus ein Ding der Unmöglichkeit sei. Dies bringt ihn zu der Einschätzung, dass sowohl Liberale als auch Fundamentalisten eine „Cafeteria-Religion“ praktizieren. Jedoch ergänzt er, dass die Kunst darin bestehe, die richtigen Gerichte auszuwählen. Hier könnte eine Anknüpfung für den Dialog liegen, denn in der begründeten Auswahl biblischer Traditionen liegt ja die theologische Herausforderung.

Jacobs kommt zu dem Schluss, dass der Gottesglaube zwar keine wahnhafte Idee ist, aber auf seiner Reise mit der Bibel fand er auch nicht zu dem Glauben an einen persönlichen Gott. Die sozialethischen Forderungen der Bibel bewertet er positiv. Sein Jahr mit der Bibel hat ihn von einem unbedingten Individualismus abgebracht. Drei Dinge nennt er als bleibend: die Lebensfreude, die Heiligung der Zeit (Sabbatruhe) und die Einsicht, dass das Leben nichts Selbstverständliches ist (Dankgebet).

Wer eine humorvolle Auseinandersetzung mit wortwörtlichen Bibelauslegungen sucht und dabei auch bereit ist, offene Fragen anzuerkennen, der greife zu diesem Buch.


Robert Giesecke, Schöningen