Die Emerging Church
„Eine dynamische Bewegung inmitten des gesellschaftlichen Wandels“
Religion und Kultur stehen in einem dynamischen und korrelativen Verhältnis zueinander. Es liegt somit in der Natur der Sache, dass Religionen sich innerhalb im Wandel begriffener gesellschaftlicher und wissenschaftlicher Kontexte positionieren müssen. Im Wesentlichen ist ihr Verhältnis davon bestimmt, „ob sich eine Religion im Einklang oder im Konflikt mit der sie umgebenden Kultur versteht“.1
In genau diesem Spannungsfeld bewegt sich die „Emerging Church“ – eine dezentrale, konfessions- und nationenübergreifende christliche Bewegung2, die sich konstruktiv mit den Bedingungen der Postmoderne auseinandersetzen will, um Wege zu finden, unter diesen Bedingungen einen zeitgemäßen und zugleich evangeliumsnahen Glauben zu leben. Grundlegende Inhalte der Emerging-Church-Bewegung sind ein postmodernes Selbstverständnis, das Bestreben, „Kommunikationsstrukturen zu schaffen, Gedankenaustausch zu fördern“3 und kirchliche Strukturen, die in der Postmoderne nicht überleben können, zu erneuern.4 Die Vernetzung der Menschen und Gemeinden, die sich mit der Emerging Church identifizieren, erfolgt in hohem Maße über das Internet. Weblogs und Online-Netzwerke spielen eine große Rolle. Geografisch ist die Bewegung vor allem in Nordamerika, Europa, Australien und Neuseeland anzusiedeln.5
Der Theologe Tobias Faix, selbst ein bekannter Vertreter der Bewegung in Deutschland6, stellt fest, dass die „Emerging Church ... keine einheitliche oder gar zu definierende Methode oder ein Modell, sondern eine dynamische Bewegung inmitten des gesellschaftlichen Wandels“ ist.7 Im Folgenden soll diese von Veränderung und kultureller Dynamik geprägte Bewegung aus verschiedenen Positionen in den Blick genommen werden.
Generationskonflikte und Kerzenschein
Ende der 1980er Jahre erwuchsen in weiten Teilen Amerikas christliche Bewegungen, die einen Schwerpunkt auf generationsspezifische Gemeindearbeit legten. Man konzentrierte sich verstärkt auf die „Generation X“, jene Generation, die in den 1960er und 1970er Jahren geboren worden war und zu der die Gemeinden immer weniger Zugang fanden. Um diese Generation anzusprechen, versuchte man zunächst, Gottesdienste durch oberflächliche Veränderungen attraktiver zu gestalten, ohne jedoch in die in der Regel sehr strenge Kirchenpraxis einzugreifen. Schon bald erwuchs aus dieser Entwicklung die Erkenntnis, dass es nicht ausreiche, „nur den Musikstil zu verändern und Kerzen hinzuzufügen“8 – tiefgreifendere inhaltliche Veränderungen schienen notwendig. Im Laufe der 1990er Jahre verlagerte sich der Schwerpunkt von der ursprünglichen Generationsthematik zu einer übergreifenden Problematik: Die Herausforderung lag nicht nur weiter darin, eine bestimmte Generation zu erreichen, sondern auf die sich wandelnden kulturellen Bedingungen im Allgemeinen zu reagieren – das Stichwort Postmoderne sollte den weiteren Diskurs bestimmen.9
Christsein in der Postmoderne
„Etwas anderes noch nicht ganz Greifbares beginnt – langsam aber immer stärker – aufzutauchen. Dieses Neue noch nicht wirklich Identifizierbare nennt man ... Postmoderne.“10 Die Bewegung der Emerging Church (oder Churches, will man ihre Heterogenität betonen) erlebt sich im Kontext einer Umbruchszeit zwischen zwei geschichtlichen Epochen, im Übergang von der Moderne zur Postmoderne.
Tobias Künkler, einer der Vertreter der deutschen Emerging-Church-Bewegung,11 beschreibt in seinem Aufsatz „Kurze Geschichte der Postmoderne“ einen Paradigmenwechsel innerhalb der Gesellschaft: Geprägt von einer zukunftsorientierten und mechanistischen Weltsicht, in der feste Gesetzmäßigkeiten und der analytische Zugang zu verschiedensten Phänomenen die Lebensrealität der Menschen bestimmten, habe die Moderne der Gesellschaft eine „Entzauberung der Welt“ gebracht. Kirchliche Strukturen, die in früheren Epochen eine zentrale Rolle eingenommen hätten, seien hinter Säkularisierungstendenzen und zunehmender Individualisierung verschwunden. Die durch Wissenschaft geprägte westliche Kultur habe durch Kolonialisierung und Globalisierung eine Vormachtstellung erreicht.12 In der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts allerdings habe die Moderne zu altern begonnen – ausgelöst durch verschiedene „Schocks und Kränkungen“, die sie mit sich gebracht habe: das Scheitern weltlicher Utopien, Orientierungslosigkeit und Pessimismus oder die Verschiebung der Erkenntnisgrenzen trotz wissenschaftlichen Fortschritts. All dies habe zu einer neuen Suche nach Sinn und letztlich zu einer „Wiederverzauberung der Welt“ geführt.13 Die Postmoderne als gegenwärtige Epoche versteht Künkler als geprägt von Dekonstruktion und Reimagination.
Seine Ausführungen decken sich mit vielem, was man innerhalb der Emerging-Church-Bewegung im Internet und in anderen Aufsätzen lesen kann. Moderne Dualismen (z. B. profan – heilig) werden gelockert, gewohnte Strukturen dekonstruiert, neben analytische Zugänge treten verstärkt synthetische Ansätze, in denen unterschiedliche, teils alte Elemente zu etwas Neuem zusammengesetzt werden. Wechselwirkungen, Eigendynamiken, Kommunikation und Vernetzung werden als zentrale Elemente dieser neuen Epoche erlebt.14 Eine der praktischen Fragen, mit der sich die Emerging-Church-Bewegung beschäftigt, ist die nach einer Integration dieser Elemente in ein aktives Gemeindeleben und den alltäglichen Glauben. Was bedeutet es, ein postmoderner gläubiger Mensch zu sein?
In der Praxis
So heterogen die Bewegung der Emerging Church ist, so vielfältig sind auch die Ansätze, ihre Ideen im praktischen Leben anzuwenden und umzusetzen. Einige Elemente begegnen jedoch in vielen verschiedenen Projekten immer wieder.
Zunächst ist die postmoderne Tendenz, sich in interaktiven Netzwerken zu organisieren, in Gemeindestrukturen der Emerging-Church-Bewegung eingeflossen. Man kann nicht nur eine verstärkte Vernetzung zwischen verschiedenen Gemeinschaften feststellen (z. B. über Online-Portale wie emergent-deutschland.de), sondern auch die Bildung netzwerkartiger Strukturen innerhalb von Gemeinden beobachten. Oft gibt es eigenständige Arbeitskreise mit gewisser Entscheidungsautorität, Hauskreise, die als „autonome kleine Kirchen“ innerhalb des großen Gemeindekontextes angesehen werden.15 Aber auch das Bild der Gemeinde als „Organismus“ mit wichtigen Beziehungen zwischen den einzelnen Mitgliedern ist weit verbreitet.
Mit diesem Denken hängt das Konzept der Interaktion und Eigenverantwortung aller Gläubigen eng zusammen, das beispielsweise auch in der Gottesdienstgestaltung seinen Ausdruck findet. Oft rücken klassische Liturgien und feste Abläufe zugunsten interaktiver Elemente in den Hintergrund. Der Schwerpunkt liegt dann nicht auf linear gestalteten Frontalgottesdiensten, sondern auf der Beteiligung der Gemeindeglieder und ihrer aktiven Auseinandersetzung mit ihrem Glauben und mit den anderen Gläubigen. Diese Umsetzung kann von vorsichtigen Angeboten freiwilliger interaktiver Elemente (wie der Möglichkeit, in einem bestimmten Zeitraum nach vorne zu gehen und eine Kerze anzuzünden) im ansonsten gewohnt strukturierten Gottesdienst bis hin zu einer völligen Auflösung der klassischen Gottesdienstform reichen, an deren Stelle dann zum Beispiel Workshops, Kunstausstellungen, Plenen oder meditative Gebetszeiten treten.16 Neben dieser inhaltlichen und strukturellen Loslösung von gewohnten Formen trennen sich viele der Bewegung zuzurechnende Gemeinden auch von räumlichen Konzepten. Statt Gottesdiensten in der eigenen Kirche oder dem eigenen Gemeindezentrum werden temporär Räume angemietet; manche Gemeinschaften treffen sich in Kneipen, Cafés oder Parks.
Während es also vielfältige Möglichkeiten gibt, postmoderne Elemente in die Gestaltung des Gemeindelebens einzubauen, sind auch Veränderungen auf inhaltlicher, theologischer Ebene von Bedeutung, wobei es hier sehr unterschiedliche Schwerpunktsetzungen in den zahlreichen Gemeinschaften gibt. Wo die einen zwar gestalterisch sehr offen und experimentell agieren, dabei jedoch eine recht konservative Theologie beibehalten, ist den anderen die Auseinandersetzung mit inhaltlichen Punkten wichtiger als Änderungen in der Gottesdienstgestaltung und Gemeindestruktur.
Ed Stetzer, selbst ein aktiver Blogger der Szene17, unterteilt die Emerging-Church-Bewegung in drei Strömungen: Während die erste ihren Schwerpunkt auf eine zeitgemäße Umsetzung ihrer bereits bestehenden evangelikalen Interpretation der Bibel und des Evangeliums legt, versuchen die Rekonstruktionisten als zweite Strömung, von der Ekklesiologie bis zur praktischen Umsetzung ein neues, gegen traditionelle Konzepte gerichtetes Denken zu etablieren. Die Revisionisten als dritte Gruppe zielen auf tiefgreifende Veränderungen in Theologie und Lebensvollzug und befinden sich damit am stärksten in einer Spannung zwischen evangelikaler und liberaler Ausrichtung.18 Auch wenn in einer solchen Unterteilung nicht alle angemessen und klar einer Richtung zugeordnet werden können, zeigt sie doch auf sinnvolle Weise die grundsätzlichen, teils sehr unterschiedlichen Tendenzen innerhalb der Bewegung auf.
„Missionale“ Gemeinschaften in Jesu Nachfolge
Trotz aller Heterogenität lassen sich verschiedene inhaltliche Elemente festmachen, die die Gemeinden in der Regel verbinden. Zunächst ist da die starke theologische Fokussierung auf Jesu Leben und Handeln zu nennen.19 Es geht darum, „sich in allen Belangen am irdischen Leben Jesu, wie es in den Evangelien überliefert ist, zu orientieren und ihm nachzufolgen“.20 Brian McLaren, ein wichtiger Vertreter der US-amerikanischen Emerging-Church-Bewegung, schreibt in einem seiner aktuellsten Werke, die Kirche sei dazu da, christusgemäße Menschen zu formen, Menschen, die christusgemäß lieben und die gute Nachricht vom Reich Gottes in Wort und Tat zum Ausdruck bringen.21 Dabei spielt der Gedanke der Inkarnation eine wichtige Rolle und wirkt bestimmend auf den Umgang mit der umgebenden Kultur: Wo Gott in Jesus Mensch wird, werde die Grenze zwischen Weltlichem und Geistlichem nicht länger aufrechterhalten. Aus dieser Perspektive wird die bewusste Öffnung zur Gesellschaft also auch theologisch konstituiert.
Dieser Öffnung liegt auch ein sogenanntes „missionales“ Selbstverständnis zugrunde. Der Gebrauch des Begriffs „missional“ statt des gängigen „missionarisch“ soll verdeutlichen, dass eben auch Mission unter neuen strukturellen und inhaltlichen Gegebenheiten gedacht wird. Missional beschreibt hier einen Ansatz missionarischer Praxis, der in der Tradition des biblisch-hebräischen, ganzheitlichen Denkens steht22 und soziales und kulturelles Engagement einschließt. So sollen christliche Werte durch Engagement und Vorbildverhalten in die Gesellschaft getragen werden, so, wie auch der biblische Jesus innerhalb der Gesellschaft lebt und agiert. In diesem Kontext spielt das gemeinschaftliche Leben sowohl innerhalb der Gemeinde als auch mit anderen Menschen im persönlichen Umfeld eine große Rolle.23
Ein verfälschtes Evangelium?
Die schärfste Kritik an der Emerging Church kommt von Einzelnen aus extrem evangelikal-konservativen Kreisen, die vor allem die inklusivistische Haltung liberaler Emerging-Church-Gemeinden anprangern: „Ihr ‚Evangelium’ ist ... ein verfälschtes ..., nach dem das ‚Reich Gottes’ jetzt schon gegenwärtig sei und auch Ungläubige und Angehörige anderer Religionen mit umfasse ... Unbekehrte seien schon in die Errettung einbezogen.“24 Die offene Haltung gegenüber der Gesellschaft, die Bereitschaft, sich auf kulturelle Veränderungen einzustellen und die Auflösung des Gegensatzes profan – heilig werden als „radikale Verweltlichung“ und „hemmungslose Einführung unheiliger Weltelemente in das Leben der verfälschten ‚Kirche’“ empfunden.25 Eine solche harsche und mit Polemik aufgeladene Kritik kann sich allerdings nur aus einer radikal bibeltreuen, antimodernen und extrem exklusivistischen Haltung heraus entwickeln und ist keineswegs ein repräsentatives Beispiel für die Reaktionen von Christinnen und Christen, die sich außerhalb des Ansatzes der Emerging Church verorten.
Ihre grundsätzlichen Kritikpunkte entsprechen allerdings denen gemäßigterer Kritikerinnen und Kritiker. So formuliert beispielsweise Ron Kubsch, Dozent am Martin Bucer Seminar und aktiver Blogger,26 folgende Vorbehalte: Zum einen problematisiert er den „pluralistischen Denkstil“27 von Christinnen und Christen, die der Emerging-Church-Bewegung zuzurechnen sind. Dieser steht für ihn im Gegensatz zur biblischen Forderung nach einem unterscheidenden Denken. Hinzu kommt für ihn eine von der Emerging-Church-Bewegung betriebene Relativierung der Schriftautorität, die sich über das Sola-Scriptura-Prinzip des Protestantismus hinwegsetze und die Bibel nach dem Korrelationsprinzip nach Paul Tillich in einer Wechselbeziehung zwischen biblischer Wahrheit und kulturellen Kategorien auslege.28 Ebenso wirft er der Bewegung eine Verengung der Sünden- und Sühnopferlehre vor: Indem sie das Sühnopfer Jesu vor dem Hintergrund eines bestimmten Gottesbildes ablehne, verkürze sie die biblische Lehre von Sünde und Sühne.29 Als einen weiteren Kritikpunkt nennt Kubsch schließlich eine „Religionsvermischung“30 und kritisiert hiermit zum einen die Übernahme von Praktiken aus anderen religiösen Traditionen (wie Yoga, Meditation etc.) als auch die schon angesprochene, innerhalb der Bewegung recht verbreitete theologisch-inklusivistische Haltung. Die Aussage beispielsweise, man könne gleichzeitig Hindu sein und Jesus nachfolgen, hält Kubsch für eine „merkwürdige“ Verzerrung des neutestamentlichen Verständnisses.31 Grundsätzlich sieht er das postmoderne Denken, wie es beispielsweise von Hegel, Nietzsche und Heidegger vertreten wurde, mit dem grundlegenden Gedanken der „Nicht-Existenz einer Metaregel“ im extremen Gegensatz zum Evangelium: „Streng genommen ist das Evangelium innerhalb eines postmodernen Bezugsrahmens überhaupt nicht verstehbar.“32 Trotz seiner kritischen Grundhaltung gegenüber der Emerging-Church-Bewegung sieht er allerdings auch positive Elemente: „Vieles von dem, was die EmCh [Emerging Church] heute problematisiert, kommt mir sehr bekannt vor und ich freue mich darüber, dass diese Themen endlich einmal auf der Agenda stehen ... Die evangelikale Rückzugsmentalität und die unter uns so weit verbreitete und akzeptierte Kulturfeindlichkeit bedürfen einer Korrektur. Durchaus erfreut nehme ich eine neue Aufgeschlossenheit für den wissenschaftlichen Diskurs wahr.“33
Grundsätzlich kann wohl festgehalten werden, dass Kritik von außen und innen letztlich Teil der Idee ist, die hinter der Emerging Church steht. Es geht darum, im Diskurs zu bleiben und sich auszutauschen, um neue Wege und Inhalte zu finden. Während polemische und unsachliche Kritik eher ignoriert oder zur Kenntnis genommen wird, ohne dass sich daraus ernsthaftere Diskussionen ergeben, gehört die Auseinandersetzung mit konstruktiver Kritik zum Austausch und zur Kommunikation der Emerging Church dazu und trägt zur Dynamik innerhalb der Bewegung bei.34
Die Situation in Deutschland
Gesicherte Zahlen über Gemeinden oder über Einzelpersonen, die sich der Emerging-Church-Bewegung in Deutschland zugehörig fühlen, liegen bisher noch nicht vor. Ein Blick ins Internet und in deutschsprachige Publikationen lässt allerdings Vermutungen über die Verbreitung der Bewegung zu. Die Zahl von Gemeinden, die sich explizit als postmodern verstehen und innerhalb der Emerging-Church-Bewegung verorten, scheint gegenwärtig recht gering zu sein. Über die Seite emergent-deutschland.de sind momentan deutschlandweit 14 Gruppen und ca. 270 Einzelpersonen miteinander vernetzt.35 Die Zahl derer, die sich mit ähnlichen Thematiken beschäftigen, ohne sich ausdrücklich der Emerging-Church-Bewegung zugehörig zu fühlen oder sich via Internet zu vernetzen, dürfte weitaus größer sein. Inhaltlich und strukturell postmoderne Ansätze finden sich wohl vor allem im protestantisch-freikirchlichen Kontext.
Abschließende Bemerkungen
Die Emerging-Church-Bewegung versteht sich als christlich-überkonfessionelle Bewegung im Kontext eines gesellschaftlichen Wandels von der Moderne zur Postmoderne. Als ein Beispiel unter vielen zeigt das Aufkommen dieser Bewegung die ausgeprägten Wechselwirkungen zwischen gesellschaftlichen, kulturellen, religiösen und wissenschaftlichen Diskursen. Grundgedanken der Emerging Church sind Bestandteil der religiösen Gegenwartskultur in Deutschland. Vor allem im Hinblick auf äußere Strukturen kann die Bewegung, religionssoziologisch betrachtet, im großen Kontext von Eventisierung, Mediatisierung und Verszenung verortet werden. Was inhaltliche Aspekte angeht, ist eine einheitliche oder repräsentative theologische Einordnung der Bewegung kaum möglich. In einer eher konservativen evangelikalen Umgebung entstanden, haben sich Schwerpunkte und Überzeugungen breit gefächert. Spricht man von der Emerging Church als evangelikaler Bewegung, muss man von einer sehr weiten Definition von „evangelikal“ ausgehen. Manche Aspekte, die in der Regel dem Evangelikalismus zugeordnet werden, sind zwar für die Emerging Church charakteristisch (so z. B. die Betonung der persönlichen Glaubenserfahrung oder der Fokus auf Jesus Christus)36, andere hingegen widersprechen teilweise eklatant den Grundgedanken bedeutender Zweige der Bewegung. Dies betrifft u. a. die evangelikale, in der Regel exklusivistisch geprägte Religionstheologie und das Verständnis der Bibel als letztgültiger Autorität.37 Prognosen darüber, in welche Richtung sich die Emerging-Church-Bewegung weltweit und speziell in Deutschland entwickeln wird, sind schwierig zu stellen. Noch ist die Bewegung keine bestimmende Größe innerhalb des Spektrums christlicher Ausprägungen. Sie kann aber keinesfalls als unbedeutende Randgruppe aus Mitgliedern einzelner freikirchlicher Gemeinden angesehen werden. Die Themen, mit denen sich die Emerging Church beschäftigt, werden auch in Zukunft von hoher Relevanz sein und die Christinnen und Christen in Deutschland und weltweit vor die Herausforderung einer Verortung und Positionierung stellen.
Anika Rönz, Marburg
Anmerkungen
1 Richard Faber/Friethjof Hager (Hg.), Rückkehr der Religion oder säkulare Kultur? Kultur- und Religionssoziologie heute, Würzburg 2008, 217.
2 Von einigen wird der Begriff „Konversation“ dem der „Bewegung“ oder „Kirche“ vorgezogen, um die Diversität und Heterogenität der Emerging Church deutlich zu machen. Vgl. Ryan K. Bolger/Eddie Gibbs, Emerging Churches. Creating Christian Community in Postmodern Cultures, Grand Rapids 2005, 29.
3 www.emergent-deutschland.de (die in diesem Beitrag angegebenen Internetseiten wurden zuletzt am 20.2.2012 abgerufen).
4 Vgl. Ryan K. Bolger/Eddie Gibbs, Emerging Churches, a.a.O., 28.
5 Vgl. ebd.
6 www.toby-faix.blogsport.com .
7 Tobias Faix/Daniel Ehniss, Die Emerging Church-Bewegung, in: Tobias Faix/Thomas Weißenborn (Hg.), Zeitgeist. Kultur und Evangelium in der Postmoderne, Marburg 2008, 141.
8 „A true emerging ministry ... is going beyond just changing the style of music and adding candles“ (Dan Kimball, zit. nach Ryan K. Bolger/Eddie Gibbs, Emerging Churches, a.a.O., 33).
9 Vgl. ebd., 32.
10 Tobias Künkler, Kurze Geschichte der Postmoderne, in: Tobias Faix/Thomas Weißenborn (Hg.), Zeitgeist, a.a.O., Marburg 2008, 17.
12 Vgl. Tobias Künkler, Kurze Geschichte der Postmoderne, a.a.O., 17.
13 Vgl. ebd., 17ff.
14 Vgl. ebd., 21.
15 Z. B. Hauskreise und „C:lans“ bei „SundayPlaza“, einer schweizerischen Organisation.
16 Vgl. auch hier beispielsweise das Konzept des „SundayPlaza“.
17 www.edstetzer.com .
18 Vgl. dazu Tobias Faix/Daniel Ehniss, Die Emerging Church-Bewegung, a.a.O., 139ff.
19 Vgl. Ryan K. Bolger/Eddie Gibbs, Emerging Churches, a.a.O., 44.
20 Dominik Sikinger, Emerging Church – Gemeindeaufbau in der Postmoderne, in: Tobias Faix/Thomas Weißenborn (Hg.), Zeitgeist, a.a.O., 146.
21 „The Church exists to form Christlike people, people of Christlike love ... who embody and communicate, in word and deed, the good news of the kingdom of God“ (Brian D. McLaren, A New Kind of Christianity. Ten Questions That Are Transforming the Faith, New York 2010, 164f).
22 Vgl. Dominik Sikinger, Emerging Church, a.a.O., 147.
23 Vgl. Ryan K. Bolger/Eddie Gibbs, Emerging Churches, a.a.O., 44.
24 Rudolf Ebertshäuser, Aufbruch in ein neues Christsein? Emerging Church – Der Irrweg der postmodernen Evangelikalen, Meinerzhagen 2008, 30.
25 Ebd., 34.
26 www.theoblog.de.
27 Ron Kubsch, Eine neue Unübersichtlichkeit. „Emerging Church“ – Was ist das denn?, 2008, 5, www.theoblog.de/wp-content/uploads/2008/12/perspektive-emch-rev121.pdf.
28 Vgl. ebd., 6 und 10.
29 Vgl. ebd., 7f.
30 Ebd., 8.
31 Vgl. ebd., 9.
32 Ron Kubsch, Wie viel Umgestaltung verträgt der christliche Glaube? Drei Gedankenanstöße zum „Wirbelsturm der Veränderung“ (Brian McLaren), Skript zum Vortrag an der Freien Theologischen Akademie Gießen, 2007, 9, abrufbar unter www.theoblog.de/wp-content/uploads/2007/12/fta-emch-101.pdf.
33 Ebd., 3f.
34 Die o. g. Beispiele beziehen sich auf den deutschen Kontext, es gibt natürlich auch entsprechende Beispiele aus dem amerikanischen Raum. Vgl. http://cicministry.org/commentary/issue87.htm .
35 http://emergent-deutschland.de/vernetzen.
36 Vgl. Reinhard Hempelmann, Evangelikale Bewegungen. Beiträge zur Resonanz des konservativen Protestantismus, EZW-Texte 206, Berlin 2009, 8f; Todd M. Johnson, Art. Evangelikale Bewegung, in: RGG4, 1696f.
37 Vgl. Reinhard Hempelmann, Evangelikale Bewegungen, a.a.O., 9, und Todd M. Johnson, Art. Evangelikale Bewegung, a.a.O., 1699.