Die Erweckung Europas in Eimeldingen
Ein Bericht zur „Thron-Konferenz“ 2022
Das große Treffen der Lobpreis-Gemeinschaft aus dem deutschsprachigen Raum, das sollte die „Thron-Konferenz“ sein, zu der „Awakening Europe“ vom 2. bis 3. Dezember 2022 nach Eimeldingen einlud, in eine freikirchliche Gemeinde mit dem etwas sperrigen Namen „G5meine Kirche / FeG Rebland“. Eimeldingen, eine 2500-Einwohner-Ortschaft im südbadischen Dreiländereck, scheint dabei auf den ersten Blick ein ebenso unwahrscheinlicher Veranstaltungsort zu sein, wie es eine Gemeinde aus dem „Bund Freier evangelischer Gemeinden“ (BFeG) für eine neucharismatische Erweckungskonferenz ist. Und doch gilt beides nur auf den ersten Blick. Eimeldingen ist zwar klein, aber im Ballungsraum des Dreiländerecks gut angebunden: Es liegt zwischen den Mittelzentren Lörrach und Weil am Rhein, Basel ist nur 15 Autominuten entfernt, und auch Mulhouse und Freiburg sind noch gut erreichbar. Verkehrstechnisch liegt Eimeldingen günstig: Die A98 verläuft im Süden durch das Eimeldinger Gewerbegebiet Rebacker. Genau hier, unmittelbar an die Autobahn angrenzend, befindet sich der allein schon durch seine Größe beeindruckende Gebäudekomplex der besagten FeG-Gemeinde – alles andere als idyllisch, aber äußerst praktisch gelegen.
Eine FeG-Gemeinde wird neucharismatisch
Auf den zweiten Blick wirkt es auch weniger erstaunlich, dass eine FeG-Gemeinde als Veranstaltungsort einer neucharismatischen Erweckungskonferenz auftritt. Dann entpuppt sich die Thron-Konferenz als Schnittpunkt der Geschichte von Awakening Europe und der G5meine Kirche / FeG Rebland Gemeinde (im Folgenden kurz G5).
Gegründet wurde die Gemeinde im Jahr 2000. Die Gottesdienste fanden zunächst in den Gebäuden eines Bauernhofs im Nachbardorf statt, bevor Mitte der 2000er Jahre das neue Gemeindezentrum in Eimeldingen gebaut werden konnte. In dem großen Gebäudekomplex, der sich im Besitz der mit der Gemeinde verbundenen Rebland-Stiftung befindet, sind neben dem Gottesdienstraum / Auditorium und Tagungsräumen das Hotel „Schlafstadt“ sowie das Restaurant „Sichtwerk“ untergebracht. Beide Betriebe tragen zur Finanzierung der Gemeindeaktivitäten bei. Die Gemeinde erlebte mit ihrem Gründungspastor David Segert ein deutliches Wachstum bis hin zu etwa 400 Gemeindegliedern und 800 Gottesdienstbesuchern pro Sonntag. Allerdings prallten im Lauf der Zeit auch unterschiedliche Vorstellungen darüber aufeinander, welche Ausrichtung die Gemeinde haben solle. Unter anderen strebte Timo Langner, seit 2008 Lobpreisleiter von DMMK (Die Musik meiner Kirche), der „Lobpreisbewegung von G5meineKirche“, beim Lobpreis und darüber hinaus eine eher neucharismatische Gestaltung an.1 Eine nicht unwichtige Rolle scheint in der weiteren Entwicklung der Einfluss der Bethel-Church aus Redding (Kalifornien) und ihrer Theologie gespielt zu haben. Zum einen hatten Gemeindeglieder eine Zeit in Redding an der „Bethel School of Supernatural Ministry“ (BSSM) verbracht und wollten nach ihrer Rückkehr die dort vertretene Frömmigkeit und Theologie in die Gemeinde einbringen. Zum anderen gab es schon länger Kontakte zu Ben Fitzgerald, dem „Senior Leader“ von Awakening Europe. Der gebürtige Australier, nach seiner Zeit an der BSSM zunächst Pastor der Bethel-Church, kam 2014/2015 als Missionar für Europa von Bethel nach Deutschland2 und gründete hier „Awakening Europe“ mit der Vision, das von „toter Religion“ geprägte Europa wieder „neu für das Vaterherz Gottes zu erwecken“.
Neben der unterschiedlichen Auffassung von Form und Funktion des Lobpreises bezog sich der Konflikt zwischen der klassisch-evangelikalen FeG-Linie und der neucharismatischen Strömung besonders auf das Verständnis von Gemeindeleitung. Die „alte“ Gemeindeordnung zeigt mit ihrem stark demokratischen und die Ehrenamtlichkeit betonenden Fokus klar die traditionelle FeG-Ausrichtung. Demnach ist die Gemeindeversammlung das oberste Organ der Gemeinde, dem die Gemeindeleitung (bestehend aus den ehrenamtlichen Ältesten sowie den von der Gemeindeversammlung zu berufenden Pastoren) untergeordnet ist.3 Dieses Modell wurde aber offenbar in den letzten Jahren immer stärker durch die neucharismatischen Ideen der „geistlichen Leiterschaft“ und des (wiederum neucharismatisch verstandenen) „fünffältigen Dienstes“ herausgefordert. Beide Sichtweisen sind in Sachen Ekklesiologie und Amtsverständnis einander ausschließende Gegenpole: Auf der einen Seite wird in der Tradition des reformatorischen Prinzips des Priestertums aller Gläubigen die Gleichheit aller Gemeindeglieder betont. Dem steht auf der anderen Seite ein sehr hohes Amtsverständnis gegenüber, das sich auf ein wie auch immer, jedenfalls aber nicht demokratisch legitimiertes persönliches Amtscharisma beruft. Dieses persönliche Charisma ermögliche seinem Träger eine unmittelbare Verbindung zu Gott. Dementsprechend werden demokratische Strukturen in der Gemeindeleitung als unbiblisch abgelehnt.
Die Konfrontation beider Lager kam spätestens ab 2019 offen zum Austrag (vom Gründungspastor David Segert hatte die Gemeinde sich bereits 2015 getrennt). Damals traten nach einer Ältestenwahl zwei sich zum „klassischen FeG-Lager“ zählende Älteste zurück, da sie offenbar für sich keine Wirkmöglichkeiten gegenüber den übrigen drei Ältesten sahen, die eher die Verbindung zu Awakening Europe fördern wollten. Die Spannungen verstärkten sich, und es kam zu großen Umwälzungen. Gut 200 Personen verließen in der Folgezeit die Gemeinde, teilweise von sich aus, ein Teil wurde offenbar ausgeschlossen. Gleichzeitig kamen Menschen hinzu, die sich durch die neue Ausrichtung der Gemeinde und der Gottesdienste angezogen fühlten (aktuell hat die Gemeinde um die 270 Mitglieder). Auch die Bundesleitung der FeG schaltete sich in den Konflikt ein, um zu einer Befriedung beizutragen und zugleich auf die Einhaltung der geltenden Gemeindeordnung zu dringen. Letztlich scheint sich das neucharismatische Lager aber durchgesetzt zu haben, denn die Verbindung zu Ben Fitzgerald und Awakening Europe wurde immer enger. Anfang 2022 wurde Fitzgerald inoffiziell von den drei verbliebenen Ältesten als Teil der Gemeindeleitung und als Pastor der Gemeinde eingesetzt – ohne dass er diesen Titel offiziell geführt hätte und ohne dass er als Person auf der Homepage der Gemeinde aufgetaucht wäre. Aber immer öfter leitete er die Gottesdienste der Gemeinde, die inzwischen auf Englisch (mit Übersetzung) abgehalten wurden und deren Lobpreisteil enorm angewachsen war. Im Oktober 2022 nahm dann auch die neu gegründete „Awakening School of Ministry“ (ASM) als weiterer Zweig von Awakening Europe ihre Arbeit in den Räumen der G5 auf.4
Der Höhe- und in gewissem Sinn wohl auch der Schlusspunkt dieser Entwicklung von einer FeG zu einer von der Bethel-Theologie geprägten neucharismatischen Gemeinde war wohl die Gemeindeversammlung am 23.1.2023.5 Hier wurde eine gemeinsame Erklärung der Gemeindeleitung und der FeG-Bundesleitung über die Trennung der Gemeinde vom BFeG verlesen, zu der die Gemeindeversammlung nachträglich ihre deutliche Zustimmung aussprach.6 Außerdem wurde Ben Fitzgerald nun auch offiziell zum Pastor der Gemeinde sowie Matthias Kaufmann, der Leiter der ASM, neu in die Gemeindeleitung gewählt.
Für die einen mag diese Veränderung ein Grund zur Freude sein, da aus ihrer Sicht dem freien Wirken des Heiligen Geistes nun auch in der G5 keine Grenzen mehr gesetzt wird. Für die anderen ist es ein äußerst schmerzhafter Endpunkt einer „feindlichen Übernahme“. Denn aus ihrer Perspektive wurden die Veränderungen von nur wenigen Personen aus der ursprünglichen Gemeinde gewollt, von diesen aber mit klarem Machtbewusstsein durchgedrückt. Dem konnte sich eine große Anzahl von Gemeindegliedern letztlich nur dadurch entziehen, dass sie die Gemeinde verließ.
Die Thron-Konferenz
Ein Teil dieser Entwicklung scheint sich auch in den bisher zwei „Thron-Konferenzen“ widerzuspiegeln. Die Idee zu einem Treffen der deutschsprachigen Lobpreis-Gemeinschaft hatte Timo Langner. Er war offenbar auch der Hauptmotor dafür, dass die erste Konferenz vom 20. bis 21. Juni 2019 in den Räumlichkeiten der G5 stattfand. Die Hauptredner waren Ben Fitzgerald, Jeremy Riddle (zu ihm unten mehr) und vor allem Johannes Hartl vom „Gebetshaus Augsburg“. Wie bei einer „Konferenz“ zu erwarten, standen damals Vorträge mit Rückfragen, Podiumsdiskussionen und Workshops auf dem Programm.7
Von diesen klassischen Konferenz-Formaten war bei der Neuauflage drei Jahre später nichts mehr vorhanden.8 Aber der offensichtlichste und die Entwicklung seit 2019 deutlich zeigende Unterschied war, dass Ben Fitzgerald nun nicht mehr als ein Redner unter anderen, sondern als der Hauptverantwortliche und letztlich als Gastgeber auftrat: Die „Thron-Konferenz 2022“ war nun klar ersichtlich eine Veranstaltung von Awakening Europe, die eben in den Räumen der G5 stattfand!
Das wusste ich – es stand ja auch auf allen Plakaten und auf der Website. Aber ein großer Teil der oben geschilderten Entwicklung war mir noch unbekannt, als ich am frühen Morgen des 3. Dezember 2022 auf den Parkplatz des G5-Geländes in Eimeldingen fuhr, um am zweiten Tag der „Thron-Konferenz“ beobachtend teilzunehmen. Die Ordner – wie fast alle der vielen Mitarbeitenden in ihren 20ern und äußerst gut gelaunt und freundlich – leiteten mich zu einer Parkmöglichkeit auf dem bereits gut gefüllten Parkplatz. Den Kennzeichen der abgestellten Autos nach kamen die Konferenz-Besucher durchaus schwerpunktmäßig aus dem unmittelbaren Einzugsbereich der Gemeinde (Südbaden und die Nordwest-Schweiz); es parkten hier aber auch zahlreiche Autos aus dem Rest Baden-Württembergs und aus anderen Bundesländern (v. a. Bayern, aber auch bis hinauf nach Schleswig-Holstein) und aus Österreich.
Insgesamt nahmen an diesem Samstag etwa 500 Personen an der „Konferenz“ teil. Wenig überraschend waren die meisten davon jüngeren Alters (bis Mitte 30). Für mich eher unerwartet war dagegen die deutlich wahrnehmbare Zahl der Menschen über 50 unter den Personen, die sich im großen Auditorium versammelten: in einem Raum mit Platz für über 800 Menschen, vorne die Bühne, die Leinwand im Hintergrund, umgeben von einer professionellen Lichtanlage, auf der rechten Seite ein großes Holzkreuz, zwischen Bühne und der ersten Sitzreihe eine ca. fünf Meter tiefe, mit Teppichen belegte Fläche. Über die Leinwand lief eine Dauer-Pausenpräsentation mit Informationen zur Tagung, mit der Aufforderung, Zeugnisse an die Veranstalter zu schicken, wie man während der „Thron-Konferenz“ von Gott berührt worden sei, und mit einer Spendenaufforderung unter dem einprägsamen Motto „To reach millions … it takes millions“.
Und dann ging es los – mit einer Art Entschuldigung! Ben Fitzgerald kam auf die Bühne und sagte, dass er es als seine „pastorale Aufgabe“ ansehe, gleich zu Beginn des zweiten Tages eine Erklärung und Entschuldigung abzugeben. Die „Worship Night“ am Abend zuvor sei nämlich so „powerful and wild“ gewesen.9 Er wisse, dass das Schreien und die Zuckungen der Geisterfüllten manche Anwesenden überfordern könnten – aber so sei es eben, wenn der Heilige Geist machtvoll wirke. Immerhin sei ein 20-Jähriger an diesem Abend unter Zuckungen von einem Kopfwehdämon geheilt worden. Er sei sicher, dass der Heilige Geist auch heute mit seiner Macht gegenwärtig sein und wirken werde. – Die Erwartungen waren geweckt.
Geplant waren für diesen Tag vier „Sessions“. Als Sprecher angekündigt waren neben Timo Langner, dem oben erwähnten Lobpreisleiter der G5 und Gründer der „Thron-Konferenz“, Chris Pöschl, der Leiter der Wiener „4 Corners Christian Fellowship“, Joy und Markus Fackler vom „Gebetshaus Augsburg“ sowie – als Hauptredner – Jeremy Riddle. Letzterer, derzeit Lobpreis-Pastor in einer Vineyard-Gemeinde in Südkalifornien,10 scheint ein enger Wegbegleiter von Ben Fitzgerald und Awakening Europe zu sein. Er war mit Fitzgerald zeitgleich ab 2009 in der Bethel-Church in Redding, wo er das Lobpreis-Team mitleitete, und in den letzten Jahren war er bei jeder größeren Awakening-Europe-Veranstaltung dabei. Außerdem ist er (laut Fitzgerald) „der schönste Lobpreisleiter der Welt. Nur Jesus ist noch schöner.“
Alle genannten Personen kamen im Folgenden auch zu Wort, allerdings nicht im Rahmen der angekündigten vier Sessions. Man konnte an diesem Tag in gewissem Sinn eine konsequente Umsetzung neucharismatischer Theologie erleben: Wenn der Heilige Geist einem einen „Eindruck“ schenkt, dann handelt man auch danach! Und wenn das die Planungen durchkreuzt, dann ist das eben so. Offenbar sprach der Heilige Geist an diesem Tag viel in den Menschen auf der Bühne. So dauerte die erste Session statt zweieinhalb Stunden gute vier, nicht zuletzt weil Jeremy Riddle im Gespräch mit Ben Fitzgerald den „Eindruck“ bekommen hatte, dass der Geist nun besonders stark im Raum wirke und dass viele Menschen hier und jetzt ihr Leben an Jesus übergeben sollten. Also forderte er sie auf, nach vorne zu kommen und genau das zu tun. Auch das Panel-Gespräch am Nachmittag (Ersatz für zwei ursprünglich geplante Sessions) mündete in eine solche spontane Phase der Lebensübergaben. Riddles Predigt beim abschließenden Gottesdienst am Abend wich ebenfalls vom Geplanten ab. Wie er erzählte, habe er am Nachmittag den „tiefen Eindruck“ bekommen, dass ein anderes als das vorbereitete Thema „eigentlich dran wäre“. Er habe das im Gebet mit dem Heiligen Geist besprochen, und dieser habe ihm daraufhin die Erlaubnis erteilt, darüber zu reden. Und so schloss die „Konferenz“ mit einer – laut Riddle vom Geist höchstselbst autorisierten! – Predigt über die Geistliche Kriegsführung.
Im Folgenden sollen nun schlaglichtartig vier Eindrücke (nicht im neucharismatischen, sondern im normalsprachlichen Sinn des Wortes) von der „Thron-Konferenz“ geschildert werden. Damit wird natürlich nicht der Anspruch erhoben, ein objektives oder umfassendes Bild der „Konferenz“ als Ganzer zu zeichnen. Vielmehr handelt es sich um subjektive Kristallisationspunkte der persönlichen Erinnerung.
Eindruck 1: Wofür man Buße tut
Die „Awakening School of Ministry“ spielte während der „Thron-Konferenz“ nur im Hintergrund eine Rolle, u. a. dadurch, dass der Kaffee-Ausschank und die Verteilung der vorbestellten Speisen von Studierenden der Schule übernommen wurden. An einer Stelle ging Ben Fitzgerald aber doch auf die neugegründete Schule ein und machte Werbung für die nächste Runde der Ausbildung. Er schilderte, was für beeindruckende Gottesdienste mit den Studierenden gefeiert und wie weit sie sich in ihrem geistlichen Leben entwickeln würden. Zur Illustration erzählte er von einem Gottesdienst, bei dem zur Buße und zur Lebensübergabe an Jesus aufgerufen worden sei. Im Anschluss hätten sich viele Studierende noch stundenlang am Kreuz versammelt, hätten Buße getan und sich von ihren Sünden losgesagt. Fitzgerald nannte dann drei Beispiele, wofür Menschen Buße getan und wovon sie sich losgesagt hätten. Sie sollen hier unkommentiert wiedergegeben werden, sie sprechen für sich: Eine Person sei pornosüchtig gewesen, eine andere habe einen Widerspruch gegen ihren Gemeindeleiter gehabt, eine dritte habe Zorn gegenüber ihrem Ehemann empfunden.
Eindruck 2: Mäßigung unerwünscht
2019 war Johannes Hartl der Hauptredner auf der „Thron-Konferenz“. Auch 2022 war das „Gebetshaus Augsburg“ bei der Veranstaltung präsent, wenn auch weniger prominent, nämlich über die Musiker Joy und Markus Fackler. Beim Panel-Gespräch schienen sie die Stimme der Mäßigung und Kontextualisierung zu sein. So schilderte Markus Fackler eindrücklich, dass es für ihn bei aller großen Liebe für den Lobpreis wichtig sei, Kontexte zu beachten und auf die anwesenden Menschen Rücksicht zu nehmen. Wenn er gebeten werde, etwa im Kontext einer katholischen Messe Musik zu machen, so achte er sehr darauf, die Gottesdienstbesucher nicht zu überfordern und damit womöglich abzuschrecken. Vielmehr wolle er sie sanft an diese Form des Gotteslobs heranführen. Vom Publikum wurde diese Äußerung unkommentiert zur Kenntnis genommen. Nicht so von Vincent Lang, dem „Worship Director“ von „Awakening Music“, der ebenfalls auf dem Podium saß. Sinngemäß sagte er, dass Jesus selbstverständlich immer zuerst kommen müsse. Und wenn der Heilige Geist einem etwas sage, dann müsse man das machen – direkt und ohne Wenn und Aber, egal, was irgendwelche Menschen sagten oder dächten. Rücksicht auf solche Dinge sei völlig falsch. Die Reaktion des Publikums: stürmischer Applaus und „Amen“-Rufe.
Eindruck 3: Die „deutsche Kultur“ als Problem für den Geist
Zum Fragenkreis Anpassung und Rücksicht gehört auch ein Thema, das im Verlauf des Tages von Ben Fitzgerald und Jeremy Riddle, aber auch von Chris Pöschl wiederholt als ein Grundproblem für die angestrebte Erweckung herausgestellt wurde: die „deutsche Kultur“. Diese mache es dem Heiligen Geist besonders schwer, frei zu wirken. Im deutschsprachigen Bereich sei offenbar die „Menschenfurcht“ (fear of men) besonders stark ausgeprägt – jedenfalls stärker als die Gottesfurcht. Es bestehe von daher eine erhöhte Gefahr, die Impulse des Heiligen Geistes zu ignorieren oder gar zu unterdrücken, aus Angst davor, sich vor anderen Menschen zu blamieren. Dementsprechend rief Fitzgerald immer wieder dazu auf, auf die als Wirken des Geistes verstandenen inneren Impulse zu hören; zu schreien oder wild zu tanzen, wenn der Geist es wolle, ganz gleich, was andere darüber denken könnten.
In Deutschland und Österreich herrsche außerdem eine problematische Tendenz zur Selbstkritik, so die Analyse von Chris Pöschl. Das führe dazu, nicht annehmen zu können, was Gott für die Menschen bestimmt habe. Immer noch hänge die Rede von den „vaterlosen Nationen“ über beiden Ländern.11 Dabei treffe das überhaupt nicht zu, sondern sei eine Lüge des Feindes. Denn in Wahrheit hätten ja alle einen Vater im Himmel. Der Geist der Verwaistheit (spirit of orphanhood) sei gerade in der Kirche zu bekämpfen, denn „Waisen lassen Waisen heranwachsen; Söhne aber Söhne“ („Orphans raise orphans. Sons raise sons“).
Kultur sei auch generell ein Problem, so Riddle in seiner Predigt. Es gelte immer zu unterscheiden, was Gottes ursprüngliches „Design“ für eine Nation (oder eine Person) sei, also das, wofür sie von Gott bestimmt sei. Der Teufel nehme dieses Design und verfälsche es. Da die ganze Welt aber unter der Herrschaft des Teufels stehe, gelte das auch für die jeweiligen Nationalkulturen. Sie dächten, dass sie frei seien. In Wahrheit seien sie (laut der Schrift) aber alle versklavt. Mit einem Wort: eine nicht vom Heiligen Geist gesteuerte Kultur wurde von Riddle generell als Erscheinungsform des Widergöttlichen eingestuft.
Eindruck 4: Geistliche Kriegsführung
Weil überall in der Welt dämonische Kräfte herrschten, predigte Riddle, sei es so wichtig, auch die göttlichen Gegenkräfte zu sehen: das „geistige Reich“ (spiritual realm). Wer für dieses keinen Blick habe, sei blind für die echte Realität. In dieser Realität tobe eine geistige Schlacht um die Seelen und Körper der Menschen. Immer und immer wieder hob er hervor, dass gerade ein Krieg wüte („a war is raging“). Dabei war es für mich faszinierend und zugleich zutiefst befremdlich, mit welcher durch und durch martialischen Sprache der Prediger fortwährend über Krieg reden konnte, ohne dabei irgendwie substanziell auf den faktischen Krieg in Europa einzugehen. Lediglich am Rande erwähnte er ihn an einer Stelle, aber auch nur, um das sofort wieder zu relativieren. Denn die Schlachten in der materiellen Welt seien letztlich unwichtig und eine Folge des eigentlich relevanten Kampfes in der geistigen Welt!
Die Gemeinde / Kirche ignoriere diesen Kampf in weiten Teilen, obwohl die Mächte des Bösen, die Dämonen, überall anwesend seien, ebenso wie die Engel Gottes. Die Aufgabe der Gemeinde sei es aber, in diesem Kampf zu kämpfen. Dabei habe gerade der Lobpreis eine besondere Funktion. Denn „wenn wir ein Lobpreislied singen, dann erzeugen wir eine Lichtsäule gegen die Dunkelheit. Es ist ein Kriegsschrei.“ Dementsprechend sei es die Aufgabe der Lobpreisleiter, die Stimmen der anwesenden Gemeinde zu einem derartigen, möglichst kraftvollen Kriegsschrei zu vereinen und damit einen wirkungsvollen Beitrag im Kampf gegen das Böse und den Bösen zu leisten.
Resümee
Die „Thron-Konferenz“ war als Konferenz der deutschsprachigen Lobpreis-Gemeinschaft gedacht. Dieses Ziel wurde weniger durch Reflexion über den Lobpreis als vielmehr durch seinen Vollzug verfolgt. Vorträge im herkömmlichen Sinne gab es ebenso wenig wie Workshops. Redebeiträge liefen, wenn sie nicht von vornherein Predigtcharakter hatten, immer wieder darauf hinaus, den eigenen Glauben und Gottes Wirken im eigenen Leben zu bezeugen und die Teilnehmenden zur Lebensübergabe hier und jetzt aufzurufen.
Ein großer Teil der „Konferenz“ war aber dem worshipping selbst vorbehalten. Die erste längere Lobpreis-Phase dauerte eine gute Stunde, der worship vor der Predigt deutlich über zwei Stunden. Dabei war die Qualität der musizierenden Bands hoch, die optische „Untermalung“ mit Lichtshow und Fahnentanz sehr professionell. Wen diese Art von auf durch unendliche Wiederholungen erzeugte Emotionalisierung bauende christliche Popmusik anspricht, der mag hier tatsächlich etwas Tieferes gespürt haben. Er mag auch innerlich mitvollzogen haben, was nach Timo Langner (deutlich weniger martialisch formuliert als bei Riddle) die Aufgabe des Lobpreises ist: dass er die Gemeinde vor den Thron Gottes, in dessen Gegenwart führt. Bemerkenswert war für den unvertrauten Beobachter, wie individuell unterschiedlich dieses In-die-Gegenwart-Gottes-Geführtwerden offenbar funktioniert. Während die einen beim worship begeistert tanzten und mitsangen, blieben andere auf ihren Sitzen zurückgelehnt, beschäftigt mit ihren Smartphones. Insgesamt boten die Lobpreis- und vor allem die Lebensübergabe-Phasen aber die zu erwartende enthusiastische Intensität, mit typisch neucharismatischen Phänomenen wie Zungenreden, Schreien, unkontrolliertem Lachen und vereinzelt auch „Ruhen im Geist“.
Inhaltlich bleiben für den theologischen Beobachter landeskirchlicher Prägung viele Fragezeichen – nicht zuletzt hinsichtlich der immer wieder anklingenden Überhöhung der Rolle der eigenen Bewegung im Heilsplan Gottes. Ob die Christenheit in Europa aber nun ausgerechnet mit Awakening Europe und im Besonderen mit der Thron-Konferenz die „Kurve gekriegt hat“ und man die Auswirkung davon noch in Generationen spüren wird, wie es Ben Fitzgerald im Geist gespürt zu haben meint, muss die Geschichte zeigen. Ebenso wird sie zeigen, welche Bedeutung der „Konferenz“ in der Historie von Awakening Europe zukommen wird. Bislang war es eine Station auf dem Weg, der Ben Fitzgerald vom Großevent im Nürnberger Grundig-Stadion 201512 nach sieben Jahren der „Erweckung Europas“ zur neuen Rolle als Pastor einer ehemaligen FeG-Gemeinde in Eimeldingen geführt hat. Man darf gespannt sein, wie es weitergeht.
Andreas Oelze, Stuttgart, 01.03.2023
Anmerkungen
- Vgl. https://diemusikmeinerkirche.de (Abruf aller angegebenen Internetseiten: 23.2.2023). Timo Langner beschreibt im Podcast-Interview von Jennifer Pepper seine Sicht darauf, wie die Gemeinde zu dieser Zeit war und welche Entwicklung seitdem stattgefunden hat (vgl. www.youtube.com/watch?v=s0pwXIyqBns, v. a. ab 16:55).
- Er wird weiterhin auf der Homepage von Bethel als Missionar geführt (vgl. www.bethel.com/missionaries), auch wenn auf der Homepage von „Awakening Europe“ selbst Bethel lediglich unter den „Partner Ministries“ auftaucht.
- Vgl. die weiterhin gültige Gemeindeordnung der G5 unter https://g5meinekirche.de/wp-content/uploads/2015/04/Gemeindeordnung_G5_2015.pdf.
- Vgl. https://awakeningeurope.com/school.
- Hierüber wurde auch in einem Artikel der Badischen Zeitung vom 4.2.2023 berichtet, https://tinyurl.com/nhacyrz4.
- Laut Berichterstattung in der Badischen Zeitung wurde die Abstimmung vonseiten eines Ältesten so eingeleitet, dass der Begriff „Wahl“ ohnehin unpassend sei, da es darum gehe, das zu tun, was vom Heiligen Geist vorbereitet worden sei. Vgl. https://tinyurl.com/2p8jyp5s. IDEA hat ebenfalls kurz über die Trennung berichtet (https://tinyurl.com/mrythxxn) und inzwischen auch einen Artikel aus der Sicht der aktuellen Gemeindeleitung veröffentlicht (https://tinyurl.com/52m4an4y).
- Unter www.cvents.eu/de/thron-2019-eimeldingen-20062019 ist das Programm der Konferenz 2019 noch abrufbar. Auf YouTube finden sich Videos zu den Vorträgen und Work-shops, www.youtube.com/@slingshotmusic8986/featured – anders als bei der Thron-Konferenz 2022, von der ich keine Videos finden konnte, obwohl durchgehend mindestens drei Kameras im Einsatz waren.
- Wegen Corona konnte die Konferenz erst 2022 wieder in dieser Form durchgeführt werden. Die Konferenz 2020 war offenbar schon geplant, konnte dann aber nicht stattfinden.
- Die Konferenz war zweisprachig, Englisch und Deutsch. Dabei dominierte Englisch als Sprache der meisten Redner. Beide Sprachen wurden unmittelbar übersetzt.
- Vgl. www.jeremyriddle.com/about.
- Dieser Ausdruck bezieht sich eigentlich auf die Nachkriegsgeneration, in der viele Kinder ohne Väter aufwachsen mussten (vgl. Alexander Mitscherlich: Auf dem Weg zu einer vaterlosen Gesellschaft. Ideen zur Sozialpsychologie, 1963). Wieso das für die heutige junge Generation relevant sein soll, ist nicht wirklich ersichtlich – außer man geht von einer Art spiritueller Vererbung aus, wie sie immer wieder im neucharismatischen Kontext vertreten wird.
- Vgl. dazu Reinhard Hempelmann: Erweckungsprophetien über Europa („Awakening Europe“), in: MdEZW 78/9 (2015), 350 – 352. Der Bericht schließt mit der skeptischen Notiz: „Nur Erinnerungslosigkeit im Blick auf das gestern und vorgestern Prophezeite ermöglicht es, den bevorstehenden Anbruch einer pfingstlichen Erweckung erneut anzusagen. In Europa haben sich solche Ansagen längst an der Realität verschlissen.“