Die Holofeeling-Neuoffenbarung
Seit Beginn des Jahrtausends präsentiert sich im Internet die Seite www.holofeeling.de. Hinter dieser griechisch-englischen Wortschöpfung, die sich aus holon (Ganzes, das Teil eines anderen ist) und feeling (das Fühlen) zusammensetzt, verbirgt sich eine umfangreiche „Theorie für ALLES“, in der „ALLE religiösen und naturwissenschaftlichen Wissens- und Wahrnehmungselemente Deiner Menschheit widerspruchslos eine mathematische Synthese eingehen“ (Holofeeling, Bd. 3, 581).
Als Übermittler dieser mit einem hohen Eigenanspruch versehenen Neuoffenbarung fungiert der inzwischen fünfzigjährige Udo Petscher aus Weißenburg/Bayern. Im Internet stehen inzwischen knapp 2000 Seiten Holofeeling-Material zur Verfügung, dessen Lektüre eine Herausforderung in des Wortes umfassender Bedeutung darstellt. Petscher äußert sich zu Mathematik, Physik, Sprachwissenschaft, Religion und Mythologie in einer Weise, die Erstaunen, Abwehr, Entrüstung, aber auch Bewunderung hervorrufen kann. Die Texte sind prall gefüllt mit naturwissenschaftlichen, philosophischen und judaistischen Informationen. Sie dienen Petscher als Vorlage zur Konzipierung eines eigenen Welterklärungsmodells, das von einem dezidiert idealistischen Standpunkt ausgeht, der an Berkeley und den amerikanischen Transzendentalismus erinnert, aber auch Anklänge an den New-Age-Holismus bietet. Eigentümlich ist die Transkribierung deutscher Worte in das Hebräische und die darauf folgende kabbalistische Aufschlüsselung der Begriffe. Dadurch ergeben sich völlig neue Sinnkontexte, die durchaus plausibel sind, wiewohl sie von der gebräuchlichen Wortbedeutung meist stark abweichen.
Bis dahin könnte das Holofeeling-Projekt als abwechslungsreiches Sprachspiel gelten, wenn Udo Petscher nicht mit dem hohen Anspruch aufträte, all dieses Wissen habe ihm, dem Mann mit Volksschulbildung und Elektrikerlehre, Gott selbst in den Jahren 1996 bis 1999 offenbart. Ein kurzer Abschnitt aus dem zweiten Holofeeling-Band mag das Selbstbild Petschers verdeutlichen, wenn er Gott sagen lässt: „Er (Udo Petscher, R. B.) trägt ‚in sich’ mein gesamtes ‚apodiktisches Wissen’. Er ist mein Sohn! Er ist es, der von mir ‚das göttliche Siegel’ erhielt. Er ist der ‚einzig wirkliche Menschensohn’ in der von Dir wahrgenommenen Welt, in der es – wie schon gesagt – von Anti-Christen und ‚falschen Messiassen’ nur so wimmelt. Würden sich in Deiner Welt alle Gelehrten ‚zusammen’ tun, besäßen sie nicht annähernd seine ‚Weisheit’.“ (Holofeeling, Bd. 2, 431)
Petscher ist sich dessen bewusst, dass solcherart maßlose Selbstqualifizierung Unmut hervorruft. Er greift den nahe liegenden Verdacht der paranoiden Größenidee auf, wenn er sich in häufiger Folge zum Verrücktsein im Sinne des Abgerücktseins von einer falschen Wirklichkeit äußert und somit dem Argument die Spitze abzubiegen versucht.
Den geistreichen Holofeeling-Texten würde es nicht gerecht, sie durch eine Pathologisierung ihres Schreibers zu widerlegen. Sie verdienen eine ernsthafte Betrachtung, die allerdings noch aussteht. Dazu gehören Kontakte mit Udo Petscher selbst und seinem kleinen Anhängerkreis, der sich bei ihm zu Hause oder einmal jährlich in Almena bei Minden anlässlich einer Tagung versammelt. Unklar bleibt die Wirkung, die Udo Petscher auf seine Anhängerschaft ausübt. Er reklamiert immer wieder, weder Guru zu sein noch eine Religion stiften zu wollen und erst recht nicht kommerzielle Interessen zu haben.
Robert Berghausen, Köln