Andreas Fincke

Die Kabbalah-Zentren

Technologie für die Seele

Jede Zeit hat ihre Zauberworte. In ihnen verdichten sich die Sehnsüchte einer Epoche. „Macht“ (power) ist ein solches Zauberwort unserer Tage, aber auch „Energie“, „Kraft“ („Heil-Kraft“) usw. Man kann die Faszination dieser Zauberworte noch erhöhen, wenn man sie in Verbindung mit Formeln bringt, die religiösen Zusammenhängen entnommen sind und, besser noch, an vermeintlich religiöses „Urwissen“ anknüpfen (wollen). So weckt das „Wissen der Schamanen“ sogleich Interesse, für die „Heilkraft der Steine“ werben inzwischen sogar Drogeriemärkte und selbst im kirchlichen Kontext gehört die Reise zu „magischen Kraftplätzen“ gelegentlich zum Seniorenprogramm.

In den USA erlebte kürzlich eine Bewegung Zulauf, die einige solcher Zauberworte miteinander verbindet, nämlich „Power“, „Urwissen“ und „Kabbalah“. Und so wundert es nicht, dass in nahezu allen großen Buchhandlungen in den USA in den Abteilungen für Religion oder Spiritualität zahlreiche Bücher ausliegen, die um das Thema Kabbalah kreisen. Beim genaueren Hinsehen merkt man schnell, dass es hier nicht um die klassische, jüdische Kabbalah geht, sondern vielmehr um eine neuartige Adaption kabbalistischer Elemente durch den Zeitgeist. So ist fraglich, ob man diese Publikationen überhaupt noch jüdischer Religion und Philosophie zuordnen soll oder nicht eher dem Kontext esoterisch verbrämter Lebenshilfe. Da fast alle Moden, Trends und religiösen Ideen aus Amerika früher oder später auch in Westeuropa und Deutschland Einfluss gewinnen, lohnt ein Blick auf die genannten Publikationen und die dahinter stehende Organisation.

Familie Berg und die Kabbalah-Zentren

Autor der wichtigsten und mit Abstand auflagenstärksten Bücher aus dem Umfeld der „neuen Kabbalah“ ist Yehuda Berg. Sein Hauptwerk „The Power of Kabbalah“ erschien bereits im Sommer 2003 auf Deutsch („Die Macht der Kabbalah. Von den Geheimnissen des Universums und der Bedeutung unserer Leben“), im März 2005 folgte die Übersetzung von „The 72 Names of God“ („Die 72 Namen Gottes. Technologie für die Seele“).

Im erstgenannten Buch führt der Autor nicht nur in das neue, besondere Verständnis der Kabbalah ein, sondern wirbt zugleich recht unverblümt für die Organisation der „Kabbalah-Centres“. Weltweit gibt es derzeit etwa 50 solcher Zentren, z.B. in New York, Los Angeles, London, Paris, Moskau, Tel Aviv u.a. Das erste wurde 1969 in Tel Aviv eröffnet. Das „Kabbalah-Centre“ versteht sich als „die führende Lehrorganisation, welche kabbalistisches Wissen anbietet“.1 Es werden Seminare, Kurse, Workshops, aber auch private Unterrichtsstunden angeboten. Im Frühjahr 2003 öffnete in Hannover das erste deutsche „Kabbalah-Centre“ seine Pforten, derzeit ist man dabei, die Arbeit nach Berlin zu verlegen.

Leiter und unumstrittene Autorität der weltweiten Organisation ist seit 1969 Rav Berg, der Vater des erwähnten Yehuda Berg. Rav Berg, genauer Dr. Philip S. Berg (eigentlich Feivel Gruberger) hat alle Lehrkräfte der Kabbalah-Centres persönlich initiiert. In den Publikationen der Kabbalah-Centres erfährt man erstaunlich wenig Konkretes über ihn. Berichtet wird lediglich: Er wurde in New York geboren, wuchs in einer jüdischen Familie „mit langer rabbinischer Tradition“ auf und begegnete 1964 seinem Meister, Rabbi Jehuda Zwi Brandstein (1904-1969). Dieser soll Philip S. Berg in der Kabbalah unterwiesen haben und ihn so zum „einflussreichsten Kabbalisten seiner Generation“ gemacht haben.2

Gemeinsam mit seiner Frau Karen hat Philip S. Berg sich der Aufgabe verschrieben, die Kabbalah als eine Quelle spirituellen Wissens „für die gesamte Menschheit zu öffnen“ und sie damit aus der Tradition eines jüdischen Geheimwissens herauszulösen. Und genau hier liegt ein Schlüssel zum Verständnis dieser neu kreierten Kabbalah: Während die klassische Kabbalah eine esoterische Geheimlehre war, die gerade nicht jedermann offen stand und deren wichtigstes Buch, der „Sohar“, nur von frommen jüdischen Männern eines bestimmten Alters gelesen werden durfte, machen Bergs Zentren die Kabbalah auch Nichtjuden zugänglich und popularisieren die Kabbalah so bis zur Unkenntlichkeit.

In „Die Macht der Kabbalah“ schreibt Yehuda Berg über seine Eltern: „Rav Berg und seine Frau Karen brachen mit der zweitausendjährigen Tradition und dem religiösen Dogma, indem sie jedem ernsthaft Interessierten das Wissen und die Weisheit der Kabbalah zugänglich machten.“3 Dieser Schritt hatte jedoch seinen Preis: „Wie die meisten Kabbalisten in der Geschichte mussten auch sie physische Gewalt, verbale Attacken radikaler Fanatiker und großes seelisches Leid hinnehmen. So wurden sie von jenen angefeindet, die die Geheimnisse der Kabbalah unbedingt einem breiteren Publikum vorenthalten wollten (...).“4 Nun jedoch, da die beiden „die alten Schatzkammern der Kabbalah für die breite Masse öffneten, haben Menschen überall auf der Welt Gelegenheit zu begreifen, warum wir hier auf Erden weilen, wie wir hierher kamen und wie wir Schmerz und Leid, Qual, Furcht und Chaos aus unserem eigenen Leben bannen können. Das Geheimnis ist endlich gelüftet (...)“.5 Bereits in der Einleitung hatte Berg festgestellt: „Große Opfer mussten gebracht und viel Leid musste ertragen werden, damit ein Buch dieses Formats bis zu uns vordringen konnte.“6

Schlichter Dualismus

Das sind große Worte. Dabei ist der weltanschauliche Ansatz recht einfach: In „Die Macht der Kabbalah“ findet sich folgende anthropologische Herleitung: Der Mensch ist ein Wesen voller Wünsche, Begierden und Bedürfnisse. Das oberste Ziel all unserer Wünsche aber ist „die immer währende Glückseligkeit“7. Warum nun kann der Mensch das immer währende Glück nicht finden? Berg hat dafür folgende Erklärung: Zwei einander widerstrebende Kräfte beherrschen uns. Man könnte sie als die Kraft des Guten und des Bösen bezeichnen, Berg spricht von „LICHT“ und „Satan“. „Jeder Gedanke, der laut und kristallklar ist und uns zu irgendeiner Reaktion drängt, ist Satans Konstrukt. Jeder Gedanke, der uns suggeriert, dass wir die Architekten unseres eigenen Glücks seien und etwas besser könnten als andere, ist die Stimme Satans. (...) Ist ein Gedanke kaum vernehmbar wie eine leise Flüsterstimme aus den hintersten Winkeln unseres Geistes, so handelt es sich um den Gesang des LICHTS.“8 Man könnte also sagen: „Satansgedanken manifestieren sich als unsere rationalen, logischen Geistes- und Egohaltungen. LICHT-Emanationen manifestieren sich als Intuition, Träume und eine sublime, leise Stimme im Hintergrund unseres Geistes.“9 Damit präsentiert Yehuda Berg Überlegungen, wie sie nicht viel anders auch in der postmodernen Alltagsesoterik vorkommen: Das Böse, das Lebensfeindliche, das Männliche und Religiös-Institutionalisierte begegnet uns in der Wissenschaft, im rationalen Denken, in der historisch-kritischen Exegese und in allen Strukturen der Macht. Die positiven und lebensbejahenden (weiblichen) Kräfte begegnen uns hingegen im Intuitiven, in der „gefühlten Religion“, in den subtilen, leisen Geschichten „weiser Frauen“, in Träumen und Phantasien.

Das Kabbalah-Centre organisiert inzwischen in zahlreichen Städten der Bundesrepublik Einführungsseminare. Die Struktur der Veranstaltungen ist oftmals ähnlich: Auf die rhetorische Frage, warum das Leben nicht hinreichend gelingt und häufig „chaotisch“ ist, folgt die wenig originelle Antwort, dass wir zu seiner Gestaltung Ordnungen oder Regeln benötigen, die wir fatalerweise zumeist nicht kennen. Mit den Werkzeugen der Kabbalah aber können wir lernen, alles zu erreichen. Kabbalah bedeute schließlich nichts anderes als „empfangen“. Und das alles ganz ohne Risiko: Vor einigen Jahren wurde mit der Schlagzeile „Erfolg ohne Nebenwirkungen“ geworben. In einem Gespräch betonte der Leiter des Zentrums in Hannover, dass es in erster Linie um aus der Kabbalah gewonnene Erkenntnisse geht, die zu einem besseren Leben verhelfen sollen.10 Man könnte diese Erkenntnisse auch als eine Art „Urwissen“ bezeichnen, dessen Spuren in allen Religionen zu finden sind. Kabbalah sei also „die Quelle aller Religion“, die dem modernen Menschen nun neu zugänglich gemacht werde. In „Kabbalistic Astrology“ schreibt Berg sogar, dass die Kabbalah allen Religionen vorausgehe und folglich auch nicht Teil der jüdischen Religion sei: „Kabbalah ist die älteste Tradition der Geheimlehren. Vom Anbeginn der Schöpfung an wurde sie direkt von Gott an Adam, Abraham, Sarah, Rachel, Moses und andere biblische Urväter und Urmütter weitergegeben. Die Kabbalah geht jeder Religion oder säkularen Organisation voraus. Sie ist das Erbe und das Geburtsrecht der ganzen Menschheit.“11

Man wird nicht müde zu wiederholen, dass Kabbalah keine Religion sei, sondern eine Art Weisheitslehre: „Es gibt Chaos auf persönlicher Ebene und auf globaler Ebene. Der Mensch glaubt, Chaos sei ein Naturgesetz. Die Kabbalah lehrt jedoch, dass der Mensch eine andere Natur in sich hat. Nämlich eine schöpferische Natur. Und sich mit dieser schöpferischen Natur zu verbinden, das ist, was Kabbalah lehrt. Unser Ziel ist es, das Chaos zu eliminieren – das ist das Ziel der Kabbalah. (...) Ich will mein Leben verbessern. Ich will bessere Qualität, ich will mehr Kontrolle über mein Leben haben und nicht abhängig sein.“12

Die „Magie“ des Hebräischen

In dem bisher nur auf Englisch vorliegenden Büchlein „The Red String Book“ verneint Yehuda Berg den religiösen Charakter der Kabbalah, wie er sie versteht, erneut ganz entschieden: „The biggest misconception people have about Kabbalah is that it’s some sort of religion. Completely false! Totally untrue. Kabbalah is not a religion. (...) Kabbalah is a technology.“13

Beim Betreten eines Kabbalah-Zentrums fallen die vielen hebräischen Schriftzeichen an den Wänden auf. Überhaupt spielen die hebräische Sprache und die hebräischen Buchstaben eine besondere Rolle. Yehuda Berg erklärt, dass die 22 Buchstaben des hebräischen Alphabets „Instrumente der Kraft“ seien, mit „universeller Wirkung“ und „allumfassender Reichweite“.14 Von den Schülern der Kabbalah wird das Studium des Hebräischen jedoch nicht erwartet. Man ist der Überzeugung, dass die Buchstaben ihre geheimnisvollen Kräfte auch so entfalten und selbst auf jemanden wirken, der dieser Sprache nicht mächtig ist und die Buchstaben nur mit seinen Augen erfasst: „Viele von uns können vielleicht gar kein Hebräisch lesen. Lässt ein solches Hindernis die Macht der Buchstaben unwirksam werden? Nicht im Entferntesten! (...) Die Seele nämlich erkennt die Kräfte der Schöpfung, wie sie durch die hebräischen Buchstaben zum Ausdruck kommen. Für all jene, die im Hebräischen nicht zu Hause sind, gibt es eine sehr erfolgreiche Strategie, nämlich die emanierenden Energien durch einfachen Augenkontakt zu erfassen, ähnlich wie beim Scannen.“15 Die Verwendung des Begriffs „scannen“ verdeutlicht den technizistischen Charakter von Bergs Kabbalah-Verständnis. Es geht nicht um Verstehen, Erfassen oder Begreifen im traditionellen Sinn, sondern um eine Art magische Aufladung schon beim flüchtigen Hinüberstreifen mit den Augen. Die hebräischen Buchstaben vermögen dabei nicht nur spirituelle Kräfte zu entfalten, sie haben auch die Fähigkeit, „aus heißblütigen Tyrannen ausgeglichene, mitfühlende Wesen“ zu machen, und sie können Heilung, Wohlbefinden und „finanzielles Auskommen“ bewirken.16 Menschen in einem Raum seien vor negativen Kräften schon geschützt, wenn dort ein Exemplar des „Sohar“ vorhanden ist. Eine besondere Macht wird den „72 Namen Gottes“ zugeschrieben. So wird behauptet, Moses habe sich bei der Teilung des Roten Meeres einer ungeheuer mächtigen spirituellen Technik bedient – eben jener Namen Gottes, oder, wie Yehuda Berg sie nennt, jener „Hi-Tech-Werkzeuge“.17

Auch die für das Judentum zentrale Erwartung eines Messias wird im Kabbalah-Centre umgedeutet und auf die eigene Organisation bezogen. In der Zeitschrift „What is Enlightenment?“ ist ein Interview mit Yehuda Berg wiedergegeben. Auf die Frage „Basiert das Konzept des Kabbalah Centre von einem Messias auf der traditionellen Vorstellung, dass ein einzelner Erlöser uns irgendwann in der Zukunft retten wird?“ antwortet er: „Nein, ganz und gar nicht. Messias nennen wir eine kritische Masse von Menschen, die erleuchtet sind. Das ist es, was wir mit dem Kabbalah Centre erreichen wollen: eine kritische Masse von Positivität und Erleuchtung, die das Universum transformieren wird. Wenn zwei Menschen erleuchtet sind, geschieht keine große Veränderung. Aber was wäre, wenn eine Milliarde Menschen erleuchtet wäre?“18 Was für ein Anspruch! Die Kabbalah-Centres werden den Messias hervorbringen und den ewigen Frieden ermöglichen.

In das Blickfeld der Öffentlichkeit sind die Kabbalah-Centres gelangt, weil zahlreiche Prominente aus der Pop- und Filmbranche mit deren Gedankengut liebäugeln: David und Victoria Beckham, Demi Moore, Barbra Streisand, Winona Ryder, Gwyneth Paltrow, Elizabeth Taylor, Goldie Hawn, Paul Newman, Courtney Love, Naomi Campbell und vor allem Madonna sollen damit sympathisieren.19 Madonna wurde zur attraktivsten Fürsprecherin der Kabbalah-Centres, sie nennt sich jetzt Esther und plant ihre öffentlichen Auftritte inzwischen so, dass sie keinen Termin im Kabbalah-Centre verpasst. Das Londoner Kabbalah-Centre ist das größte seiner Art in Europa. Es soll mit 5 Millionen US-Dollar von Madonna mitfinanziert worden sein. Einen noch größeren Betrag soll die Pop-Ikone zur Gründung eines Kabbalah-Centres für Kinder in Manhattan gespendet haben.

Modeaccessoires und der Streit um Geld

Man geht davon aus, dass es weltweit ca. 3,5 Millionen Anhänger bzw. Sympathisanten der Kabbalah-Centres gibt. Vermutlich liegt dieser Zählung die Gesamtzahl derer zugrunde, die bisher einen Einführungsabend besucht haben. Tatsächliche Anhänger im eigentlichen Sinne dürfte es weit weniger geben.

Zweifellos spielen die genannten Prominenten und das daraus folgende Medieninteresse bei der Werbung für die Kabbalah-Centres eine große Rolle. Dabei scheut man selbst vor plakativen Aktionen nicht zurück: So tragen die Anhänger (gut sichtbar) ein rotes Bändchen am Handgelenk. Im Internet kann man ein solches Bändchen für immerhin stolze 26 US-$ erwerben. Beobachter sprechen davon, dass „the red string“ zu einem der begehrtesten Modeaccessoires der letzten Jahre geworden sei. Sogar große US-amerikanische Warenhäuser haben das rote Bändchen in ihr Sortiment aufgenommen.

Es ist nicht nur Erkennungszeichen und Modeartikel, ihm wird auch magische Kraft zugeschrieben: So soll es nicht nur den vermeintlich „bösen Blick“ abwenden, sondern auch negative Energien in positive verwandeln können.20 Als der amerikanische Pop-Star Michael Jackson wegen sexuellen Missbrauchs angeklagt war, trug er bei jedem Verhandlungstermin dieses magische Bändchen. Man kann sicher sein, dass viele von den Millionen Zuschauern an den Fernsehgeräten den „tieferen Sinn“ dieses Zeichens kannten und Jacksons Freispruch nicht nur seinen Anwälten, sondern vor allem der magischen Wirkung des roten Fadens zurechnen.

Wie immer man zu dem (vermutlich kurzlebigen) Kult um die roten Bändchen steht: An ihm wird das seltsame Amalgam aus neuer Spiritualität und Pop-Kultur besonders deutlich, zu dem die Kabbalah-Centres verschmolzen sind. Beobachter sprechen inzwischen von „Pop-Kabbalah“. Aus religionswissenschaftlicher Perspektive wird man sagen können, dass Versatzstücke der Esoterik noch nie ein so breites Publikum erreicht haben und mit den Kabbalah-Centres das Phänomen einer rein äußerlichen Mode-Esoterik massenhaft in Erscheinung tritt.

In den Kabbalah-Centres kann man auch sog. „Kabbalah Mountain Spring Water“ zum Preis von 4 Euro erwerben. Ein beigefügter Zettel informiert darüber, dass es sich hierbei nicht um einfaches Wasser handelt, sondern um den „physischen Ausdruck einer spirituellen Kraft, die den höheren Welten innewohnt“. Weil Wasser das „Licht des Schöpfers“ verkörpere, verfüge es über Eigenschaften, die es zu einer „einzigartigen Substanz“ machen. Das Kabbalah-Wasser, das „mittels kabbalistischer Meditation“ und hebräischer Buchstaben „energetisch aufgeladen“21 wurde, könne deshalb „zur Heilung, zum Wohlbefinden und zur Verjüngung“ dienen.22 Meist schweigt man über die Herkunft des geheimnisvollen Wassers. Eine Journalistin hat erfahren, dass es aus einer „besonders reinen Quelle“ aus Kanada stammen soll.

Die jüdischen Gemeinden Hannovers haben sich unmittelbar nach der Gründung des Kabbalah-Centres in ihrer Stadt von dieser Institution distanziert. In einem Zeitungsinterview bezeichnete Rabbi Marc Stern die „Kabbalah-Centres“ als „Scientology auf Jüdisch“.23 Er kritisierte scharf, dass es den Zentren in erster Linie wohl nur um den finanziellen Gewinn gehe: „In einzelnen Fällen wurden Besucher aufgefordert, fünfstellige Eurobeiträge zu spenden. Das ist überhaupt nicht mit der jüdischen Religion vereinbar.“24 Damit spielte Stern auf den Fall eines Niedersachsen an, der berichtet, dass er im Pariser Kabbalah-Centre zu einer Spende von 36.000 Euro aufgefordert wurde mit der Verheißung, „du wirst so reich gesegnet werden – du bekommst das Doppelte zurück“25. Ähnliches hatte bereits die Ex-Frau von Mick Jagger, Jerry Hall, berichtet. Von ihr stammt das häufig kolportierte Zitat: „Ich wusste gar nicht, dass man 10 % seines Einkommens spenden muss, um durch die Wundertür zu gehen.“ Auch von Ratsuchenden in Deutschland hört man, dass die vielen kostenpflichtigen Angebote der Kabbalah-Zentren sehr ins Geld gehen.

Im Kabbalah-Centre weist man solche Anschuldigungen zurück. Hier berichtet man lieber, dass der bayerische Ministerpräsident Stoiber dem Kabbalah-Centre im Mai 2003 einen freundlichen Brief hat zukommen lassen, in dem er sich im Namen der Bayerischen Staatskanzlei für die Überlassung einer 22-bändigen Ausgabe des Buches „Zohar“ in Englisch bedankt. Und von der Hannoverschen CDU bekam das Zentrum im August 2003 einen wohlwollenden Brief, der positiv vermerkt, dass nunmehr „das Kabbalah-Centre in der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover die Weisheit der Kabbalah einem breiten Kreis vermitteln kann“26. Es ist naheliegend, dass die Politiker die Kabbalah-Zentren für ein Teil der Jüdischen Gemeinden hielten.

In den jüdischen Zeitungen in den USA beobachtet man den Rummel mit zwiespältigen Gefühlen. Einerseits empfinden es viele als Schande, dass ein wertvolles Gut wie die Kabbalah profanisiert wird – andererseits sehen manche einen Gewinn im dadurch geweckten neuen Interesse am Judentum. Letzteres geht so weit, dass nichtjüdische Jugendliche Bar Mitzwah-Partys feiern und sich für jüdische Trauungszeremonien interessieren – dies alles aber ohne Synagoge und Thora. Die „New York Times“ zitierte einen Rabbi aus Manhattan, der ironisch feststellte: „Wenn die wichtigsten Rabbiner in den USA fordern, man solle koscher leben, wird keiner hinhören, wenn das aber von Madonna kommt, na dann...“27

Mystisch verbrämte Lebenshilfe

Die Attraktivität der Kabbalah-Centres liegt darin, dass sie keine religiöse Botschaft anbieten, sondern eine mystisch verbrämte Hilfe zur Lebensgestaltung. Dabei dürfte der Rückgriff auf diesen besonderen und geheimnisumwitterten Teil der jüdischen Tradition die Exotik der Bewegung noch erhöhen. Fast ein Allgemeinplatz der Gegenwartsesoterik ist der auch von den Kabbalah-Zentren kolportierte Mythos, es gäbe Wahrheiten, die von interessierter Seite seit Jahrhunderten unterdrückt werden. Der Vatikan muss dafür immer wieder herhalten, die in hohen Auflagen verbreiteten „Prophezeiungen von Celestine“ des Amerikaners James Redfield erzählen diese Geschichte und natürlich glauben zahlreiche Anhänger neuzeitlicher Verschwörungstheorien zu wissen, dass Staat und Kirche die wirklich wichtigen Erkenntnisse „unterdrücken“.

Die Kabbalah-Zentren mit ihrer „Technologie für die Seele“ bieten ein erstaunlich großes Potential für Selbstinszenierungen. Religion wird durch Methodengläubigkeit ersetzt. Wie bei vielen postmodernen Moden geht es nicht um Demut und Bescheidenheit, sondern um Erhöhung des Selbst. Uns begegnet eine säkulare Heilstechnologie, die Vokabeln und Versatzstücke der Kabbalah benutzt. Mit der wirklichen Kabbalah, die die Geheimnisse der Welt als Widerspiegelung der Geheimnisse Gottes ansieht und nach ihnen sucht, haben die Kabbalah-Zentren nichts gemein.


Andreas Fincke


Anmerkungen

1 Zitiert nach einer Informationsbroschüre des „Kabbalah-Centre“ Hannover, ohne Seitenangabe.

2 Informationsbroschüre des „Kabbalah-Centre“ Hannover.

3 Yehuda Berg: Die Macht der Kabbalah. Von den Geheimnissen des Universums und der Bedeutung unserer Leben, München 2003, 246.

4 A.a.O., 246f.

5 A.a.O., 248.

6 A.a.O., 21.

7 A.a.O., 28.

8 A.a.O., 118.

9 Ebenda.

10 Das Gespräch fand im September 2003 statt. Neben dem Autor nahm Dr. Matthias Pöhlmann daran teil.

11 Zit. nach: Maura R. O’Connor: Erleuchtung Kabbalah, in: What is Enlightenment? Spiritualität für das 21. Jahrhundert, Ausgabe 15, Frühjahr 2005, 69.

12 Katja Jacob: Interview für den Evangelischen Kirchenfunk in Niedersachsen mit Hanan Noar am 17. 07. 2003. Textabschrift im Archiv der EZW.

13 Yehuda Berg: The Red String Book. The Power of Protection, Los Angeles 2004, 22.

14 Yehuda Berg: Die Macht der Kabbalah, 186f.

15 A.a.O., 191.

16 Ebenda.

17 Yehuda Berg: Die 72 Namen Gottes. Technologie für die Seele, Freiburg 2005, XII.

18 Zit. nach: Maura R. O’Connor: Erleuchtung Kabbalah, in: What is Enlightenment? Spiritualität für das 21. Jahrhundert, Ausgabe 15, Frühjahr 2005, 73.

19 Vgl. z.B.: Danielle Spera: Instant-Kabbalah, in: Jüdische Allgemeine vom 27. 11. 2004.

20 Yehuda Berg: The Red String Book. The Power of Protection, Los Angeles 2004, 62.

21 Vgl. Katja Jacob: Interview für den Evangelischen Kirchenfunk in Niedersachsen mit Hanan Noar am 17. 07. 2003. Textabschrift im Archiv der EZW.

22 Produktinformation „Kabbalah Mountain Spring Water“.

23 Die reine Leere, in: Hannoversche Allgemeine Zeitung vom 19. Mai 2003, 11.

24 Ebenda.

25 Ebenda.

26 Schreiben von Sebastian Schipper, Ratsherr der Landeshauptstadt Hannover vom 02.08.2003, in: Informationsbroschüre des „Kabbalah-Centre“ Hannover.

27 Zit. nach: Danielle Spera: Instant-Kabbalah, in: Jüdische Allgemeine vom 27. 11. 2004