Die Künstlerin Maria Abramović erläutert ihre spirituellen Wurzeln
Die aus Jugoslawien stammende Künstlerin Marina Abramović, 68, hat durch ungewöhnliche Kunst-Aktionen in den letzten Jahren auf sich aufmerksam gemacht und internationales Renommee gewonnen. „The Artist Is Present“ hieß ihre letzte Performance, die 2010 im Museum of Modern Art parallel zu einer Retroperspektive der Künstlerin in New York stattfand. Ein Dokumentarfilm hat festgehalten, was dort geschah: Während der Öffnungszeiten der Ausstellung saß Abramović schweigend-meditierend im Atrium an einem Tisch, am Stuhl gegenüber konnte der Besucher nach langen Wartezeiten Platz nehmen. Nach 75 Tagen, exakt nach 721 Stunden, endete die Performance, und 1565 Besucher hatten ihr in die Augen geblickt (Filmrezension: www.epd-film.de/33194_91030.php).
Einige dieser Besucher – manche hielten den Blick mehrere Stunden aus – berichteten von Veränderungen und dem Gefühl, Energie übertragen bekommen zu haben. 72 Menschen stellten sich mehr als 20-mal in die Schlangen des MOMA an, um in die Augen der Künstlerin blicken zu können. Nach Angaben von Abramović ist daraus eine eigene Gemeinschaft entstanden, die sich monatlich trifft, weil dieses Erlebnis die daran beteiligten Menschen verändert habe.
Die Künstlerin plant in New York ein eigenes Institut, in dem die Besucher Gegenwärtigkeit einüben können. An diesem Ort sollen sich Kunst, Wissenschaft, Technik und Spiritualität verbinden. Um das Projekt zu finanzieren, hat sie ein Crowdfunding begonnen. Als Anreiz für alle Spender des Instituts stellt die Künstlerin eine persönliche Umarmung ab einem Dollar Zuschuss in Aussicht. Für das Life-Event „The Embrace“ soll es demnächst zwei Termine in New York und Europa geben.
In einem Interview der Zeitschrift „Evolve – Magazin für Bewusstsein und Kultur“ (1/2014) hat nun die Künstlerin ihre spirituellen Wurzeln erläutert. In Brasilien habe sie ein Jahr mit Schamanen gearbeitet, wo sie gelernt habe, Brücken zur unsichtbaren Welt herzustellen. In ihrem Kunstverständnis geht es um die Übertragung von Energie und das Einüben in Gegenwärtigkeit: „Wenn du in diesem nicht-denkenden Raum, in der Gegenwart bist, dann gibt es keine Zeit. Und du machst eine außerkörperliche Erfahrung, du bist überall, 360 Grad. Das ist die höchste Erfahrung, ein Zustand strahlenden Lichts, von Frieden und Glück.“ Die religiös aufgeladenen Performances machen deutlich, wie groß heute das Interesse an spiritueller Erfahrung und meditativer Lebenskunst ist – und dass diese eher in der Kunst als in der Kirche gesucht werden.
Michael Utsch