Friedmann Eißler

Die neue „Stiftung Dialog und Bildung“ der Gülen-Bewegung

Die Gülen-Bewegung in Deutschland hat eine zentrale Anlaufstelle etabliert. Mit der „Stiftung Dialog und Bildung“ wurde nicht nur eine weitere Gülen-Institution ins Leben gerufen, sondern in Reaktion auf die gestiegene mediale und öffentliche Aufmerksamkeit eine Ansprechpartnerin für die Öffentlichkeit geschaffen. Sie sei eine der ersten Stiftungen, die von Menschen mit Migrationshintergrund gegründet wurden, hieß es. Ein Jahr, nachdem die „Hizmet Arbeitsgemeinschaft“ angetreten war, um die Öffentlichkeitsarbeit in der Gülen-Bewegung zu bündeln, konnte Anfang Mai 2014 die Gründungsveranstaltung der Stiftung in Berlin stattfinden.1 Hizmet (türk. „Dienst“) ist die bevorzugte Selbstbezeichnung der Anhängerschaft Fethullah Gülens, die bundesweit und international ein weitverzweigtes Netzwerk von Bildungs-, Dialog-, Medien- und Wirtschaftsunternehmen aufbaut und unterhält.

Vorsitzender der Stiftung und damit so etwas wie das Gesicht der Gülen-Bewegung in Deutschland ist der (Stadt-)Soziologe Ercan Karakoyun. Der Mittdreißiger aus Schwerte stand zuvor etliche Jahre dem Forum für interkulturellen Dialog in Berlin (FID) vor und koordinierte zuletzt die Hizmet AG. Zum wissenschaftlichen Profil soll die Medienwissenschaftlerin Rukiye Canlı beitragen.

Unterstützer der Stiftung sind u. a. Hilal Akdeniz (Journalistin der Tageszeitung Zaman), Muammer Akın (Leiter der BIL Schulen Stuttgart), Mustafa Altaş (stellv. Vorstandsvorsitzender der World Media Group in Offenbach), Eyüp Beşir (Vorsitzender des FID e. V. Frankfurt), Önder Kurt (Geschäftsführer der bundesweiten Unternehmervereinigung BUV in Berlin), S. Ahmet Tokmak (Leiter der Sema Schulen Mannheim), Uğur Ünal (Öffentlichkeitsreferent des Academy e. V. in Frankfurt), Fatih Yılmaz (Vorstandsmitglied des Rumi Forum am Rhein e. V., Düsseldorf).

Die Stiftung Dialog und Bildung möchte als „Informations- und Impulsgeberin“ „den Dialog fördern und neue, auf gesellschaftliche Teilhabe ausgerichtete Bildungskonzepte in Deutschland stärken.“2 Viele wollen wissen, was es mit der Gülen-Bewegung auf sich hat. Doch nicht jeder Lehrer, jede Schulleiterin oder jeder Sympathisant im Umfeld angeblicher „Gülen-Vereine“ möchte oder kann alle möglichen Fragen zu Hizmet im Allgemeinen und zu Fethullah Gülen im Besonderen beantworten. Durch Veranstaltungen und entsprechende Öffentlichkeitsarbeit soll das Thema Hizmet nun platziert und ins rechte Licht gerückt werden. Einzelne Themen sollen wissenschaftlich vertieft werden.

Entscheidende Themen: das Beispiel Religionsfreiheit

Es wird interessant sein, wie sich die informationelle Bündelung auf die an sich dezentrale Netzwerkstruktur auswirkt, die ausdrücklich nicht tangiert werden soll. Und wie die Inhalte aussehen, wenn künftig gleichsam mit einer Stimme gesprochen wird. Denn gerade auch zu wichtigen grundsätzlichen Themen wie der Einstellung Fethullah Gülens gegenüber der Rolle der Frau, seiner Vorstellung von Religionsfreiheit und der Vereinbarkeit von Islam und Demokratie gibt es bislang recht unterschiedliche Stimmen.

Immerhin verweist Gülen selbst etwa auf die Frage nach der Sicherung der Menschenrechte auf „fünf fundamentale Prinzipien“ (Leben, Besitz, Religion, Vernunft, Nachkommenschaft), die traditionell als Leitprinzipien des islamischen Rechts gelten und die nach Gülen „für die Menschenrechte maßgeblich“ seien (Interview mit der F.A.Z.3). Ein positives Beispiel hierfür sei die „vom Propheten erlassene Verfassung von Medina“. Selbst bei wohlwollendster Auslegung handelt es sich dabei jedoch nicht um ein frühes Dokument der Menschenrechte, sondern um die Regelung der Angelegenheiten von Minderheiten unter islamischer Herrschaft.

Regelmäßig betont Gülen, Demokratie und Menschenrechte stünden „nicht im Widerspruch zu den islamischen Werten“. In einer Predigt spricht sich Gülen gegen eine Einmischung in persönliche Überzeugungen aus (z. B. Konversion!).4

Zugleich macht er zum konkreten Recht der Religionsfreiheit klar: Man könne nicht davon ausgehen, dass „der Islam“ etwa „die Praktizierung des Laizismus als Religionslosigkeit, uneingeschränkte absolute Freiheiten oder die Behauptung vom Ende der Religion sowie ihre Ersetzung durch Vernunft und Wissenschaft“ billige. Im selben F.A.Z.-Interview (ein Text, auf den Hizmet-Anhänger sehr gerne verweisen), gibt er zu Protokoll: „Die Glaubensfreiheit ist in der muslimischen Religion ein Prinzip ... Das islamische Prinzip ist, die Freiheit der Glaubensausübung – der Muslime wie der Nichtmuslime – unter Schutz zu stellen.“ Diese Aussage ist zumindest ambivalent. Sie rekurriert auf den einschlägigen Koranvers Sure 2,256 („Es gibt keinen Zwang in der Religion“) und lässt kaum eine andere Interpretation zu als die, dass Gülen die „Glaubensfreiheit“ nach Maßgabe des Korans und seiner islamischen Auslegung verstanden wissen will. Dies bedeutet aber mindere Rechte für Nichtmuslime, die – Stichwort „Schutz“ – gewöhnlich als Dhimmis (Schutzbefohlene) bezeichnet wurden bzw. werden. Eine „Stellungnahme zur aktuellen Berichterstattung“ der Stiftung Dialog und Bildung vom 4.2.2014 enthielt eine diesbezügliche Passage mit eben dem Zitat aus dem F.A.Z.-Interview. Auf kritische Nachfrage zur Interpretation der Aussage im heutigen Kontext wurde keine Erklärung gegeben, sondern der betreffende Abschnitt kurzerhand gestrichen.5

Dass sich für Gülen die „Freiheit der Glaubensausübung“ – der Tradition folgend – auch nicht auf einen Religionswechsel oder gar den Abfall vom Glauben erstreckt, geht aus weiteren Äußerungen hervor. In einem Grundsatzartikel auf dtj-online, der ausführlich zu Kritikpunkten Stellung nimmt (und der der Landesregierung in Baden-Württemberg auf die Sprünge helfen will, die mehrfach auf Gesprächsangebote nicht eingegangen sei), zitiert der Stiftungsvorsitzende Karakoyun erneut Erläuterungen Gülens zu Sure 2,256: „Der Zwang widerspricht dem Sinn und Zweck der Religion, die im Wesentlichen ein Aufruf an die Lebewesen mit freiem Willen ist, die Existenz ihres Schöpfers zu bejahen und ihn zu verehren ... Die Nichtmuslime, die in muslimischen Gesellschaften leben, haben immer ein Recht auf absolute Glaubens- und Religionsfreiheit ... In gewissem Sinne ist die religiöse Toleranz eine soziopolitische Eigenschaft, die charakteristisch für den Islam ist und die sich direkt aus dem Verständnis, das die Muslime vom Koran haben, und aus ihrer Verpflichtung gegenüber seinem Grundsatz keines Zwangs in der Religion ableitet ...“6

Pikant wird die Sache dadurch, dass Karakoyun ausgerechnet den Text heranzieht, der für sein Argument ganz und gar ungeeignet ist, wenn man ihn nicht so frisiert, wie er es tut. Gülens Auslegung vom 1.5.20087 thematisiert nämlich recht unverblümt seine Haltung zur „Glaubensfreiheit“ und ist gerade deshalb schon häufiger Gegenstand der öffentlichen Diskussion gewesen.8 Die Nichtmuslime, die unter islamischer Herrschaft leben, haben immer ein Recht auf absolute Glaubens- und Religionsfreiheit, wenn sie es akzeptieren, die Oberherrschaft des islamischen Staates anzuerkennen“ [Hervorhebung F. E.]. Und dort weiter: „Dies zeigt sich daran, dass sie die Djizya (die sogenannte Kopfsteuer) und den Kharaj (Bodensteuer) zahlen [müssen]. Im Gegenzug verpflichtet sich der Staat dazu, ihr Leben, ihren Besitz und ihre religiösen Rechte zu schützen.“ Die klassische Darstellung geht bei Gülen weiter, wenn er Drogenkonsum, Glücksspiel, Ehebruch, Unzucht, Diebstahl u. a. als Vergehen zusammenfasst, die eine Gesellschaft bedrohen. Es handle sich um Sünden und zu bestrafende Verbrechen, die man durch kollektive Maßnahmen zu verhindern suchen müsse. Vor allem kommt Gülen dann explizit darauf zu sprechen, dass ein Abfall vom Islam ausgeschlossen werden müsse: „Betrachten wir den Fall der Apostasie. Glaubensabfall wird im islamischen Recht als ebenso schwerwiegend beurteilt wie Hochverrat in den meisten Staaten und sämtlichen Armeen ... Diejenigen, die darauf bestehen, diesen Weg zu gehen, sollten eingeladen werden, die Schwere ihrer Taten zu überdenken und zu bereuen. Und wenn sie diese Gelegenheit ausschlagen, ist die Todesstrafe zwingend. Keine mildere Strafe könnte den Abscheu der Gesellschaft gegenüber der Verletzung des Bundes mit Gott ausdrücken. Die Schahada [das islamische Bekenntnis], durch die das Individuum in den Islam eintritt, ist eine sehr ernste Angelegenheit. Sie zurückzuweisen bedeutet, das Gleichgewicht der Schöpfung und ihre Beziehung zum Schöpfer zu beleidigen.“ Es wird ausdrücklich abgelehnt, die Apostasie als „individuelle Angelegenheit“ des persönlichen Gewissens zu betrachten. – Dies alles mit Auslassungspunkten schlicht zu übergehen, um im Grunde das Gegenteil herauszulesen, wiegt schwer. Von dem „Signal für Toleranz und Offenheit“, wie Karakoyun es nennt, bleibt jedenfalls nicht viel, wenn man die Lücken mit dem Original füllt.

Fazit

Die neu gegründete Stiftung nennt als die Werte, für die sie eintritt, Meinungs- und Religionsfreiheit, Demokratie und Teilhabe, Chancengerechtigkeit, Toleranz, Gleichstellung von Mann und Frau, Frieden und Gewaltfreiheit. Das ist wichtig und ihr gutes Recht. Allerdings ist es keine Erbsenzählerei, wenn man auf Differenzen zwischen der Selbstdarstellung und den Lehren Gülens sowie zwischen dem allgemein verbreiteten Verständnis dieser Begriffe und deren offenbar wenig angefochtenem Verständnis im internen Diskurs aufmerksam macht, wie am Beispiel der Religionsfreiheit gezeigt. Es geht nicht um Spitzfindigkeiten, sondern um Grundfragen des Zusammenlebens in einer religiös pluralen Gesellschaft.

Freilich ist es mit einem Hin und Her von Zitaten nicht getan. Doch die strukturelle und inhaltliche Kohärenz der Hizmet-Aktivitäten beruht auf den Lehren Fethullah Gülens. Die Stiftung Dialog und Bildung wird die Aufgabe haben, diese verständlich darzulegen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen, Antworten auf kritische Anfragen zu geben und so der Forderung nach mehr Transparenz nachzukommen. Bisher hält sie es noch mit den Lücken. Mit den typischen Ausweichmanövern und etwas Firnis wohlklingender Phrasen wird die Aufgabe jedoch nicht zu bewältigen sein. Fazit: Bisher steht tatsächlich noch nicht drauf, was drin ist.


Friedmann Eißler


Anmerkungen

1 Der Link www.hizmet.de führt inzwischen zu der Internetseite www.dialog-und-bildung.de (alle Internetseiten zuletzt abgerufen am 9.5.2014).
2 Zitat aus der Einladung zur Gründungsveranstaltung.
3 „Islam und Moderne stehen nicht im Widerspruch“, Prediger Fethullah Gülen im F.A.Z.-Gespräch mit Rainer Hermann, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 6.12.2012 (www.faz.net/-gq9-74ukk ).
4 Vgl. Ercan Karakoyun, Hizmet-Bewegung und die freiheitlich-demokratische Grundordnung, in: Deutsch-Türkisches Journal, 4.4.2014 (www.dtj-online.de/hizmet-bewegung-in-deutschland-karakoyun-24110).
5 Siehe jetzt unter www.dialog-und-bildung.de/aktuelles .
6 www.dtj-online.de/hizmet-bewegung-in-deutschland-karakoyun-24110 vom 4.4.2014.
7 www.fr.fgulen.com/content/view/129/19.
8 Vgl. dazu und zum Ganzen: Friedmann Eißler, Wo steht die Gülen-Bewegung? Eine aktuelle Einschätzung, in: MD 3/2014, 83-93.