Die Religionsfreiheit und das Staat-Kirche-Verhältnis in Europa und den USA
Gerhard Besier/Hubert Seiwert (Hg.), Die Religionsfreiheit und das Staat-Kirche-Verhältnis in Europa und den USA, Religion – Staat – Gesellschaft, Zeitschrift für Glaubensformen und Weltanschauungen, 14. Jahrgang (2013), Heft 1, LIT Verlag, Münster 2013, 165 Seiten, 29,90 Euro.
Das Heft enthält neun Aufsätze und Essays zum Thema „Religionsfreiheit und das Verhältnis von Staat und Kirche in Europa und den USA“. Charlotte Gaitanides beschreibt Religion und Kirche im europäischen Recht. Kjell A. Modéer stellt „Die Mauer der Trennung“ als Thema der Kirche und des Staates in den nordischen Ländern dar. Anders Jarlert geht auf die individuelle oder institutionelle Religionsfreiheit in verschiedenen Staat-Kirche-Verhältnissen ein. Hubert Seiwert stellt die Frage: „Ist Religionsfreiheit eine Errungenschaft der europäischen Moderne?“ Reijo E. Heinonen beschreibt unter dem Titel „Dialogfähigkeit und Religionsfreiheit“ einen „Versuch, ihre gegenseitige Abhängigkeit durch historische Beispiele zu beschreiben“. Bernhard Giesen stellt „Die Rückkehr der Religion und das dritte Projekt der Moderne“ dar. Willy Fautré und Regis Dericquebourg porträtieren „FECRIS: Europäische Föderation der Forschungs- und Informationszentren zu Sektenfragen“. Hermann Weber stellt den „Streit um den Körperschaftsstatus von Jehovas Zeugen in Deutschland“ als „Prüfstein für die Freiheitlichkeit des deutschen Religionsrechts“ dar. Robert P. Ericksen beschreibt „The Understanding of Religious Freedom in the United States“.
Der Band beginnt mit einer Einleitung des Herausgebers Gerhard Besier, die den Eindruck vermittelt, dass alle Autorinnen und Autoren beschreiben, wie kleine Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften in verschiedenen Staaten Europas unterdrückt werden. Liest man die einzelnen Aufsätze, stellt sich heraus, dass die Beiträge zwar auch kritische Stellen enthalten, aber nur diese kommen selektiv in der Einleitung des Herausgebers vor. Insgesamt zeigt sich in den Darstellungen ein differenzierteres Bild mit Licht und Schatten und naturgemäß mit Grautönen.
Eine Ausnahme bildet der Beitrag des Rechtsanwalts Hermann Weber. Er hat die Zeugen Jehovas vor dem Bundesverfassungsgericht anwaltlich vertreten und stellt insbesondere die Rechtsansichten seiner Mandantschaft dar. Insofern vertritt er auch an dieser Stelle das Mandanteninteresse.
In der Sache ging es darum, ob den Zeugen Jehovas die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts im Sinne von Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 WRV zu Unrecht verweigert wurde. Das Bundesverwaltungsgericht hatte ihnen die Anerkennung versagt. Das Bundesverfassungsgericht gab den Zeugen Jehovas in seinem Urteil vom 19. Dezember 2000 Recht. Rechtlich legt das Gericht erstmals ausführlich dar, welche Voraussetzungen vorliegen müssen, damit eine Religionsgemeinschaft den Körperschaftsstatus nach der genannten Verfassungsnorm erhalten kann. Nach dem Wortlaut müssen sie „durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten“.
Die sogenannten korporierten Religionsgemeinschaften sind keine Körperschaften des öffentlichen Rechts im verwaltungs- und staatsorganisationsrechtlichen Verständnis. Sie nehmen keine Staatsaufgaben wahr, sind nicht in die Staatsorganisation eingebunden und unterliegen keiner staatlichen Aufsicht. Ihnen werden aber mit dem Körperschaftsstatus bestimmte hoheitliche Befugnisse übertragen. Diese und andere Vergünstigungen erleichtern es der Religionsgemeinschaft, ihre Organisation und ihr Wirken nach den Grundsätzen ihres religiösen Selbstverständnisses zu gestalten, bewirken mit erhöhten Einflussmöglichkeiten aber auch die erhöhte Gefahr eines Missbrauchs zum Nachteil der Religionsfreiheit der Mitglieder oder anderer Verfassungsgüter. Zu den Voraussetzungen der Verleihung des Körperschaftsstatus gehört deshalb, dass eine Religionsgemeinschaft rechtstreu sein muss. Innerhalb wie außerhalb des Bereichs hoheitlichen Handelns hat sie die staatsbürgerliche Pflicht zur Beachtung der Gesetze. Das Bundesverfassungsgericht stellte klar, dass für die Verleihung des Körperschaftsstatus keine gesteigerte Loyalität gegenüber dem Staat vorliegen muss, wie es zuvor das Bundesverwaltungsgericht gefordert hatte. Insofern wurde die Entscheidung allenthalben als Klarstellung begrüßt. Bemerkenswert in dem Zusammenhang ist, dass das Gericht an die Tatsacheninstanzen gebunden war. Es prüfte z. B. nicht, ob faktisch die Austrittsfreiheit o. Ä. gewährleistet ist.
Wenn man vom Vorwort absieht, hinterlässt die Lektüre einen eher positiven Gesamteindruck im Hinblick auf den Zustand des Religionsverfassungsrechts in den einzelnen Ländern. Die Beiträge verdeutlichen, wie sehr die Geschichte das Verhältnis von Staat und Religion bzw. Weltanschauung in den einzelnen Staaten geprägt hat und wie unterschiedlich die Regelungen im Einzelnen sind. Als Beispiel kann der Beitrag von Modéer dienen (31-50): In Schweden wurde die Staatskirche im Jahr 2000 abgeschafft, in Norwegen und Dänemark bislang nicht. Insofern ist es eine gute Entscheidung, dass sich die Europäische Union in diesen Fragen selbst eine große Zurückhaltung auferlegt. In Art. 17 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (dazu Gaitanides, 15 und 23) wird geregelt, dass die Europäische Union den Status achtet, den Kirchen und religiöse Vereinigungen oder Gemeinschaften sowie weltanschauliche Gemeinschaften in den Mitgliedsstaaten nach deren Rechtsvorschriften genießen, und ihn nicht beeinträchtigt. „Die Union pflegt mit diesen Kirchen und Gemeinschaften in Anerkennung ihrer Identität und ihres besonderen Beitrags einen offenen, transparenten und regelmäßigen Dialog“ (Abs. 3).
Zum Schluss noch der Hinweis, dass der Stil der Aufsätze von der Profession und der Nationalität der Autoren geprägt ist; es finden sich juristische (Gaitanides, Modéer, Weber) neben religionswissenschaftlichen (Seiwert) und soziologischen Beiträgen (Giesen). Das führt zu einer abwechslungsreichen Lektüre.
Arno Schilberg, Detmold