Die transpersonale Psychologie will das menschliche Bewusstsein weiterentwickeln
(Letzter Bericht: 2/2010, 67f, vgl. auch 4/2009, 123ff) Das Thema Bewusstsein ist zu einem neuen Schwerpunktthema der Transpersonalen Psychologie erklärt worden. Besonderen Ausdruck findet diese Veränderung in der Umbenennung der Zeitschrift „Transpersonale Psychologie und Psychotherapie“, die als maßgebliches Publikationsorgan der Transpersonalen Psychologie in Deutschland seit 1995 halbjährlich erscheint. Ende letzten Jahres erschien die Nummer 2/2011 unter dem neuen Titel „Bewusstseinswissenschaften“. Im Editorial begründen die Herausgeber die Umbenennung damit, dass die Transpersonale Bewegung seit jeher versuche, Haltungen, Methoden und Strategien zur Beeinflussung und Veränderung des menschlichen Bewussteins zu entwickeln. Auch der Vordenker dieser Bewegung, Ken Wilber, habe sich hauptsächlich mit der Entwicklung des Bewusstseins beschäftigt und ein integrales Modell dazu entwickelt.
Mit einem Symposium trat ebenfalls Ende 2011 die „Stiftung Bewusstseinswissenschaften“ an die Öffentlichkeit, die mit 564000 Euro den Lehrstuhl „Angewandte Bewusstseinswissenschaften“ an der Abteilung für Psychosomatische Medizin der Universität Regensburg eingerichtet hat. Gründungsstifter ist Joachim Galuska, ärztlicher Direktor der transpersonal orientierten Heiligenfeld-Kliniken in Bad Kissingen (und Mitherausgeber der Zeitschrift „Bewusstseinswissenschaften“). Als Ziel formuliert die Stiftung eine „anwendungsbezogene Bewusstseinsforschung, die im ganzheitlichen Sinne sowohl das individuelle als auch das kollektive Bewusstsein und deren biologische und kulturelle Grundlagen einbezieht“. Dabei sehen die Initiatoren den entscheidenden Schritt in der Evolution der Menschheit gegenwärtig in der Entwicklung des menschlichen Bewusstseins. Ein aufgeklärter, souveräner Mensch lebt nach Ansicht der Stiftung aus der Erfahrung der unauflösbaren Verbundenheit mit seinen Mitmenschen und seiner Mitwelt. Aus dieser Erfahrung entspringe „ein Wertesystem, das die Würde zu sich selbst als geschenkte und verantwortungsvolle Teilhabe am gesamten kosmischen Geschehen erfahren“ könne (http://stiftung. heiligenfeld.de).
Auch andere psychospirituelle Angebote betonen die Bedeutung des Bewusstseins: Die Klinik für Psychosomatik in Dresden veranstaltet zusammen mit dem Institut für Kontemplative Psychotherapie Sachsen den Kongress „Bewusstseinskultur“. Namhafte Psychotherapeuten treffen im April 2012 auf Experten buddhistischer Geistesschulung. Der Kongress will Wege der Kultivierung heilsamer Bewusstseinszustände aufzeigen, Möglichkeiten und Methoden der Integration meditativ-kontemplativer Ansätze in psychotherapeutische Prozesse darstellen und möchte auch die Herausforderungen und Grenzen einer solchen Zusammenarbeit beleuchten (www.bewusstseinskultur-kongress.de).
Die Jahrestagung der „Milton Erickson Gesellschaft für Klinische Hypnose“, die in der Regel von über 1000 Teilnehmern besucht wird, beschäftigt sich im März 2012 in Bad Kissingen mit „Heilen in veränderten Bewusstseinszuständen“. Sie ist interkulturell und interdisziplinär angelegt. Der Trancezustand bietet nach Überzeugung der Veranstalter eine effektive Möglichkeit, das Alltagsdenken zu transzendieren und dadurch dem Bewusstsein neue Perspektiven und Lösungen zu eröffnen (www.meg-tagung.de). Die „Deutsche Gesellschaft für Systemaufstellungen“ hat zum Ziel, „eine Spiritualität als Erfahrung der grundlegenden Verbundenheit und Nichtgetrenntheit aller Lebensformen“ darzustellen und weiterzuentwickeln. Spiritualität wird dabei aufgefasst als die „begründete Erfahrung von Bewusstsein, das als einschließend, Polaritäten und begrenzendes Urteilen überschreitend und in seiner Ursprungsqualität als liebend wahrgenommen wird“ (www.praxis-der-systemaufstellung.de).
Mit dem Fokus auf veränderten Bewusstseinszuständen wird der immanente „Weltinneraum“ (Rilke) von der Transpersonalen Psychologie stärker in den Mittelpunkt gerückt. Dabei geht der Aspekt des Dialogs mit einer als umfassend erlebten Wirklichkeit, die Christen Gott nennen, verloren. Wahrscheinlich führt die Erforschung veränderter Bewusstseinszustände zu konkreteren Ergebnissen, als dies im Zusammenhang mit dem vagen Konzept des Transpersonalen möglich war. Allerdings sind noch viele Fragen ungeklärt – zum Beispiel, ob spirituelle Erfahrungen hier primär zur Bewusstseinssteigerung eingesetzt werden.
Michael Utsch