Die Welt im Wandel 2012
(Letzter Bericht: 5/2009, 163ff) Der Maya-Kalender geht zu Ende, aus esoterischer Sicht steht die große Weltenwende bevor. Am 21.12.2012 soll es so weit sein: Die Welt wird transformiert, der Evolutionssprung der Menschheit ereignet sich. Auf diese Transformation deutet angeblich auch der derzeitige Abbau des Magnetfeldes der Erde hin. Die esoterische Buchhandlung Wrage in Hamburg und das dazugehörige Seminarzentrum veranstalteten am 19. und 20. September 2009 im Kongresszentrum Hamburg einen Wendezeitkongress zu diesem „einschneidenden Ereignis“ (http://2012-kongress.de). Ungefähr 250 Menschen aller Altersgruppen und verschiedener Bildungsschichten nahmen daran teil – trotz des hohen Eintrittspreises (160 bis 200 Euro). Die Besucher bekamen zum Empfang einen geschliffenen Bergkristall, der später die Echtheitsprobe bestand.
Referenten und Referentinnen aus aller Welt traten auf. Man traf manche alten Bekannten wieder wie Diana Cooper, die auch auf den regelmäßigen Engelskongressen referiert, José Argüelles, Buchautor aus dem New Age der 80er Jahre, Gregg Braden, der als Geowissenschaftler und Raumfahrtingenieur vorgestellt wurde, den Buchautor Tibor Zelikovics, den Zeichner Janosch oder die Mayapriesterin Nah Kin (Eugenia Casarin). Eingeleitet wurden die Vorträge jeweils durch die Gong-Musik von Jens Zygar, die die Hörerschaft zur Konzentration und Ruhe brachte. Die rauschenden Klänge waren sehr eindrucksvoll.
Der Maya-Kalender läuft aus, und damit gehen 2012 gleichzeitig eine Zeiteinheit von 5000 Jahren sowie ein „großes Weltenjahr“ von knapp 26 000 Jahren zu Ende. Der kleine Zyklus umfasst den Zeitraum vom 31.8.3114 v. Chr. bis zum 21.12.2012 n. Chr. Das Ende kündige sich bereits an, die Klimaveränderung sei eines der Zeichen. Auch der Ablauf der vorherigen Zyklen soll mit Katastrophen verbunden gewesen sein: Große Reiche gingen unter, die Natur geriet aus den Fugen. Das jetzt bevorstehende Ende zweier Zeiteinheiten mache das Ereignis jedoch besonders bedeutsam. Hier treffen die Berechnungen nach dem Maya-Kalender und der Beginn des „Wassermannzeitalters“ zusammen.
Alle Rednerinnen und Redner bezogen sich auf den Maya-Kalender. Eine Zeitenwende geht natürlich nicht schmerzlos vorüber. Die Klimakatastrophe wird ebenso als ein Anzeichen für den bevorstehenden Wandel gedeutet wie die kriegerischen Auseinandersetzungen und Attentate, aber auch die Weltwirtschaftskrise. Alle waren sich aber darin einig, dass uns, den Menschen, die wir nun schon wissen, was die Zukunft bringen könnte, die Möglichkeit offen steht, unser Herz und die ganze Welt zu wandeln, wenn wir die Zeichen der Zeit zu lesen vermögen und uns entsprechend darauf einstellen. Die Menschen seien jetzt bereit, als eine Familie auf dieser Erde zusammenzuleben. Hierzu gab es Meditationsübungen, die uns zu uns selbst führen und uns lehren sollten, unseren Weg zu gehen. In der neuen Zeit werde der Schlüssel zum Besseren bei den Frauen liegen. Die Männer werden ihre „weibliche Seite“ entdecken. Spirituelle Anleitungen zu einem harmonischen Leben finden sich in tibetischen Klosterbibliotheken.
Wir sollten auf die Überwindung des Bösen, das die Katastrophen hervorruft, eingestimmt werden. Das Böse wird mit den Kräften des Weltfinanzsystems in Zusammenhang gebracht, das seine Macht auf alle Arten und Weisen durchsetze. Es beginne bei den Barcodes an der Supermarktkasse und reiche bis zur Zerstörung des Gebäudes 7 des World Trade Centers, das angeblich durch eine gezielte Sprengung zum Einsturz gebracht wurde. Ein vager Hinweis auf die Freimaurer, ihre Hochgradlogen und deren geheime Lehren und Riten durfte nicht fehlen.
Über allem aber wachen angeblich die großen alten Meister der Maya, die uns Botschaften senden, damit wir nicht dem Untergang geweiht sind, sondern gerettet werden, wenn wir ihren Anweisungen folgen. Die Maya-Meister wenden sich durch Visionen an die Menschheit, aber auch mittels der Kornkreise, die an die Form des Maya-Kalenders erinnern. Kinich Ahau, ursprünglich der Name des Sonnengottes der Maya, spielt eine große Rolle: Er ist zur „Zentralsonne“ aufgestiegen. Seine Weisheit will die Menschen leiten. Beim Ablauf dieser Weltzeit liege die Sonne, die unsere Erde erwärmt, auf einer „waagerechten Linie“ im Weltall mit der Zentralsonne.
Nach der Transformation soll Barack Obama in Jerusalem, der heiligen Stadt der drei großen Religionen, die Weltherrschaft antreten. Obama sei dafür vorherbestimmt, denn seine afrikanischen Wurzeln reichten in die Zeit der Pharaonen zurück, und er sei, wie man beim Vergleich eines Fotos von ihm mit der Statue Echnatons sehen soll, dessen später Abkömmling. Nicht zu begreifen war, wie hier auch noch die Merowinger ins Spiel gekommen sind.
Es ist verständlich, dass sich die Menschen angesichts aller Katastrophennachrichten nach einer Heimat sehnen, die ihnen niemand nehmen kann. Dass sich das Weltall um die Erde und ihre Bewohner kümmert und sich das Zentrum der Galaxie weise und liebevoll der Menschheit annimmt, ist ein alter Traum. Dahinter steht immer noch die Vorstellung von der Erde als Mittelpunkt der Welt. Die Menschen hoffen auf den Quantensprung und die Fortentwicklung, mit deren Hilfe sie dem drohenden Desaster entkommen wollen. Das Streben ist spürbar, durch Meditation oder die Teilnahme an Kongressen und Seminaren selbst daran mitzuarbeiten.
Der Kongress versuchte, statt Weltuntergangsangst eine freudige Aufbruchsstimmung zu erzeugen. Gegen den Inhalt der Veranstaltung gibt es aber erhebliche Einwände. Der Maya-Kalender ist ein kompliziertes mathematisches „Vigesimalsystem“, also ein Rechensystem, das auf der Zahl 20 beruht. Aufbauend auf dieser Zahl werden immer höhere Zeiteinheiten errechnet. In der Zeit der Mayakultur war der Kalender vermutlich das genaueste Kalendersystem in der amerikanischen Hemisphäre. Dieses System hochgerechnet unter Einbeziehung der Datumsverschiebung vom julianischen zum gregorianischen Kalender soll angeblich zum Jahr 2012 führen. Die Hochrechnung ist jedoch von der Vorstellung getragen, dass die aufgestiegenen Maya oder Kinich Ahau sich unserer Gegenwart annehmen und sogar Kornkreisbotschaften entsenden. Hier mischen sich historische Fakten und esoterische Hoffnungen.
Mit dem Einfall der Spanier in Mexiko 1511 verschwanden die alten lateinamerikanischen und mittelamerikanischen Kulturen endgültig. Es gibt aber heute Menschen, die sich auf die Maya zurückführen und die sich teilweise bemühen, an ihre alten Überlieferungen anzuknüpfen und die Geschichte zu rekonstruieren. Dieses wird mythisch überhöht und spiritualisiert, versetzt mit Vorstellungen des New Age und der neuen Weiblichkeit. Tempelruinen werden als spirituelle Kultplätze neu entdeckt und für neue kultische Handlungen genutzt. Die Menschenopfer der Maya und Azteken werden als Verfallserscheinungen interpretiert. Die spirituellen Maya und ihre überirdischen Meister sind nunmehr gereinigt.
Problematisch war auf dem Kongress ferner der ungeheure Wust an physikalischen und astronomischen Halbwahrheiten. Zur Erhärtung von Verschwörungstheorien wurden die Bücher von Michael Baigent und Richard Leigh sowie von Dan Brown als historische Darstellungen herangezogen. Man zeigte Fotos von der NASA aus dem Weltraum. Was aber die Fotos eigentlich zeigen sollten, wurde nicht gesagt. Sie dienten vielmehr als Beweise für die eigenen Theorien.
Begriffe aus der Geologie und der Physik wurden verwendet, aber nicht erklärt: Was soll man z.B. unter „Präzession“ verstehen? Es handelt sich um die Richtungsänderung der Erdachse und Erdrotation in Zyklen von etwa 25 800 Jahren. Was ist die „Zentralsonne“? Dass eine Zentralsonne den Mittelpunkt der Galaxie bildet, ist eine inzwischen überholte Theorie. Man geht mittlerweile davon aus, dass eine Anhäufung von Sonnen um ein „schwarzes Loch“ den Mittelpunkt bildet. Eine waagerechte Linie zwischen zwei Sonnen ist eine Annahme, die von der Erde als einem festen Standort ausgeht. Im Weltall gibt es jedoch kein Oben und Unten, also ist jede Linie waagerecht, senkrecht oder schräg. Der scheinbar geheimnisvolle Einsturz von Gebäude 7 im Zusammenhang mit dem Anschlag vom 11. September 2001 ist längst durch die Hitzeentwicklung bei der Explosion der Twin-Towers erklärt, die das Stahlgerüst von Block 7 in sich zusammensinken ließ. Eine Verschwörung wird nicht gebraucht.
Der Zeitplan des Kongresses ließ keinen Raum für Nachfragen oder gar kritische Bemerkungen. Die Teilnehmenden klatschten zu allem heftig Beifall. Die Bücher der Vortragenden lagen an Bücherständen aus, und die Pausen wurden genutzt, um sie sich signieren zu lassen. Ferner konnte man vor dem Saal z. B. Ausrüstungen für Aurafotografie kaufen oder sich die Aura deuten lassen. Faltblätter für alle möglichen Veranstaltungen wurden verteilt. Hier wurde für bekannte Namen wie Kryon geworben, Kristallschädel und ihre Energien wurden angepriesen und Ähnliches. Mit Hilfe eines Kettenanhängers in Form einer Doppelpyramide sei es für den Einzelnen gar möglich, an der Transformation mitarbeiten. Die Wendezeit eignet sich eben auch als Anlass für eine Verkaufsveranstaltung.
Gabriele Lademann-Priemer, Hamburg