Die wichtigsten Religionen und Weltanschauungen. Ein Leitfaden für Mitarbeitende im Krankenhaus, in Einrichtungen der Altenhilfe und Hospiz
Evangelische Kirche im Rheinland (Hg.), Die wichtigsten Religionen und Weltanschauungen. Ein Leitfaden für Mitarbeitende im Krankenhaus, in Einrichtungen der Altenhilfe und Hospiz. Ein Handbuch, Düsseldorf 2006, 108 Seiten, 5,00 Euro Schutzgebühr.
Von einem Buch mit diesem Titel darf man, zumal wenn es vom Landeskirchenamt der Evangelischen Kirche im Rheinland herausgegeben wird, Hilfreiches erwarten. Umso größer ist die Enttäuschung, wenn man das Werk zur Hand nimmt. Bereits das Inhaltsverzeichnis macht stutzig, weil es eine eigenwillige Gewichtung bietet. So sind neben die großen Weltreligionen unterschiedslos kleine und kleinste Gemeinschaften gestellt, die entweder kaum Mitglieder haben (Rastafarier und Christliche Wissenschaft) oder deren Vorkommen in diesem Kontext befremdet (Sinti und Roma).
Wirklich bestürzt ist man jedoch, wenn man sich in die Darstellung einiger Religionen bzw. Weltanschauungen vertieft. Im Vorwort heißt es, man habe bei der Abfassung eine englische Vorlage benutzt und „die übersetzten Texte von den in Deutschland tätigen Religionsgemeinschaften prüfen lassen“. (3) Wenn das wirklich der Fall war, macht das manche sachlichen Fehler noch unverständlicher. So taufen z.B. die Mormonen nicht erst seit 1937. Bei der Darstellung des Christentums findet das Krankenabendmahl keinerlei Erwähnung – und dies in einem „Leitfaden für Mitarbeitende im Krankenhaus, in Einrichtungen der Altenhilfe und Hospiz“! (23) Im Islam-Kapitel sucht man vergeblich nach einem der wichtigsten Ansprechpartner der Muslime in Deutschland: die „Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion“ (DITIB) wurde offenbar schlicht vergessen. (104) Geradezu bizarr erscheint das Kapitel „Spiritualismus“. (93ff) Man findet dort solch haarsträubende Aussagen wie: „Der Unterschied zu anderen Religionen besteht darin, dass Angehörige des Spiritualismus die Möglichkeit haben, mit einem Medium sicherzustellen, dass ein Mensch den Tod überlebt“! (93)
Schwerer als solche Art Ungereimtheiten, über die man vielleicht noch den Kopf schüttelt, fällt dagegen schon ins Gewicht, dass man bei einigen Gemeinschaften allem Anschein nach die Texte nicht nur hat „prüfen“, sondern Sie gleich dort hat schreiben lassen. Es gibt Passagen, die so klingen, als seien sie von den Pressestellen einiger Religionsgemeinschaften verfasst worden. So liest sich die Darstellung der Zeugen Jehovas wie ein Werbetext aus Selters: „Jehovas Zeugen sind eine internationale christliche Gemeinschaft, die sich in einer Zeit des zunehmenden Atheismus der Aufgabe widmet, den Glauben an Gott zu stärken (...). Jehovas Zeugen suchen das Gespräch und geben Denkanstöße, die es ermöglichen sollen, mit Hilfe der Bibel einen Zugang zum Schöpfer und seinem Christus (...) zu finden.“ (51) Einmal davon abgesehen, dass die Zeugen Jehovas Wert darauf legen, gerade kein Teil der Christenheit zu sein, ist es verheerend, dass ein offizielles Dokument der Rheinischen Kirche ihnen in solcher Weise bescheinigt, eine anerkannte christliche Gemeinschaft auf dem Boden der Heiligen Schrift zu sein. Meines Wissens hat dies bisher noch keine EKD-Kirche festgestellt. Bisher hat auch noch nie eine kirchliche Einrichtung auch nur von Ferne Verständnis für die unbiblische und gnadenlose Ablehnung von Bluttransfusionen gezeigt, die bei Jehovas Zeugen nach wie vor üblich ist und der jährlich Menschen zum Opfer fallen. Die vorliegende Broschüre banalisiert dieses stille Drama und konstatiert ohne weiteren Kommentar ein „Recht auf Selbstbestimmung“ (51), als ob man nicht wüsste, mit welchem Druck die Verweigerung der Bluttransfusionen aufrechterhalten wird.
Auch der Humanistische Verband Deutschlands (HVD) hat angesichts dieser Publikation Anlass zur Freude. Seit Jahren geriert sich dieser Verband mit bundesweit lediglich 10.000 Mitgliedern als Anwalt und Fürsprecher von 30 Millionen Konfessionslosen bzw. Atheisten. In zahlreichen Veröffentlichungen haben die EZW und andere kirchliche Einrichtungen diesen Anspruch mit Nachdruck zurückgewiesen. Was machen die Verfasser des vorliegenden Handbuchs? Sie empfehlen den HVD, der irrtümlich auch gleich noch zur „Körperschaft des öffentlichen Rechts“ ernannt wird (103), mit Kontaktadresse und Telefonnummer als Ansprechpartner bei Fragen zu konfessionslosen Patienten.
Angesichts solcher kontraproduktiven Verlautbarungen fragt man sich, was die Verfasser dieses „Leitfadens“ davon abgehalten hat, ihr Manuskript von kompetenten Stellen gegenlesen zu lassen. Die Rheinische Kirche hat einen profilierten Beauftragten für Sekten- und Weltanschauungsfragen, die EKD hat in Berlin ein eigenes Institut für solche Fragen. Hier hätte man leicht sachkundigen Rat einholen können – nein: müssen. Denn so ist der Schaden groß. Geradezu verärgert nimmt man denn auch zur Kenntnis, dass Stellen, die etwas von Weltanschauungsfragen verstehen, nirgendwo aufgeführt sind, dafür aber Internetadressen diverser obskurer Esoteriker und Geistheiler sowie neuheidnischer Zirkel. (106) Es ist schon erklärungsbedürftig, dass ein kirchlicher „Leitfaden für Mitarbeitende im Krankenhaus“ auf die Homepage eines Geistheilers hinweist, der sonntags zwischen 20.00 und 20.15 Uhr Fernheilung für Menschen und Tiere anbietet!
Es hätte keinen Sinn, dieses Handbuch zu überarbeiten. Man kann nur hoffen, dass es bald in der Versenkung verschwinden wird. Im Übrigen hätte man seine wichtigste Botschaft in einem Satz zusammenfassen können: Bei Patienten, die abweichende Vorstellungen von Ernährung und Lebensgestaltung haben, ist besondere Sensibilität notwendig.
Andreas Fincke