Die „Zwölf Stämme“ verlassen Deutschland
(Letzter Bericht: 3/2015, 113f) Die Glaubensgemeinschaft „Zwölf Stämme“ wird ihre drei bislang in Deutschland bestehenden Standorte (Klosterzimmern bei Nördlingen, Wörnitz bei Ansbach und Dolchau in Sachsen-Anhalt) verlassen und ins europäische Ausland gehen. In einer Pressemitteilung Anfang September 2015 teilten die Mitglieder mit: „So brechen wir nach 20 Jahren Präsenz in diesem Land unsere Zelte ab, um in der Tschechischen Republik und anderen europäischen Nachbarländern eine neue Heimat zu finden.“ Als Begründung führen die Zwölf Stämme an, sie fühlten sich vom deutschen Staat ungerecht behandelt. Im September 2013 hatten Jugendamt und Polizei wegen Gefahr für das Kindeswohl 41 Kinder und Jugendliche aus der Glaubensgemeinschaft geholt. In Pressegesprächen und Interviews wehrten sich die Mitglieder der Zwölf Stämme immer wieder gegen den Vorwurf der Misshandlung von Kindern. Gleichzeitig räumten sie ein, ihre Kinder zu „züchtigen“.
Die Gemeinschaft werde, wie es hieß, in Länder ziehen, in denen sie ihren Glauben frei leben und ihre Kinder selbst unterrichten könne. Als mögliche neue Standorte außerhalb Deutschlands nannten die Mitglieder außer Tschechien auch Frankreich. Dass diese beiden Länder im Blick der Gemeinschaft sind, ist offensichtliches Kalkül: In beiden Ländern sei es unter gewissen Bedingungen gestattet, Kinder zu Hause zu unterrichten. Hinzu kommt, dass in Frankreich und Tschechien die körperliche Züchtigung von Kindern nicht verboten ist. So sind in Frankreich „leichte“ Züchtigungen zu erzieherischen Zwecken erlaubt. In Tschechien ist die Prügelstrafe an Kindern nicht verboten. Einer Umfrage zufolge sind drei Viertel aller tschechischen Eltern Anhänger dieser Bestrafungsmethode. Wie es heißt, nehme die große Mehrheit gerne den Kochlöffel oder den Gürtel zur Hand, um die Kinder zu züchtigen. Im März 2015 wertete das Komitee für soziale Rechte des Europarats die Tatsache, dass Frankreich Prügelstrafen für Kinder nicht völlig verboten hat, als Verstoß gegen die Europäische Sozialcharta. Auch die Tschechische Republik wurde gerügt.
Für die Wahl der zukünftigen Aufenthaltsorte dürfte letztlich ausschlaggebend gewesen sein, dass die Zwölf Stämme in Frankreich über eine größere Filiale und in Tschechien über mehrere Höfe verfügen. Dort sollen sie Grundstücke in der Nähe von Eger und Prag besitzen. Presseinformationen zufolge soll eine Firma im Bereich Landwirtschaft bereits auf die Namen mehrerer deutscher Mitglieder aus Klosterzimmern laufen. Wie Beobachter aus der Umgebung von Klosterzimmern berichten, ist die Übersiedlung der Familien bereits erfolgt. Nur noch Mitglieder ohne Kinder seien dort zu sehen gewesen. Bei einem Flohmarkt hat die Gemeinschaft in Klosterzimmern inzwischen ihr Inventar verkauft.
Damit endet für die Zwölf Stämme eine längere Konfliktgeschichte mit den Behörden in Deutschland. Im europäischen Ausland dürften sie nun von der staatlichen Duldung des häuslichen Unterrichts profitieren, womit die Abschottung der Kinder und Jugendlichen wohl weiter vorangetrieben werden wird. Schwerer wiegt jedoch die Züchtigung von Kindern mit der Rute innerhalb der Gemeinschaft, die in den beiden Nachbarstaaten keine Sanktionen befürchten müsste. Es bleibt abzuwarten, welche Entwicklung die Gemeinschaft der Zwölf Stämme jetzt in den europäischen Nachbarstaaten nehmen wird.
Matthias Pöhlmann, München