Neuapostolische Kirche

Diskussion um Stasi-Kontakte

(Letzter Bericht: 5/2004, 196f, 197f) Das Internetmagazin www.glaubenskultur.de, immer eine interessante Adresse, wenn es um die Neuapostolische Kirche (NAK) geht, hat im Mai eine Diskussion um die Beziehungen der NAK in der DDR zum damaligen "Ministerium für Staatssicherheit" (MfS) eröffnet. Bisher gibt es dazu keine genaueren Untersuchungen (vgl. MD 8/1994, 217ff). Sensationen sind kaum zu erwarten - obwohl es zahlreiche Verstrickungen und Nähen geben dürfte. Im Jahre 2000 wurde vom Stammapostel eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die sich unter Leitung von Apostel Walter Drave quasi "offiziell" mit der Geschichte der NAK zu DDR-Zeiten beschäftigen soll. Arbeitsergebnisse sind noch nicht bekannt.

Die Herausgeber des Magazins Glaubenskultur drängen nun darauf, dass eine breite Diskussion in der NAK über dieses Thema begonnen wird. Man findet es zum einen unangemessen, dass sich nur ausgesuchte interne Zirkel damit beschäftigen und wünscht sich zugleich, dass nicht nur NAK-ferne Historiker das Problem aufgreifen. Für diese Bedenken gibt es gute Gründe, denn es ist nur eine Frage der Zeit, bis die ersten Dissertationen zum Thema "NAK in der DDR" geschrieben werden. Zumal vergleichbare Stoffe inzwischen mehr oder weniger erschöpft sind: So sind inzwischen z. B. zahlreiche Arbeiten zur Geschichte der Zeugen Jehovas in der DDR erschienen. Was liegt da näher als sich der NAK zuzuwenden, die in der DDR wesentlich mehr Mitglieder als die (verbotenen) Zeugen Jehovas hatte und zudem aufgrund ihres Staatsverständnisses eine gewisse Anpassungsleistung an die politischen Verhältnisse erwarten lässt?

Insofern erscheint das Ansinnen von Glaubenskultur plausibel. Für Aufsehen sorgte inzwischen ein Interview mit einem Kritiker der NAK, das von einer evangelischen Kirchenzeitung publiziert wurde. Der Interviewte behauptete, ihm lägen Dokumente aus der Behörde der Beauftragten für die Stasi-Unterlagen vor, die beweisen, dass zwei NAK-Apostel beim MfS als IM ("Inoffizielle Mitarbeiter") verpflichtet waren. Weiter heißt es, die IM hätten aus Versammlungen berichtet, Interna weitergegeben und Gemeindemitglieder denunziert.

Inzwischen haben auch die Herausgeber von Glaubenskultur in der Birthler-Behörde einige Unterlagen zur NAK eingesehen und manches im Internet veröffentlicht. So beispielsweise ein Dokument, aus dem hervorgeht, dass 1971 ein internes Treffen von NAK-Amtsträgern in Ostberlin stattgefunden hat. Anlass war der Besuch eines Apostels aus Kanada. Man bemühte sich um Geheimhaltung, parkte die Autos am Stadtrand und blieb fast unter sich. Aber eben nur fast, denn ein Teilnehmer berichtete dem MfS unter dem Decknamen "IM Kurt Sigmund" zahlreiche Details der Begegnung.

Ferner liegen Glaubenskultur einige Kurzeinschätzungen vor, die das MfS über die NAK in einigen Städten hat anfertigen lassen. Darin wird der Gemeinschaft vielfach Loyalität bescheinigt: So heißt es, man bemühe sich in der NAK, "zu den staatlichen Stellen gute Kontakte herzustellen", die NAK-Mitglieder "kommen ihrer Wahlpflicht nach", die NAK stelle für das MfS "keinen operativen Schwerpunkt dar" usw. Kurz: "Wehrdienstverweigerer und feindlich eingestellte Personen sind aus dieser RG [= Religionsgemeinschaft - A.F.] nicht bekannt." Übrigens ist es immer wieder erstaunlich, wie sehr die Unterlagen des MfS den (Un-)Geist der DDR widerspiegeln. So lobt man die Gemeinschaft, weil ihre Mitglieder "ihrer Wahlpflicht" nachkommen. Dabei gab es in der DDR gar keine Wahlpflicht - zumindest keine juristische.

Die NAK-Sprecher haben inzwischen das Vorgehen von Glaubenskultur kritisiert. Auf der offiziellen Homepage der Gemeinschaft (www.nak.de/news/index.html - 29.7.2004) verweist man darauf, dass man im Dezember 2000 einen Antrag auf Akteneinsicht bei der Birthler-Behörde gestellt habe und dass die Aufarbeitung der eigenen Geschichte "seriös und umsichtig" erfolgen werde, nicht aber in "aufgeregten Internetdiskussionen". Aus Sicht der Leitung der NAK ist es falsch, "mit Teilwahrheiten oder Zwischenergebnissen zu arbeiten", die Veröffentlichung vieler kleiner Artikel werde "einer anspruchsvollen Aufklärung nicht gerecht".

Diesen Vorwurf mag man so recht nicht stehen lassen. Es gibt kein Deutungsmonopol, und wirklich abschließend werden sich die Dinge nie klären lassen. Deshalb erscheint es legitim, einzelne Dokumente öffentlich zu machen. Denn es verwundert schon, warum die Leitung der NAK erst zehn Jahre nach der Öffnung der Archive einen Antrag auf Akten-Einsicht gestellt hat. Eine gewisse Beschleunigung wäre schon hilfreich. Und diese hat Glaubenskultur nun erreicht.

Übrigens kann man den Machern von Glaubenskultur nicht vorwerfen, sie gingen unsensibel mit den Daten um. Über den in der Kirchenzeitung und bei IDEA veröffentlichten Fall eines ostdeutschen Bezirksapostels i. R., der pauschal als IM bezeichnet worden war, schreibt Glaubenskultur, die IM-Tätigkeit könne anhand "uns vorliegender Unterlagen ... nicht bestätigt werden". Es bleibt also spannend.

Andreas Fincke