Mormonen

Diskussionen um Tempelausbau

(Letzter Bericht: 8/2013, 305-308) Die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage (HLT bzw. Mormonen) unternimmt umfangreiche Um- und Neubauarbeiten an ihrer Tempelanlage in Friedrichsdorf (Hessen). Dazu wird der Tempel von September 2015 bis 2017 geschlossen bleiben (www.kirche-jesu-christi.org/umbau-des-frankfurt-deutschland-tempels). Er wurde 1987 als zweiter deutscher Mormonentempel nach Freiberg (Sachsen) eröffnet. Auch der Freiberger Tempel ist derzeit wegen Umbau- und Vergrößerungsarbeiten für den gewachsenen osteuropäischen Bedarf geschlossen, sodass die Gläubigen derzeit in die Tempel in Kiew, Bern, Den Haag und Kopenhagen ausweichen müssen.

Die beiden deutschen Tempel haben jeweils überregionale Bedeutung und ziehen viele Mormonen auch aus dem Ausland an, da die heiligsten Verrichtungen der Gemeinschaft nur in einem der weltweit 147 Tempel stattfinden, so z. B. die stellvertretenden Taufen für Verstorbene. Tempel sind nicht zu verwechseln mit den Gemeindehäusern, in denen die regelmäßigen Sonntagsgottesdienste der 171 deutschen HLT-Ortsgemeinden stattfinden.

Der Friedrichsdorfer Tempel selbst bleibt äußerlich unverändert, doch finden im Zuge der jetzigen Arbeiten auch im gesamten Tempelareal größere Veränderungen statt. Der Zukauf eines Grundstücks erlaubt zusätzliche Parkplätze sowie den Neubau von Gästehäusern für Missionare und des Gemeindehauses (für die Gottesdienste der ca. 600 örtlichen Mormonen). Um das Tempelareal geschlossen zu halten, wird eine Straße verlegt, wovon u. a. das anliegende Gemeindehaus der evangelischen Kirchengemeinde betroffen ist. Diese beklagte, dass die Mormonen im Vorfeld keinerlei Absprachen mit ihr oder den sonstigen Nachbarn gesucht, sondern losgelöst von lokalen sozialen Strukturen gehandelt hätten. Die Mormonen verweisen hierzu auf die übliche öffentliche Beteiligung beim Planungsverfahren, im Übrigen sei man „immer gern zum Austausch bereit“. Im Sinne guter Nachbarschaft im Vorhinein gesucht hat man diesen Austausch aber nicht, wie die evangelische Kirchengemeinde bedauert. Nachträgliche Gespräche ergaben keine Annäherung. Ökologisch und städtebaulich begründete Einwendungen der Kirchengemeinde gegen die Baumaßnahmen hat der Stadtrat im Frühsommer zurückgewiesen.

Der Tempel sorgte beim Bau vor 30 Jahren für Unruhe in der Kleinstadt, ist aber inzwischen mit seiner unverwechselbaren Ästhetik in weltweit einheitlicher mormonischer Tempelarchitektur eine kleine touristische Attraktion geworden.

Die evangelische Kirche beklagt, dass die Mormonen sich nicht an eine damals getroffene Absprache oder Bedingung bei der Baugenehmigung gehalten hätten. Diese oft zitierte Absprache habe besagt, dass die HLT in Friedrichsdorf keine Mission treiben würden. Allerdings existieren darüber keine Aufzeichnungen, und rechtlich bindend wären sie ohnehin nicht.

Tatsächlich ist es so, dass die HLT in den letzten Jahrzehnten zu den am schnellsten wachsenden Religionen der Welt gehörten. Sofern es sich nicht um eigenen Nachwuchs handelt, kommen neue Mitglieder meist aus christlichen Kirchen. Die Mormonen, die sich als wiederhergestellte christliche Urkirche verstehen, werben weltweit gezielt unter Christen aller Konfessionen für ihren Glauben. Das erregt natürlich einerseits verständlichen Unmut. Andererseits erkennen alle ökumenisch verbundenen Kirchen die Mormonen nicht als christliche Kirche an, sondern sehen sie als Neuoffenbarungsreligion christlichen Ursprungs. Einer fremden Religion kann man aber aus theologischen Gründen (von der rechtlichen Religionsfreiheit abgesehen) schlechterdings kaum die Mission „verbieten“. Solche ökumenischen Absprachen gegen „sheep stealing“ (Proselytenmacherei) sind nur unter Kirchen theologisch sinnvoll, die sich gegenseitig als christliche Kirche anerkennen. Wenn also z. B. gelegentlich geklagt wird, dass mormonische Jugendliche ihre Schulkameraden im Konfirmandenalter in die mormonische Jugendstunde locken, so wäre es wohl sinnvoller zu fragen, wieso evangelische Jugendliche ihre eigenen Angebote nicht ebenso cool finden und ihrerseits mormonische Klassenkameraden einladen.

Anders als die Gemeindehäuser sind mormonische Tempel üblicherweise nicht öffentlich zugänglich. Auch Mormonen kommen nur hinein, wenn sie im Besitz eines „Tempelscheins“ sind. Diesen bekommen nur aktive Mitglieder mit der Lehre gemäßer, ethisch anspruchsvoller Lebensführung. Wie viel Prozent der offiziellen Mitglieder das sind, wird nicht verraten. Es ist aber oft üblich, einen Tempel nach einem Neu- oder Umbau für einige Wochen der Öffentlichkeit zu öffnen, bevor er wieder geweiht und für Kulthandlungen genutzt wird. Es besteht also die Möglichkeit, dass bald gleich zwei deutsche Mormonentempel für kurze Zeit von innen besichtigt werden können.


Kai Funkschmidt